Wie kann man nur!

6. Juni 2011 • Qualität & Ethik • von

Die spinnen, die anderen! Die Affären um den ehemaligen Währungsfonds-Chef Dominique Strauss-Kahn offenbaren, wie unterschiedlich Journalisten (und ihre Publika) in verschiedenen Ländern ticken.

Franzosen entsetzen sich, dass Amerikaner Menschen, denen etwas Schlimmes nachgesagt wird, auf den „perp walk“ jagen, durch ein Spalier laufender Kameras – einen fern der Heimat weilenden Franzosen ebenso wie Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald, Mafia-Bosse, Rapper Puff Daddy… – gerne unrasiert, übernächtigt, in Handschellen, unter Verdacht, noch nicht schuldig gesprochen.

Amerikaner hingegen fassen es nicht, dass man schweigen kann, wenn ein Spitzenpolitiker offenbar meint, ein Körperteil nach Belieben und notfalls mit Gewalt einsetzen zu dürfen. Nicht nur sie fragen sich: Wieso hakt kein Journalist nach, wenn eine Kollegin im Fernsehen erzählt, sie sei bei einem Interview fast vergewaltigt worden? Und wenn eine entsprechende Passage im Manuskript der aktuellen Strauss-Kahn-Biografie plötzlich verschwindet, angeblich auf Druck von dessen Medienberater? Nicht nur Amerikaner wundert, weshalb französische Journalisten die sexuelle Potenz von Potentaten wie Chirac, Mitterand, Giscard d`Estaing schützen, als sei sie der größte Stolz der Republik.

Amerikaner und Franzosen verkörpern zweifellos verschiedene Kulturen. Doch es gibt internationale Prinzipien. In den USA gilt ebenso wie in Frankreich und Deutschland bis zum Richterspruch die Unschuldsvermutung. Nirgendwo kommt es Journalisten zu, durch einen Mix aus Fakten und Fantasie gerichtlichen Ermittlungen vorzugreifen, durch entwürdigende Fotos Geschworenengerichte zu beeinflussen oder unter dem Druck der 24-Stunden-Sendezeit die Sorgfaltspflicht der knackigen Schlageile zu opfern. Nichts legitimiert sie, medial zu Gericht zu sitzen. 

Amerikanische Journalisten schwören auf die Distanz zu den Mächtigen, sehen sich als Wachhunde, die im öffentlichen Interesse Missstände enthüllen. Das ist wichtig für jede Demokratie. Es geht aber keinen etwas an, wenn Politiker einen Partnertauschclub besuchen, Oralsex mögen oder homosexuelle Neigungen haben. Was mit ihrem Amt nichts zu tun hat, ist privat; auch ein weltweit angemessenes Prinzip.

In Frankreich verstehen sich vor allem politische Journalisten als Teil der Machtelite. Doch auch dort hat die Öffentlichkeit das Recht zu erfahren, wenn einer ihrer Politiker Frauen sexuell nötigt oder seine Machtposition mit sexuellen Absichten missbraucht. Auch französische Journalisten haben die Pflicht, das offenzulegen. Französische Medien fanden unzumutbar, die Bilder von Strauss-Kahn in Handschellen zu veröffentlichen, empörten sich aber nicht, als einige französische Zeitungen die Identität der Klägerin, des Zimmermädchens, preisgaben.

Ein Journalist von „Mediapart“ mutmaßte in einem Interview, ohne die internationale Aufmerksamkeit wäre die ganze Angelegenheit in Frankreich wohl erneut unter den Tisch gekehrt worden. Nun komme man um die Selbstkritik nicht herum.

Stimmt. Aber hoffentlich nicht nur in Frankreich.

Erstveröffentlichung: Kölner Stadtanzeiger vom 25. Mai 2011

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