Moderne Risiken werden der Öffentlichkeit erst durch mediale Berichterstattung bewusst. So auch beim Glyphosat. Die Kontroverse um das Krebsrisiko des Herbizids zeigt, welche elementare Rolle der öffentliche Diskurs spielt und welche gewichtige Verantwortung der Journalismus trägt, der einordnen und Transparenz herstellen muss.
Das Herbizid Glyphosat sorgt spätestens seit der Beurteilung der Internationalen Krebsagentur IARC für Schlagzeilen. 2015 stufte die IARC Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Auf Basis eines Reviews von über 1000 Studien kamen die Krebsforscher zu diesem kritischen Ergebnis.
Glyphosat ist das weltweit meistgenutzte Herbizid. Daher steht die Frage nach Gesundheitsrisiken für den Menschen weit oben auf der politischen Agenda. Für Gegner von Glyphosat, zum Beispiel das Pestizid-Aktions-Netzwerk PAN, ist die kritische Einschätzung der IARC ein hartes Argument gegen den Einsatz von Glyphosat. Befürworter des Herbizids versuchen dagegen, die Einschätzung der Internationalen Krebsagentur zu relativieren und letztlich als nichtig darzustellen: Beispielsweise spricht der Landesbauernverband Baden-Württemberg mit Blick auf die Einschätzung der IARC von einer „Unstatistik“.
Befürworter und Gegner von Glyphosat kritisieren, dass die jeweils andere Seite Studien über das Krebsrisiko von Glyphosat unterschlage oder von der Industrie beziehungsweise der „Öko-Szene“ manipuliert werde. So schreibt „Topagrar Online“, ein Magazin für konventionelle Landwirtschaft, dass die IARC bewusst „Daten zur Ungefährlichkeit von Glyphosat zurückgehalten“ habe.
Der journalistischen Berichterstattung über Glyphosat kommt eine zentrale Rolle zu: Sie soll unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen.
Zu einem Brennpunkt in der Debatte um Glyphosat sind die „Monsanto-Papers“ geworden. Im Zusammenhang mit Klagen und Gerichtsverfahren in den USA gegen Monsanto musste das Unternehmen zahlreiche interne Dokumente freigeben. Die NGO „US Right to Know“ machte diese ebenso öffentlich wie Anwälte von US-amerikanischen Klägern. Freilich handelt es sich hierbei um spezifische Interessenvertreter, die Glyphosat als Risiko für den Menschen einschätzen. Daher kommt der journalistischen Berichterstattung über Glyphosat eine zentrale Rolle zu: Sie soll unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen.
Die französische Tageszeitung „Le Monde“ berichtete ausführlich über Strategien und Maßnahmen von Monsanto, mit denen das Unternehmen die IARC als unglaubwürdig darzustellen und letztlich den Gebrauch von Glyphosat langfristig zu sichern versucht. Für diese Berichterstattung gewann „Le Monde“ 2017 den Preis für Investigativen Journalismus der unabhängigen Varenne-Stiftung.
Die Diffamierung und Delegitimierung der gegnerischen Seite ist ein kommunikatives Mittel, wie es aus dem strategischen Krisen-Framing bekannt ist.
„Le Monde“ bezeichnete Monsantos Aktivitäten, mit denen der Konzern die IARC und ihre Einschätzung von Glyphosat diffamierte, als „Kriegserklärung“ („declaration of war“). Die Tageszeitung verglich den Fall Glyphosat mit Kampagnen der Tabakindustrie gegen die IARC in den 1990er Jahren, als die Agentur für Krebsforschung Passivrauchen evaluierte. Zudem legte „Le Monde“ zentrale Akteure und Netzwerke offen, die die Risikobewertung von Glyphosat und den Diskurs rund um dieses Thema prägen.
Die Diffamierung und Delegitimierung der jeweils gegnerischen Seite und damit die Legitimation der eigenen Position ist ein kommunikatives Mittel, wie es aus dem strategischen Krisen-Framing bekannt ist (vgl. Daniel Völker: Kommunikation im Krisenmodus, 2017). Um die eigene Position zu legitimieren und die gegnerische Perspektive zu delegitimieren, nutzen Interessenvertreter die „Umdeutungsstrategie“ (Völker 2017, S. 137). So argumentieren die Glyphosat-Befürworter, der Einsatz des Herbizids vermeide die Verwendung von potenziell bedenklicheren Herbiziden, die weitaus weniger untersucht sind; nach dem Motto: Lieber ein Risiko was wir kennen, als eines, das wir nicht kennen. Als weitere Delegitimation der kritischen Seite verweisen Hersteller von glyphosathaltigen Produkten auf behördliche Einschätzungen, beispielsweise des Bundesinstituts für Risikobewertung, die kein krebsauslösendes Risiko des Herbizids für den Menschen feststellen.
Wissenschaftler laufen in solch kontrovers aufgeladenen und politisierten Debatten Gefahr, als Skandalfiguren gedeutet zu werden, an denen sich die öffentliche Empörung ablädt.
Kritisch werden die Expertenbefunde, wenn ihre Objektivität begründet in Frage gestellt ist. Etwa dann, wenn wissenschaftliche Studien von der Industrie finanziert und kanalisiert werden oder an politischen Interessen ausgerichtet werden – wie die „Monsanto Papers“ im vorliegenden Fall zeigen. Die Wissenschaft läuft dann Gefahr, dass Vertrauen seitens der Öffentlichkeit zu verlieren und pauschal diskreditiert zu werden. Der Historiker Caspar Hirschi diskutiert diese Problematik in seinem 2018 erschienenem Werk „Skandalexperten – Expertenskandale“: Wissenschaftler laufen in solch kontrovers aufgeladenen und politisierten Debatten Gefahr, als Skandalfiguren gedeutet zu werden, an denen sich die öffentliche Empörung ablädt.
Statt aber einzelne Akteure einseitig zu kritisieren, sollte der Journalismus in Anschluss an Carragee und Roefs die Machtstrukturen, Netzwerke und Ressourcen der beteiligten Kommunikatoren beleuchten. Was die Kommunikationswissenschaftler speziell für Wissenschaft fordern, ist auch für journalistische Berichterstattung bedeutsam; somit ergeben sich für die Kommunikationswissenschaft und den Journalismus die gleichen Fragen: Welche Akteure kommen überhaupt zu Wort? Welche Akteure haben eine zentrale Machtposition? Wessen Argumente werden von Journalisten aufgegriffen? Welche Ressourcen verhelfen Akteuren zu (Deutungs-)Macht im Diskurs? Daher ist die Offenlegung aller beteiligten Interessen sowie die Aufdeckung von Netzwerken bei gesellschaftlich relevanten Risiken eine Kernaufgabe des Journalismus.
Mit der Skizzierung von Machtstrukturen und Netzwerken nähert man sich dann der Antwort auf die Frage: Wer bestimmt die öffentliche Deutung von Risiken? Eine ebensolche Reflexion ist sowohl für die journalistische Darstellung von Risiken als auch für die wissenschaftliche Analyse von Risikokommunikation elementar: Beides umfasst gesellschaftliche Verantwortung.
Erstveröffentlichung: Medienwoche vom 23. April 2019
Bislang in der Serie erschienen: – Die Nicht-Themen zum Thema machen – Facebooks gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit – Wie weit geht die Meinungsfreiheit für Bots? – Die Wissenschaft als Schlagzeilenlieferantin
Bildquelle: pixabay.de
Schlagwörter:Glyphosat, Krisen-Framing, Le Monde, Monsanto-Papers, Risikokommunikation