Wie Vielfalt im Journalismus erhöht werden kann

17. März 2021 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Die Initiative Neue deutsche Medienmacher:innen hat einen Diversity-Guide für Medien herausgebracht – das erste Handbuch, das sich speziell an Redaktionen in Deutschland richtet.

Der neue Diversity-Guide / Foto: Neue deutsche Medienmacher:innen

„Es gibt mehr als 21 Millionen gute Gründe in Deutschland, warum Medien es sich nicht leisten können, Publikum mit Einwanderungsgeschichte außen vor zu lassen. Denn nur Menschen, die ihre Lebenswelt in der Berichterstattung wiederfinden, sind auch bereit, dafür zu bezahlen“, betonen die Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) in ihrem neuen Diversity-Guide. Denn jeder vierte Einwohner Deutschlands hat laut Angaben des Statistischen Bundesamts einen Migrationshintergrund. Das heißt, dass die Person selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.

In deutschen Redaktionen aber mangelt es an Diversität. Wie es im Diversity-Guide heißt, gehen Schätzungen davon aus, dass hier lediglich 5 bis 10 Prozent Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund arbeiten. Gleichzeitig steige aber der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der Gesellschaft, unter Kindern und Jugendlichen seien es schon rund 40 Prozent.

Journalismus für die ganze Gesellschaft

„Die Welt von heute lässt sich nicht mit Journalismus von gestern erklären“, machte Konstantina Vassiliou-Enz, Geschäftsführerin der Neuen deutschen Medienmacher:innen, beim digitalen Pressegespräch anlässlich der Veröffentlichung des Diversity-Guides deutlich. „Redaktionen, die nur aus weißen Männern bestehen – sie müssen nicht einmal alt sein – bekommen vieles gar nicht mit“, sagte sie.

Vassiliou-Enz betonte aber auch, dass vielen Redaktionen das Ziel Diversität zwar wichtig sei, sie aber nicht wüssten, wie sie es erreichen können. Aus diesem Grund hat sie mit Ferda Ataman, Vorsitzende der NdM, und zahlreichen Gastautorinnen und Gastautoren von Medien, Organisationen und aus der Wissenschaft das Handbuch erarbeitet.

Es gibt Antworten auf die Frage, warum Medien mehr Vielfalt zum Überleben brauchen, führt Best Practice-Beispiele von internationalen Vorreiterinnen wie der BBC an, erklärt, wie Diversität in Redaktionen gefördert werden kann, was es für eine inklusive Redaktionskultur braucht und wie man es schafft, Journalismus für die ganze Gesellschaft zu machen.

Dafür stellt das Buch u.a. Diversity-Checklisten für Themen und Perspektivenvielfalt, für mehr diverse Stimmen, für eine angemessene journalistische Sprache, für die Diversity-Datenerhebung, für das Recruiting und für den Schutz der Journalistinnen und Journalisten vor Hassrede bereit.

Vielfalt an Perspektiven

Die Neuen deutschen Medienmacher:innen verdeutlichen auch, dass mit Diversität noch mehr als die ethisch-kulturelle Vielfalt gemeint ist. Auch Journalistinnen und Journalisten mit Behinderungen, mit einem LSBTQI*-Hintergrund, aus Familien ohne Hochschulerfahrung oder ohne einen akademischen Hintergrund tragen zur Vielfalt in Redaktionen und in der Berichterstattung bei.

So könne zum Beispiel „eine Rollstuhlfahrerin ganz andere Geschichten über kommunale Verkehrsplanung erzählen als der Kollege, der mit dem SUV zur Arbeit kommt“.  Zum bedingungslosen Grundeinkommen habe ein Kollege, dessen Eltern auf Sozialhilfeleistungen angewiesen waren, „vermutlich einen ganz anderen Zugang als die Kollegin aus einer Ärzte-Familie“, heißt es im Handbuch.

In einem Gastbeitrag macht Edith Heitkämper, Vorsitzende des Vereins ProQuote, der sich für eine 50-prozentige Frauenquote in den Führungspositionen von Medien einsetzt, zudem auf den zu geringen Frauenanteil in deutschen Medienhäusern aufmerksam. Mehr als zwei Drittel der Führungspositionen seien fest in Männerhand. Bei Bild, Welt und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hätten Männer sogar drei von vier Spitzenpositionen inne, und beim Focus gebe es gerade einmal etwa 15 Prozent Frauen in Führungspositionen. „Das ist weit entfernt von Diversität und einem gerechten Frauenanteil“, so Heitkämper. Die größte Männerdomäne seien aber Regionalzeitungen. Hier seien von 108 Chefredakteursstellen lediglich 8 mit Frauen besetzt.

„Diversität ist Chef:innensache“

Im Diversity-Guide sei „alles drin, was man braucht – es gibt jetzt eigentlich keine Ausreden mehr“, sagte NdM-Geschäftsführerin Vassiliou-Enz beim Pressegespräch. Sie betonte zugleich, dass Diversität „Chef:innensache“ sei, der Wandel hin zu mehr Diversität in den Redaktionen müsse von oben kommen.

Das macht auch Erkan Arikan, Leiter der Türkisch-Redaktion und Mitglied der Chefredaktion der Deutschen Welle sowie Mitglied des NdM-Vorstands, in seinem Beitrag deutlich. Ein diverses Team zu schaffen bedürfe „nicht nur einer gewissen Erfahrung, sondern auch einer gewissen Empathie“, schreibt Arikan. „Denn solche Entscheidungen können nicht durch eine ‚Revolution durch die Belegschaft‘ hervorgerufen werden, sondern müssen zwingend von den Führungskräften kommen.“

Um wirklich jene zu erreichen, die genug Macht haben, in ihren Redaktionen etwas zu ändern, haben sich die Neuen deutschen Medienmacher:innen etwas Schlaues einfallen lassen. Sie stellen das Handbuch, das nicht käuflich ist, Medienhäusern kostenlos zur Verfügung, nachdem die Chefredaktion oder Intendanz ihnen eine Stunde Zeit einräumt, in der sie ihnen erklären, „warum Diversität Chef:innensache ist“. Auszüge des Handbuchs haben sie aber auch auf ihrer Website veröffentlicht.

 

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