Wie westliche Journalisten über Afrika berichten

6. Februar 2019 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Die Afrikaberichterstattung westlicher Medien steht oft in der Kritik: Sie sei einseitig, eurozentrisch und insgesamt werde zu wenig über Afrika geschrieben. Ein Wissenschaftler der Stanford University hat untersucht, ob die Afrikaberichterstattung tatsächlich so schlecht ist wie ihr Ruf.

Die Ansicht, dass westliche Medien undifferenziert, rassistisch und von oben herab über den afrikanischen Kontinent berichten und ihn als ein homogenes „Land“ darstellen, sei zu einem allseits akzeptierten Mythos geworden, für den es aber kaum empirische Beweise gebe, hat Martin Scott von der School of International Development der East Anglia University (Großbritannien) 2015 in einem Aufsatz festgestellt.

Toussaint Nothias vom Center for African Studies der Stanford University hat allerdings beobachtet, dass Medienberichte über Afrika vor allem aus drei Gründen kritisiert werden: Erstens würden sie Afrika mit „Dunkelheit“ und „Stammesdenken“ verbinden, zweitens Afrika als homogene Einheit darstellen und drittens hauptsächlich westliche Quellen verwenden.

Mithilfe einer Inhaltsanalyse von 282 Artikeln aus acht britischen und französischen Zeitungen hat der Medienwissenschaftler nun untersucht, ob dem auch wirklich so ist oder ob er zum selben Befund wie Scott gelangt. Die Artikel wurden zwischen 2007 und 2012 veröffentlicht und fokussieren sich auf das jeweilige  50jährige Jubiläum der Unabhängigkeit in 24 afrikanischen Ländern. Zusätzlich hat Toussaint Interviews mit Korrespondenten geführt, die über Afrika berichten.

Dunkel, homogen und ohne Stimme?

In zwei Aspekten stimmen laut Nothias viele Forscher überein: Es wird zu wenig und es wird zu negativ über Afrika berichtet. Obwohl der afrikanische Kontinent 15% der Weltbevölkerung beheimatet, wird er in der europäischen Auslandsberichterstattung eher vernachlässigt: Wilke, Heimprecht und Cohen, die 2008 die Auslandsberichterstattung in den Fernsehnachrichten in sechs europäischen Ländern untersuchten, stellten fest, dass nur 3% der gesamten Auslandsberichterstattung von Afrika handelten. Andere Studien wie etwa von Graham und de Sabbata (2013) liefern ähnliche Ergebnisse. Ebenso zeigen zahlreiche Studien wie z.B. von de Beer (2010), dass über Afrika oft mit negativen Framings berichtet wird. Nothias gibt allerdings zu bedenken, dass Nachrichten generell zu negativen Themen tendieren.

Er bemängelt außerdem eine anglophone Verzerrung in vielen Studien und dass es deutlich weniger Untersuchungen zu den ehemaligen französischen Kolonien als den britischen gebe. In seiner Analyse konzentriert sich der Autor deshalb auf Berichte aus britischen und französischen Zeitungen über die 50. Jahrestage der Unabhängigkeit in 24 afrikanischen Ländern. Er möchte so vermeiden, dass Artikel über Krieg, Krisen und Konflikte seine Ergebnisse dominieren und so bereits die Thematik negative Framings voraussagt. Aus der Literatur hat Nothias drei Kritikpunkte herausgefiltert, mit denen die westliche Afrikaberichterstattung häufig charakterisiert wird – diese überprüft er anhand seines Materials.

1. Dunkelheit und Stammeskonflikte

Laut Nothias kritisieren viele Autoren, dass sich die Afrikaberichterstattung auf Bilder, Rhetorik und sprachliche Mittel berufe, die koloniale Ideen fortführen. So werde häufig Stammesdenken als Ursache afrikanischer Konflikte angeführt und diese damit als essentiell anders als europäische Konflikte präsentiert. Außerdem werde der afrikanische Kontinent sprachlich oft mit „Dunkelheit“ in Verbindung gebracht: „Heart of Darkness“, „the dark continent“ – solche Formulierungen gehen ebenfalls auf koloniale Narrative zurück und stellen Afrika als „anders“ dar.

Nothias untersuchte daher, welche Wortfelder in den Artikeln am häufigsten vorkommen. Das Ergebnis: über die Hälfte (55%) aller Berichte beinhalten Wörter zum Themenfeld „soziale und politische Instabilität“, direkt gefolgt von „Gewalt und Tod“ (49%), Korruption (38%) und Armut (34%). Die Wortfelder weisen also darauf hin, dass sich die Berichterstattung auf negative Themen konzentrierte. Erst auf Platz fünf folgt „Fortschritt und Erfolge“, dieses Wortfeld kam in immerhin 21% der Artikel vor. Wörter, die den afrikanischen Kontinent mit Tribalismus verbinden, wurden allerdings nur in 8% der untersuchten Artikel verwendet und „Zauberei“ kam überhaupt nicht vor (0%). Damit bestätigt Nothias‘ Analyse das Vorurteil nicht, wonach Afrika durch Hinweise auf Tribalismus und „Dunkelheit“ als „anders“ dargestellt werde.

2. Afrika als „homogener Block“

Wenig Differenzierung, die Darstellung des afrikanischen Kontinents als „Land“ oder homogene Einheit und Verallgemeinerungen einzelner Beobachtungen auf den gesamten Kontinent werden ebenfalls häufig als Schwachpunkte der westlichen Afrikaberichterstattung genannt. Nothias untersuchte deshalb, wie oft in den Artikeln von „Afrika“, „afrikanisch“ oder „dem Kontinent“ die Rede war und analysierte die linguistischen Strategien der Journalisten. Außerdem befragte er Korrespondenten über ihre Wahrnehmung dieses Problems. Seine Gesprächspartner gaben an, sich der Problematik bewusst zu sein und Homogenisierung zu vermeiden.

Dennoch ergab die Analyse, dass 72% aller Artikel Verallgemeinerungen beinhalten. 33% davon entstanden dadurch, dass die Journalisten aufgrund der Unabhängigkeitsfeiern in mehreren Ländern von einer Unabhängigkeitsfeier des afrikanischen Kontinents schrieben. Dies war besonders in der französischen Berichterstattung zu bemerken und ist womöglich der Tatsache geschuldet, dass in Frankreich im untersuchten Zeitraum Unabhängigkeitsparaden mit Vertretern aus mehreren ehemaligen Kolonien abgehalten wurden.

In 42% aller Artikel werden unnötige Verallgemeinerungen getroffen, Vergleiche gezogen oder übertrieben oft die Begriffe „Afrika“ und „afrikanisch“ genannt.  So wird zum Beispiel die Situation in einem afrikanischen Land häufig als beispielhaft für den gesamten Kontinent dargestellt oder Berichte über ein Land werden mit Vergleichen zu „anderen afrikanischen Ländern“ gespickt. Dies, erklärt Nothias mit Blick auf andere Studien, komme bei Berichten über Asien oder Lateinamerika deutlich seltener vor.

3. Westliche Stimmen dominieren

Ein dritter häufiger Kritikpunkt ist, dass die Berichterstattung über Afrika oft westliche Quellen und nichtafrikanische Gesprächspartner bevorzuge. Besonders selten würden die Stimmen von Vertretern der lokalen Zivilbevölkerungen gehört, die keine Mitglieder von Regierungen oder Nichtregierungsorganisationen sind. In der Folge werde häufig von außen über Afrika gesprochen.

Nothias‘ Analyse bestätigt, dass Politiker am häufigsten als Akteure in der Berichterstattung vorkommen. Sowohl die britische als auch die französische Presse verlassen sich allerdings nicht hauptsächlich auf westliche Quellen: in den französischen Artikeln kamen westliche und afrikanische Quellen gleich häufig vor (je 48%), in den britischen Artikeln machten die afrikanischen Quellen 61% aus, gegenüber 32% mit westlichen Stimmen. Dies weist einerseits darauf hin, dass viele Korrespondenten sich der Problematik einer westlichen Verzerrung bewusst sind – was viele Korrespondenten auch im Interview mit Nothias bestätigten. Andererseits ist der Anteil westlicher Stimmen dennoch hoch und bei den afrikanischen Stimmen dominieren Autoritäten. Dabei werden einige im Westen besonders bekannte Politiker auffällig häufig genannt (in der britischen Zeitung z.B. Zimbabwes Mugabe), selbst wenn die Artikel sich hauptsächlich um ein anderes Land drehen.

Nothias untersuchte außerdem, mit welchen Verben Zitate verschiedener Akteure eingeleitet wurden. Zitate afrikanischer Stimmen wurden deutlich seltener mit Verben beschrieben, die sie als rational darstellen, als westliche Stimmen (z.B. erklären, ankündigen). Stattdessen wurden häufiger emotionale Verben benutzt (z.B. behaupten, sich beschweren).

Die Ergebnisse zeigen laut dem Autor, dass afrikanische Akteure weniger gute Chancen haben als westliche Akteure, ihre Geschichten in den Medien zu erzählen und differenziert dargestellt zu werden. Westliche Akteure und Politiker dominieren die Berichterstattung.

Einige der häufigen Kritikpunkte sind übertrieben

Nothias‘ Studie bietet eine detaillierte Analyse der gängigen Kritikpunkte an der westlichen Afrikaberichterstattung in französischen und englischen Zeitungen zwischen 2007 und 2012. Indem er sich auf das Thema der Unabhängigkeitsfeiern konzentriert, welches aus dem Rahmen der Fokussierung auf Krieg, Krisen und Konflikte fällt, vermeidet er, schon durch das Thema eine negative Verzerrung in der Berichterstattung zu bestätigen. Seine Ergebnisse zeigen, dass die britische und französische Afrikaberichterstattung deutliche Probleme aufweist, die teilweise auf koloniale Kontinuitäten und Narrative zurückzuführen sind, dass aber andererseits einige der häufigen Kritikpunkte an der Afrikaberichterstattung übertrieben sind und die Forschung teilweise Klischees weiterverbreitet. Vor allem Tribalismus und „Dunkelheit“ wurden dem Kontinent nur selten zugeschrieben.

Ist die Afrikaberichterstattung also womöglich besser als ihr Ruf? Toussaint Nothias geht davon aus, dass sich westliche Journalisten zumindest zunehmend über postkoloniale Problematiken bewusst sind und dass dies in Zukunft dazu führen könnte, Stereotype und Verallgemeinerungen zu vermeiden und afrikanische Stimmen häufiger zu Wort kommen zu lassen. Einige Medien haben auf den Vorwurf des „Afropessimismus“ reagiert, indem sie explizit positiv über Afrika berichten, heißt es in Nothias Aufsatz. So erklärte Al Jazeera English, mit der Kampagne „hear the human story“ einen Gegenentwurf zur viel kritisierten westlichen Berichterstattung über die Krise in Ruanda anbieten zu wollen und die betroffenen Menschen sprechen zu lassen.

Nothias, Toussaint (2018): „How Western Journalists actually write about Africa: Re-assessing the Myth of Representations of Africa”. In: Journalism Studies, Vol. 19, No. 8, pp. 1138-1159.

 

Bildquelle: pixabay.com

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