Indem sie Gastbeiträge veröffentlichen, nehmen Medien den PR-Abteilungen von Politikern eine beträchtliche Menge Arbeit ab. Die Problematik dahinter, dass Abgeordnete und Regierungsmitglieder so ihre Botschaften über Tageszeitungen fast ungefiltert verbreiten können, ist Gegenstand der Analyse „Wenn Politik Presse macht“ von Marvin Oppong. Das Arbeitspapier erschien Ende März bei der Otto Brenner Stiftung.
In seiner Analyse geht Marvin Oppong der Frage nach, welche Interessenskonflikte entstehen, wenn Politiker Gastbeiträge in Tageszeitungen publizieren. Kursorisch, wie der Autor immer wieder betont, werden dabei Beiträge untersucht, die zwischen Januar und Juli 2020 in der Süddeutschen Zeitung, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sowie im Tagesspiegel erschienen. Dieses Vorgehen sowie das kleine Zeitfenster der Analyse mindern zwar die inhaltlichen Möglichkeiten, die das Thema zu bieten hat, nicht aber die Aussagekraft des Papiers. Oder anders gesagt: Es wäre sicherlich spannend gewesen, auch die Springer-Zeitungen in die Untersuchungen einzubeziehen, Gastbeiträge aus der Zeit vor der Corona-Pandemie zu untersuchen oder Gastautoren zu beleuchten, die nicht SPD, FDP oder Union angehören. Jedoch scheint das Thema ‚Gastbeitrag‘ brisant genug, um auch anhand weniger Beispiele deutlich zu machen: So nicht. Marvin Oppongs Analyse macht deutlich, dass Gastbeiträge von Politikern in ihrer aktuellen Praxis nicht den Grundlagen des unabhängigen Journalismus‘ entsprechen und somit als Darstellungsform in Tageszeitungen und auf deren Online-Portalen dringend hinterfragt werden sollten.
Problembereich: Interessen
„Politiker*innen und ihre Stäbe können über Gastbeiträge ihre Positionen in den Diskurs einbringen, Themen auf die Agenda setzen oder im Vorfeld eines Ereignisses eine Debatte beeinflussen“, schreibt Oppong. Er führt ganz konkrete Beispiele für diese Praxis an: Anders Fogh Rasmussen, ehemaliger NATO-Generalsekretär, der in einem Gastbeitrag in der SZ im April 2020 vor chinesischen Investitionen in der Ukraine warnte. Rasmussen ist auch CEO der Consultingfirma Rasmussen Global und beriet den ehemaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko.
Ein anderes Beispiel ist die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die immer wieder „wegen ihrer Nähe zur (Lebensmittel-)Industrie […] in die Kritik geriet“. Klöckner veröffentlichte im Juli 2020 im Tagesspiegel einen Gastbeitrag zu den Vorteilen von Gentechnik. Nicht erwähnt würden laut Marvin Oppong die Nachteile und Gefahren.
Problembereich: Hintergrund
Auch der Frage danach, wer überhaupt die Verfasser von Gastbeiträgen sind, geht Marvin Oppong nach – und kommt zu einem erwartbaren Schluss: Die meisten Autoren sind „männlich, westdeutsch, ohne Migrationshintergrund“. 34 der 72 Beiträge (47%) stammen von Politikern der Regierungsparteien CDU/CSU (21) und SPD (13), elf davon unmittelbar von Regierungsmitgliedern. Von der FDP kamen im Untersuchungszeitraum 15 Beiträge (ca. 21%), von der AfD keine.
Thematisch gestalten sich die Gastbeiträge – womöglich nicht zuletzt aufgrund der Auswahl des Untersuchungszeitraums – eher homogen: „Von den 72 untersuchten Gastbeiträgen befassen sich 36 (50 Prozent) zentral oder partiell mit der Corona-Pandemie“. Weitere Themen sind China und die Wirtschaftsmacht der Volksrepublik, Militäreinsätze, Atomwaffen und Gentechnik.
Problembereich: Reflektion
„Im Format des Gastbeitrages steht ihnen [Anm.: den Äußerungen der Politiker] keine kritische Reflektion und keine Einordnung seitens der Redaktion gegenüber“, schreibt Oppong. „Bei Gastbeiträgen ist die Perspektive […] eindimensional: Die Autor*innen können ihre Botschaften ungefiltert loswerden wie in der Werbung – und gelegentlich klingen die Gastbeiträge auch so“ (ebd.). Als Beispiel führt er ein Zitat aus einem Gastbeitrag von Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) an: „‚Deutschland soll ein Land der Glückskinder sein! Und Glücksinder gibt es nicht allein, überhaupt gibt es kein Glück alleine‘“.
Für die Inhalte von Gastbeiträgen scheine es laut Marvin Oppong „keine besonderen Richtlinien“ zu geben. Kontroversen Themen räumt er größere Chancen ein, veröffentlicht zu werden. Außerdem dürfte die Prominenz der Autoren, vor allem von Bundespolitikern, eine Rolle spielen und vor allem für Boulevardblätter kommerziell attraktiv sein.
Auffällig sei laut Oppong die Aufbereitung der Texte: „Einigen […] merkt man an, dass sie offenbar ohne größere Sorgfalt ins Blatt bzw. auf die Website gesetzt wurden“. Vor allem würden Zeilenumbrüche und Hyperlinks falsch gesetzt.
Oppong resümiert: „Wer ohnehin schon in der Politik bekannt ist, dem wird durch die Gastbeiträge noch größerer publizistischer Raum gegeben“. Er mahnt: „Eine kritische Presse sollte – mitunter umstrittene – Positionen von Politiker*innen nur in sehr begrenztem Ausmaß ungefiltert verbreiten“. Oppong warnt im Zusammenhang mit Gastbeiträgen von Politikern vor einem „Meinungskartell der immer gleichen Köpfe und Positionen“.
Auf der Website der Otto Brenner Stiftung steht die Analyse als Download bereit.
Schlagwörter:Gastbeiträge, Interessenskonflikte, Marvin Oppong, Otto Brenner Stiftung, Politik, Politiker, Zeitungen