Der Journalismus braucht jede erdenkliche Hilfe, und die meisten Medien sind nicht in der Lage, finanzielle Unterstützung abzulehnen – auch nicht von Plattformunternehmen wie Google und Facebook. Alexandra Borchardt vom Reuters Institute gibt Tipps für Geldgeber und Geförderte.
Es ist schon etwas seltsam, eine Debatte über den Einfluss von Big Tech auf die Medien auf einem Festival zu führen, das größtenteils von Google und Facebook finanziert wird – so kürzlich geschehen auf dem International Journalism Festival in Perugia. Willkommen in der neuen Medien-Welt, in dem mächtige Plattformunternehmen das Sagen haben und Anbieter von Journalismus kaum mithalten können.
Big Tech und Mainstream-Medien sind in einer Art Hassliebe verbunden – es ist eine Beziehung, in der auch Heuchelei eine Rolle spielt. Diejenigen, die die Giganten des Silicon Valley oft in der Öffentlichkeit kritisieren, nehmen gerne deren Geld, wenn es ihnen angeboten wird. Es ist Zeit für eine pragmatischere Herangehensweise.
Technologieunternehmen beeinflussen die Medien auf unterschiedliche Art und Weise. Allen voran bestimmen ihre Algorithmen die Inhalte, die von Nutzern gesehen werden. Wenn Facebook – wie 2018 – beschließt, Journalismus zurückzustufen, sehen die Nutzer weniger Nachrichten in ihren Feeds. Die Art und Weise, in der Google Suchergebnisse sortiert, bestimmt die Präsenz von Medienmarken.
Zweitens prägen Plattformunternehmen die Entscheidung von Redaktionen, welche Innovationsprojekte und Storytelling-Formaten sie vorantreiben. Neue Technologieprojekte bekommen fast immer das Label „Innovation“, unabhängig davon, ob sie wirklich innovativ sind oder nicht. „Wenn es um Innovationen in Redaktionen geht, wird vermehrt gefragt ‚Was würde Google wollen?‘ – und das beeinflusst, was Redaktionen entwickeln wollen, sei es Virtual Reality, Voice Skills oder Foto-Mediatheken“, schreibt Emily Bell vom Tow Center. Die Folge ist, dass andere Bereiche, in denen Innovationen dringend benötigt werden, wie zum Beispiel Führungskultur, Prozesse, Talentakquise und -bindung, eher vernachlässigt werden.
Drittens finanzieren große Technologieunternehmen Projekte direkt. Sie unterstützen Entwicklungen, Recherchen, Ausbildung und dergleichen. Das von Netzpolitik, Republik und Falter unter der Leitung von Alexander Fanta durchgeführte Verbundforschungsprojekt „The Publishers’ Patron“ zeigt, welchen Beitrag die Digital News Initiative (DNI) von Google für Innovationen im Journalismus leistet.
Keine strikte Trennung mehr zwischen redaktioneller und unternehmerischer Seite
Hilft das dem Journalismus? Natürlich waren die Medien nie völlig unabhängig von dem Umfeld, in dem sie tätig sind. Sie hatten schon immer mit mächtigen Eigentümern, Werbekunden und politischen Interessen zu kämpfen. Und machen wir uns nichts vor: Auch das Crowdfunding schafft Abhängigkeiten, wenn sich die Geldgeber im Stich gelassen fühlen, wie die hitzige Debatte um den unerwarteten Rückzug des niederländischen Online-Magazins De Correspondent aus den USA gezeigt hat.
Zugegeben, die Situation hat sich in den letzten Jahren verändert. Früher gab es eine klare Trennung zwischen der redaktionellen und der unternehmerischen Seite, die nicht perfekt war, aber zumindest ein Versuch, die Redaktionen vor äußeren Einflüssen zu schützen. Damit ist nun Schluss, denn in einem digitalen Umfeld, in dem Produktentwicklung, Marketing und Redaktion Hand in Hand arbeiten müssen, ist eine strikte Trennung nicht sinnvoll. Darüber hinaus haben Plattformen einen viel größeren Einfluss auf das Tagesgeschäft der Nachrichtenproduktion als andere Interessen je zuvor.
Der Journalismus braucht jede erdenkliche Hilfe – und die meisten Medien sind nicht in der Lage, die (gut gemeinte) Unterstützung abzulehnen. Die Washington Post unter ihrem Eigentümer, Amazon-Chef Jeff Bezos, ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Medienunternehmen unter bestimmten Bedingungen florieren kann – die wichtigsten davon sind stabile, transparente Investitionen und redaktionelle Unabhängigkeit.
Im Folgenden einige Überlegungen, was beide Seiten beachten müssen, bevor sie sich dazu entscheiden, sich finanzieren zu lassen oder zu finanzieren, egal ob es um eine Redaktion, eine Forschungseinrichtung, um Wissensaustausch oder um Instrumente, die die redaktionelle Arbeit erleichtern sollen, geht.
Tipps für Geförderte
- Stellen Sie sicher, dass Ihre Finanzierung aus unterschiedlichen zuverlässigen Quellen stammt. Als Werbung noch den Großteil des Journalismus finanzierte, waren unterschiedliche Einkommensquellen die Regel, und dies sollte auch weiterhin gelten. Ihre Redaktion oder Ihr Institut sollten nicht von einer Einnahmequelle abhängig sein.
- Überlegen Sie, wofür das Geld verwendet werden soll. Handelt es sich um ein kleineres Experiment oder um ein genau definiertes Projekt, oder hat es Auswirkungen auf das Kerngeschäft? Dies beeinflusst die Vorsichtsmaßnahmen, die getroffen werden müssen. Verwenden Sie das Geld nicht für Recherchen, die in direktem Zusammenhang mit dem Geldgeber stehen. Zum Beispiel ist es keine gute Idee, mit Geld von Google den Einfluss von Google zu untersuchen. (Es muss für die Reporter der Washington Post knifflig sein, über Amazon zu recherchieren, auch wenn sie behaupten, dass sie nichts daran hindern könnte.)
- Nehmen Sie nur Geld für Projekte an, die zu Ihrer Strategie passen. Jedes Medienunternehmen ist anders: Publikum, Geschäftsumfeld, Auftrag und Bedürfnisse variieren. Anstatt sich von attraktiven Offerten verführen zu lassen, prüfen Sie das Förderungsangebot genau. Passt es zu Ihren speziellen Bedürfnissen? Ermöglicht es Ihnen weitere Fortschritte auf Ihrem gewählten Weg? Oder ist es nur etwas, das Spaß macht? Nichts gegen Spaß, aber wenn die Finanzierung ausläuft, werden Sie eine Reihe von Experten haben, die Sie nicht mehr brauchen und könnten feststellen, dass Sie in der Zwischenzeit andere, relevantere Bereiche vernachlässigt haben.
- Stellen Sie sicher, dass die Geldgeber nicht in Ihre Recherchen und Inhalte eingreifen. Denken Sie vorher über die Geschäftsbedingungen nach. Lesen Sie das Kleingedruckte. Richten Sie, falls erforderlich, eine unabhängige Aufsicht ein. Dies ist besonders wichtig für akademische Institutionen.
- Denken Sie an Ihren Ruf. Bevor man große Ankündigungen macht, sollte man eine Kommunikationsstrategie haben. Die TU München zum Beispiel hatte es kürzlich schwer, sich der Kritik zu entziehen, nachdem sie verkündet hatte, dass Facebook mit rund 6,5 Millionen den Aufbau eines Instituts für Ethik in der Künstlichen Intelligenz fördert.
- Verzichten Sie auf Zuschüsse, wenn Sie können. Unabhängigkeit ist wunderbar und unerlässlich, damit der Journalismus seine Rolle in einer demokratischen Gesellschaft erfüllen kann. Obwohl es so etwas wie völlige Unabhängigkeit nicht gibt, ist es am besten, zusätzliche Abhängigkeiten zu vermeiden.
Tipps für Geldgeber
- Beeinflussen Sie mit Ihrer Förderung keine Inhalte. Respektieren Sie unabhängigen Journalismus und unabhängige Recherchen als öffentliches Gut und tun Sie nichts, was dies gefährden könnte.
- Machen Sie die Finanzierung nicht von politischen Zielen abhängig – und wenn ja, seien Sie transparent. Kritische Beobachter vermuten immer eine versteckte politische Agenda, und Sie werden scheitern, wenn Sie zwar Neutralität und Nichteinmischung predigen, diese Grundsätze aber in der Praxis nicht befolgen.
- Drohen Sie niemals damit, die Finanzierung zu beenden. Seien Sie sich Ihrer Machtposition bewusst und behandeln Ihre Partner mit Respekt. Achten Sie darauf, dass Sie ihre Abhängigkeit nicht verstärken.
- Hören Sie auf die Geförderten. Finden Sie heraus, was sie wirklich brauchen. Sagen Sie ihnen nicht, was sie brauchen sollten, oder überreden Sie sie nicht zu Projekten, für die sie keine Kapazitäten haben.
- Prüfen Sie Bewerber genau. Es ist peinlich, wenn Sie Mittel zurückziehen müssen, weil Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, z.B. wenn Sie die politische Loyalität eines Empfängers nicht überprüft haben – so wie Google, das eine ungarische Nachrichten-Website fördern wollte und das Angebot zurückziehen musste, nach Kritik, die Website würde rechte Propaganda verbreiten.
- Vorhersehbarkeit und Transparenz sind wichtig. Unternehmen brauchen langfristiges Engagement, um planen zu können und ihren Mitarbeitern Sicherheit zu geben. Sie müssen wissen, wo sie sich befinden.
- Wenn Sie wirklich etwas bewegen wollen, fördern Sie das Projekt mit mehr als nur ein bisschen Taschengeld.
- Zahlen Sie Ihre Steuern. Die Traditionen des Gebens unterscheiden sich in den USA und Europa. In Amerika dominiert die Idee von Wohltätigkeit. Der Geldgeber entscheidet am liebsten selbst, für was sein Geld verwendet wir. In Europa läuft Förderung über das Steuersystem. Das Geld wird über demokratische Prozesse umverteilt, die Gesellschaft setzt die Prioritäten. Versuchen Sie nicht, sich über den demokratischen Prozess hinwegzusetzen, wenn Sie in Europa tätig sind.
Die Plattformunternehmen begründen ihr Engagement in der Medienbranche oft damit, sie wollten „etwas zurückgeben“. Diese Herangehensweise ist sehr geschäftsmäßig. Der Journalismus hat in Demokratien eine tragende Rolle. Idealerweise sorgt er dafür, dass alle Interessen Gehör finden, Mächtige zur Rechenschaft gezogen werden und den Bürgern alle Informationen zur Verfügung gestellt werden, die sie benötigen. Das trägt zu Stabilität in freien Gesellschaften bei. Das Engagement von Big-Tech in den Medien sollte eher als „gemeinsame Verantwortung“ betrachtet werden, in dem diejenigen, die mehr haben, gerne mehr beitragen.
Offenlegung:
Die Autorin war früher Chefin vom Dienst bei der Süddeutschen Zeitung, die keine Zuschüsse von Google akzeptiert. Zurzeit leitet sie die Leadership-Programme am Reuters Institute for the Study of Journalism der University of Oxford. Während das Reuters Institute umfangreiche Zuschüsse von Plattformunternehmen (einschließlich Google) erhält, werden die Leadership-Programme von den Kunden finanziert und konkurrieren so mit kostenlosen, von Google finanzierten Bildungsprogrammen. Borchardt schreibt außerdem eine regelmäßige Medienkolumne für die Online-Plattform NewsMavens, die von der Google News Initiative finanziert wird.
Foto: © Jürgen Welker
Dieser Beitrag wurde auch auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht.
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