Empörung als Chance

8. April 2015 • Qualität & Ethik • von

Die Art und Weise, wie manche Medien in Deutschland nach dem tragischen Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine berichtet haben, hat viel Kritik hervorgerufen. Um die Glaubwürdigkeit des Journalismus nicht weiter zu verspielen, fordert Marlis Prinzing einen medienethischen Kompass für die Berichterstattung über Katastrophen.

 

Ja, jedes Medium muss über den Absturz der Germanwings-Maschine berichten. Ja, die Motive eines Täters sind ein Thema. Ja, das Leiden von Opfern ist ein Thema. Es ist wie meistens: die Frage ist nicht, OB berichtet wird, sondern WIE: Wie lange wird drauf gehalten, wie tief wird der Finger in die Wunden gelegt, wie häufig, wie oft? Wie wird bebildert? Wie wird recherchiert, welche Zusammenhänge werden gezeigt und welche Widersprüche, wonach wird gefragt, wer wird befragt, wann wird geschwiegen? Dies alles gehört auch zur Rechercheethik – einem von mehreren Bereichen der journalistischen Berufsethik.

Ohne die geht es nicht. Doch von der wissen zu wenige. Das spiegelt sich in Varianten der gegenwärtigen Berichterstattung über den Absturz ebenso wie in manchen Publikumsreaktionen; das spiegelt sich in der Empörung der einen über die anderen und umgekehrt sowie in der Heftigkeit, wie diskutiert wird.

Nutzen wir die Empörung als Anstoß zu weiteren, konstruktiven Gesprächen! Es geht um ein Dilemma, das wir dringend überwinden müssen.

1. Journalisten, das zeigen die gegenwärtigen Debatten wieder, haben einen Beruf, der zunehmend ausgehöhlt, banalisiert, kommerzialisiert, pauschal für verantwortungslos erklärt wird: Nie standen Journalisten so unter Verdacht als Fälscher oder Störenfriede. Nie wurde journalistische Arbeit auf breiter Ebene derart entwertet. Nie war der Druck, unter dem Journalisten standen, so hoch. Druck durch Verleger und Medienmanager, Druck durch Anwälte, die Medienhäuser und Redaktionen gängeln, Druck auch durch ein Publikum, dem Journalisten zu selten vermittelt haben, was sie eigentlich wollen und sollen und das demzufolge nun auch kaum unterscheiden kann, was seriös ist und was heiße Luft.

2. Journalismus bleibt einer der verantwortungsvollsten Berufe in einer demokratischen Gesellschaft. Wer den Journalismus unter Druck setzt, ihn gängelt, ihn entwertet, der höhlt letztendlich unsere demokratische Grundordnung aus. Wer dem Journalismus – und damit der professionellen Vermittlung, Orientierung, Kontrolle und Kritik – seine Wertigkeit abspricht, beraubt ihn seines Goldstandards, der Glaubwürdigkeit.

Ich vergleiche die Verantwortung, die Journalisten für einen gesunden öffentlichen Diskurs haben, mit jener Verantwortung, die Ärzte für die Volksgesundheit haben. Medizin ist ein Muss. Und der öffentliche Diskurs ist ebenfalls ein Muss. Damit dieser Diskus fair abläuft, braucht es Regeln. Diese liefert die Medienethik.

Sie umfasst auch die Medienwirtschaftsethik. Es ist eine ethische Frage, welche Art von Arbeitsbedingungen Medienmanager ihren Journalisten zumuten. Sie umfasst ferner die Publikumsethik: JEDER, der publiziert, einen Bericht oder einen Kommentar, sollte wissen, was er damit auslösen kann; und jeder, der Medienbeiträge nutzt, sollte sich klar sein, dass er auch durch sein Verhalten als Konsument dazu beiträgt, welche Art(en) von Journalismus es gibt. Wiederum zum medienethischen Bereich der journalistischen Berufsethik gehört, dem Publikum transparent zu machen, weshalb man auf eine bestimmte Weise berichtet.

Nutzen wir die gegenwärtige Empörung für eine Erkenntnis: Wir alle brauchen einen medienethischen Kompass.

Erstveröffentlichung: W&V vom 31.3.2015

 

Bildquelle: Jordi Boixareu/flickr.com

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