Den Regionaljournalismus neu erfinden? Hinter den Kulissen von Katapult MV

1. März 2024 • Aktuelle Beiträge, Redaktion & Ökonomie • von

Katapult, ein populärwissenschaftliches Magazin, wurde im März 2015 in Greifswald gegründet. Seit dem 1. Juni 2021 erscheint die regionale Zeitung ‘Katapult MV’ in Mecklenburg-Vorpommern. Im Jahr 2023 kündigte die Redaktion von Katapult MV Insolvenz an, konnte diese jedoch abwenden und beschäftigt derzeit fünf Redakteure in Greifswald. In diesem Interview diskutiert Aydan Adzhimuradova, EJO-Stipendiatin bei den European Journalism-Fellowships der Freien Universität Berlin, mit Katapult MV-Chefredakteur Patrick Hinz über die aktuellen Herausforderungen im Lokaljournalismus.

Patrick Hinz

Aydan Adzhimuradova: Während viele Verlage mit dem Sterben von Lokalzeitungen konfrontiert sind, habt ihr eine Regionalzeitung gegründet. Aus welchen Gründen?

Patrick Hinz: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es 1,6 Millionen Leute und für diese Leute gab es nur drei Tageszeitungen, die politisch gelegentlich kontrovers waren. Manche haben sehr reißerisch und sensationell über Skandale oder Unglücke berichtet. Vor allem zeigten einige eine eher rechtsgerichtete Perspektive.

Das fanden wir nicht gut und wollten quasi mit Katapult MV eine Alternative anbieten, weil wir der Ansicht sind, dass Vielfalt an Meinungen wesentlich für eine funktionierende Demokratie ist.

 

Wie versucht ihr, den lokalen oder regionalen Journalismus neu zu erfinden?

Einerseits, obwohl wir auch konventionelle Texte verfassen, legen wir einen Schwerpunkt darauf, Inhalte leicht zugänglich zu machen. Dies ermöglicht es den Leser:innen, komplexe Themen einfacher zu verstehen, ohne viel Zeit investieren zu müssen.

Des Weiteren versuchen wir eine gute Balance zwischen analogem (Print) und digitalem (Online) Content zu finden. Dabei setzen wir auf einen Medienmix, der Grafiken, Texte, Fotos und Filme einschließt.

Können Sie mehr über den Umgang der Redaktion mit der digitalen Transformation im Journalismus erzählen, insbesondere in Hinblick auf Onlineplattformen?

Das war für uns ein bisschen schwierig, denn wir sind ja relativ jung, unsere Redaktion gibt es erst seit zweieinhalb Jahren. Deswegen haben wir von Anfang an auch auf online gesetzt. Unsere wichtigsten Instrumente sind unsere Website und unser Instagram-/Facebook- Account. Wir haben auch eine Plattform auf Mastodon sowie Telegram- und WhatsApp-Kanäle.

Dank dieser Social-Media-Plattformen können wir überhaupt existieren. Sie ermöglichen es uns, unsere Beiträge zu veröffentlichen und eine größere Leserschaft zu erreichen, was wiederum zur Finanzierung beiträgt. Mittlerweile sind über 2000 Artikel auf unserer Website frei zugänglich, und ein Großteil davon stammt aus den Zeitungen, die man entweder durch ein Abonnement nach Hause geliefert bekommt oder im Kiosk kaufen kann. Unsere Herausforderung liegt eher darin, die gedruckte Ausgabe zu produzieren, da wir uns hauptsächlich auf Online-Inhalte konzentrieren. Es erfordert daher einen größeren Aufwand von uns, einmal im Monat eine gedruckte Ausgabe zu erstellen.

 

Im Jahr 2023 musste Katapult MV seine Insolvenz bekanntgeben. Wie sieht die langfristige Strategie der Redaktion aus, um zukünftige finanzielle Herausforderungen zu bewältigen und eine erneute Insolvenz zu verhindern?

Wir haben zunächst versucht, unsere Druckkosten möglichst zu reduzieren. Das waren unsere größten Baustellen. Dadurch haben wir viel eingespart. Zudem haben wir tatsächlich unsere Abo-Preise erhöhen müssen. Die Standard-Abonnements sind um 2,5 € teurer geworden, von 5 € auf 7,50 €. Durch diese Einsparungen und die Preiserhöhung befinden wir uns nun in einer wirtschaftlich stabilen Lage für das aktuelle Team.

Bei uns ist aber auch ganz klar, dass wir nur Leute einstellen werden und das Team auch nur wachsen kann, wenn wir mehr Abos generieren. Das heißt, dass wir nicht einfach neue Leute einstellen können, wenn die finanzielle Lage ungewiss ist. Lieber arbeiten wir weiterhin mit einem kleinen Team, aber stabil, anstatt ein wirtschaftliches Risiko einzugehen.

Perspektivisch wünschen wir uns aber schon, dass wir noch größer werden. Wir möchten gerne Mitarbeiter in Rostock, Schwerin und Brandenburg haben, um mehr Veranstaltungen abdecken und lokal präsent sein zu können. Derzeit sind wir erfolgreich in Vorpommern sowie in Rostock und Stralsund vertreten, da wir dort bereits Mitarbeiter haben. Aber in anderen Teilen des Landes gestaltet sich dies schwierig, da wir immer eine Stunde oder zwei fahren müssen.

 

Vor welche finanziellen Herausforderungen stellt Sie die Situation im Bereich Journalismus aktuell und wie gehen Sie damit um?

Bei klassischen Zeitungen hört man oft von Druckerei-Schließungen oder der vollständigen Einstellung von Zeitungen, die dann von anderen Medienhäusern aufgekauft werden. Wir sind gerade jetzt noch unabhängig und das funktioniert nur, weil wir ein ganz gutes Finanzierungsmodell haben. Die finanzielle Unterstützung erfolgt nach einem solidarischen Prinzip, bei dem die Abonnenten selbst den Betrag wählen können, den sie monatlich zahlen möchten, zwischen drei und 100 Euro. Diejenigen Mitglieder unserer Community, die beispielsweise 15 Euro zahlen, ermöglichen so Abonnements für diejenigen, die nur 3 Euro zahlen. Gleichzeitig tragen sie dazu bei, dass wir alle Beiträge werbefrei und für alle ohne Paywall bereitstellen.

Obwohl dieses Modell gut funktioniert, sehen wir uns mit der Herausforderung des Wachstums konfrontiert. Als kleines Team müssen wir nicht nur unsere journalistische Arbeit bewältigen, sondern auch bürokratische Aufgaben, Personalmanagement und Marketing, um zu expandieren.

Um wirtschaftlich zu bleiben, haben wir bereits Maßnahmen ergriffen, wie beispielsweise die Umstellung von Druckkosten. Innerhalb von anderthalb Jahren haben wir das Papier und das Format gewechselt sowie Anpassungen im Versand vorgenommen, um Kosten zu senken und unsere Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten.

Die andere Schwierigkeit besteht darin, neue Menschen zu erreichen, insbesondere weil unsere Ausrichtung oft weder als konservativ noch als liberal wahrgenommen wird. Daher sprechen wir wahrscheinlich nur eine gewisse Zielgruppe an, und diese ist begrenzt.

 

Wie hat sich die Personalstruktur in der Redaktion entwickelt und welche Auswirkungen hat die Ressourcenmangel auf die Qualität der Berichterstattung?

Um Journalismus zu betreiben, benötigt man im Grunde genommen nicht viel – lediglich Zugang zum Internet und einen Computer oder ein Handy sowie Unterstützung von Menschen mit etwas journalistischer Erfahrung. Daher bin ich der Ansicht, dass es uns nicht an journalistischer Qualität mangelt, nur weil wir nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügen.

Die Personalstruktur entstand von Anfang an so, dass wir alle relativ jung waren und die meisten von uns etwa 30 plus/minus drei, vier Jahre alt waren, als wir in ein Team kamen, das wenig Erfahrung in der Redaktionsarbeit hatte. Wir wussten nicht genau, wie eine Redaktion zusammengestellt sein sollte.

Seitdem ich vor einem Jahr Chefredakteur wurde, habe ich gemeinsam mit unserer Redaktionsleitung einen neuen Plan entwickelt, um die Arbeit effizienter zu gestalten. Vor allem wollten wir sicherstellen, dass wir nicht ständig unter Druck arbeiten müssen, obwohl der Lokaljournalismus uns dazu zwingt, auf Aktualität zu setzen.

 

Inwiefern hat die Konkurrenz durch soziale Medien die Arbeitsweise und Berichte im Lokaljournalismus beeinflusst?

Uns passiert es oft, dass wir mit der Art und Weise von Berichterstattungen anderer Medienhäuser im Land unzufrieden sind. Wenn man nach journalistischen Standards arbeitet, dann kommt man am Pressekodex nicht vorbei. Einige Medien, beispielsweise der Nordkurier, haben bereits mehrere Rügen vom Presserat erhalten, da sie gegen den Pressekodex verstoßen haben.

Manchmal verharmlosen andere Medien bestimmte Strukturen im Bundesland, insbesondere wenn es um rechte Strukturen geht. Es wird voreingenommen über Demonstrationen und Proteste berichtet. Ein Beispiel war die große Demo von 1.500 Menschen in Greifswald am Montag, 23. Januar, gegen Rechtsextremismus. In einer Zeitung wurde berichtet, dass dort Ärger und Hetze von denjenigen ausgingen, die sich für Demokratie einsetzten. Andererseits schreibt die Zeitung über eine Demo in Lubmin als eine Veranstaltung aus der Mitte der Gesellschaft, obwohl wir dort viele rechte Symbole sahen und rechtsextreme Magazine verteilt wurden.

Wir schauen also darauf, wie viel berichtet wird, und versuchen, unsere Perspektive einzubringen, um ein Gegengewicht zu schaffen. Wir versuchen, zu vermeiden, Menschen zu verunglimpfen. Für uns ist die Glaubwürdigkeit von höchster Bedeutung, daher sind alle Texte mit Quellen und Fußnoten versehen, die alles belegen können. Das sind durchweg valide Quellen wie Ministerien, Ämter, Landkreise, Pressestellen und wissenschaftliche Arbeiten, andere tun das oft nicht.

 

Inwiefern spielt Bürgerbeteiligung eine Rolle im Lokaljournalismus und welche innovativen Ansätze verfolgt die Redaktion?

Bürgerbeteiligung ist sehr wichtig. Das fängt bereits bei Veranstaltungstipps und ähnlichem an – es hat einen klaren Bezug zur Bürgerbeteiligung, wenn Menschen über ihre lokale Zeitung darüber informiert werden, wo etwas stattfindet.

Gleichzeitig ermöglichen Leserbriefe Interaktion, auch wenn es manchmal nicht optimal ist, wie diese eingeordnet oder abgebildet werden. Es ist auch schon passiert, dass schwieriges Gedankengut aus der rechten Szene so über den Nordkurier geteilt wurde. Unser Ansatz der Bürgerbeteiligung ist ein bisschen anders. Wir pflegen einen sehr persönlichen Newsletter und eine individuelle Ansprache in den sozialen Medien. Wir tauschen Feedback aus und kriegen so auch ganz viele Themenvorschläge.

Manche Leute fragen uns, ob wir uns mit einem bestimmten Thema beschäftigen können, weil es sie interessiert oder weil es ein Problem vor ihrer Haustür ist. Da wir nur ein kleines Team von fünf Personen sind, hat jeder von uns regelmäßigen Kontakt zur Community. Ich denke, es ist äußerst wichtig, diesen persönlichen Draht zu haben, auch wenn dies bei manchen Medien möglicherweise vielleicht immer ein bisschen unter geht.

 

Welche Themen sind in diesem Jahr besonders wichtig für Katapult MV?

Unsere Schwerpunkte lagen immer in den Bereichen Politik, Soziales und Umwelt. Besonders im Fokus steht in diesem Jahr, also im Juni 2024, die Entwicklung der Kommunalwahlen. Diese Wahlen sind von großer Bedeutung, da Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Menschen in die Kommunalpolitik gewählt werden. Dabei handelt es sich um ehrenamtliche Bürgermeister und Vertretungen. Eines unserer wichtigsten Projekte besteht darin, diese Wahlen zu begleiten und die Menschen darauf aufmerksam zu machen und dazu zu ermutigen, demokratische Parteien zu wählen.

Außerdem ist es wichtig, auf die wachsende Anzahl rechter und konservativer Kandidaten hinzuweisen. Die AfD gewinnt an Zuspruch, und wir setzen uns dafür ein, Aufklärungsarbeit zu leisten. Unser Ziel ist es, zu zeigen, dass die Politik der AfD sowohl auf Bundesebene als auch auf kommunaler Ebene keine positiven Ergebnisse bringt und die Partei im Grunde antidemokratisch handelt. Unsere politischen Themen konzentrieren sich darauf, kritische Aspekte wie politische Strukturen, Ungleichheit und politische Unfairness zu beleuchten. Allein dafür, dass wir diese Arbeit leisten, erhalten wir viel Zuspruch. Das ist ein totaler Erfolg für uns, wenn wir durch einen Artikel neue Abonnenten gewinnen, weil wir die Menschen durch unsere Arbeitsweise überzeugt haben. Das geschieht besonders häufig durch politische und kritische politische Berichterstattung.

 

Welche Rolle nimmt Ihr Medium als Informationsquelle für die lokale Bevölkerung ein und wie trägt das zur Stärkung der lokalen Gemeinschaft bei?

Ich bin überzeugt, dass unsere Berichterstattung zu einem Diskurs beiträgt und Leute anspricht, die ihre Perspektive in den etablierten Medien des Landes nicht ausreichend repräsentiert sehen. Viele empfinden die Einstellung als zu konservativ oder die Berichterstattung als nicht sorgfältig genug.

Es gab bereits mehrere Situationen, in denen unsere Artikel zu sozialen oder politischen Themen direkte Reaktion hervorgerufen haben. Das reichte von Telefonaten mit der Oberbürgermeisterin bis hin zu Konsequenzen wie der Entlassung von Pädagogen, die sich unangemessen gegenüber Kindern und Jugendlichen verhalten haben.

Man sollte sich eigentlich immer bei jedem Thema hinterfragen: Hat das alles seine Richtigkeit? Bevor ich einen Beitrag poste, überlege ich es mir wirklich dreimal, denn am anderen Ende können 25.000 Menschen diesen Beitrag sehen, sei es auf Instagram oder der Webseite.

Für eine saubere Belegung überprüfen wir alle in den Text integrierten Quellen. Dies können zwei oder drei Quellen sein, aber bei umfangreichen Texten auch 40 bis 50 Quellen. Obwohl wir vor der Veröffentlichung hohe Qualitätsstandards einhalten, kann es auch passieren, dass wir nach der Veröffentlichung feststellen, dass wir etwas falsch formuliert oder einen Sachverhalt falsch verstanden haben. In dem Fall erarbeiten wir immer eine Korrektur, integrieren Anmerkungen oder bearbeiten den Text in den sozialen Medien entsprechend.

Wenn es kritische Stimmen gibt, dann hat das meistens mit einer politischen Grundeinstellung zu tun. manchmal nehmen wir die Kritik an oder treten in die Diskussion ein. Wir versuchen dabei, unsere Perspektive zu erklären oder mit Argumenten zu belegen. Wenn es aber in den sozialen Medien wirklich zu Hasskommentaren, Hetze oder tatsächlichen Bedrohungen kommt, melden wir das, löschen Kommentare und bringen sie gegebenenfalls sogar zur Anzeige. Es ist wichtig, sich der Macht bewusst zu sein, besonders wenn man Personen oder Politiker in den Fokus der Berichterstattung stellt. Diese Verantwortung bedeutet auch, sich regelmäßig mit Kritik auseinanderzusetzen.

 

Inwiefern ist Ihrer Meinung nach externe Unterstützung und Förderung notwendig, um die Zukunft des Lokaljournalismus in Deutschland zu sichern?

Viele Menschen in Deutschland hegen einen starken Frust gegenüber den öffentlich-rechtlichen Medien. Aus meiner Perspektive arbeiten die öffentlich-rechtlichen Medien größtenteils gut und sauber. Dennoch ist dies ein Thema, da die Menschen den Medien oft nicht richtig vertrauen.

Trotzdem halte ich es für wichtig, dass es viele unabhängige Medien gibt, sei es kleinere wie unseres oder größere wie die taz, die Süddeutsche, usw. Diese Vielfalt ist entscheidend. Daher gestaltet sich die Frage nach Förderung als schwierig. Ich persönlich wünsche mir vom Staat, dass er auch weiterhin die Sicherheit von Journalisten im Blick hat.

Die zunehmenden Angriffe auf Journalisten, egal ob auf dem Land oder in Großstädten wie Berlin, sind besorgniserregend. Die Stimmung wird immer aggressiver. Daher wäre es wichtig, dass der Staat Perspektiven, Ideen und Ansätze entwickelt, um die Arbeit von Journalisten sicherer zu gestalten.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

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