Detektive der Demokratie

8. Mai 2017 • Redaktion & Ökonomie • von

Das Aufdecken von Skandalen ist selten ein rentables Geschäft. Trotz widrigen wirtschaftlichen Umständen geben die Redaktionen Geld für Recherchen aus. Warum?

Würden Verleger und Chefredakteure streng nach den Regeln ökonomischer Rationalität entscheiden, dürfte es investigativen Journalismus schon längst nicht mehr geben: In aller Regel rechnet es sich nämlich nicht, Journalisten wochen- oder monatelang für eine Recherche freizustellen. Zum einen ist das Ergebnis unsicher, zum anderen lässt sich selbst dann, wenn die Reporter beim „Schmutzaufwirbeln“ Erfolg haben und einen Skandal aufdecken, der Scoop nicht mehr „monetarisieren“: Im Online-Zeitalter ist auch die exklusivste Exklusivgeschichte innerhalb weniger Minuten allgemein verfügbar. Wettbewerber, die sich nicht an den Recherchekosten beteiligt haben, werden als Trittbrettfahrer die Story ebenso ausschlachten wie diejenigen, die sie mühselig ausgebuddelt und auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft haben.

Gut für Karriere und Prestige

Gerade dieser Umstand macht es für einen Medienforscher besonders spannend, der Frage nachzuspüren, weshalb trotz widriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen in vielen Redaktionen die „Detektive der Demokratie“ weiterhin der Korruption und dem Machtmissbrauch in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hinterherschnüffeln. Der Medienökonom James Hamilton (Stanford University) meint, Medieneigner ebenso wie Journalisten würden den „Wert“ von investigativem Journalismus darin sehen, dass er Karrieren befördere, Prestige einbringe und die „ideologische Befriedigung“ verheiße, dass die Welt veränderbar ist. Hamilton lässt allerdings auch keinen Zweifel daran, dass investigativer Journalismus „mehr diskutiert als praktiziert“ wird – einfach, weil die positiven Externalitäten, die für die Gesellschaft und das Gemeinwesen entstehen können, sich nicht in den Bilanzen der Medienkonzerne niederschlagen.

Aber auch die Risiken, in Recherchen einzusteigen, sind unkalkulierbar: „Die Suche nach Geschichten ist der Exploration von Ölquellen vergleichbar“ – es bestehe Unsicherheit, ob sich das Investment auszahle. Hamilton konstatiert deshalb Marktversagen: „Gewinnorientierte Medienunternehmen, die sich über Anzeigen- und Abo-Erlöse finanzieren, werden in investigativen Journalismus nicht hinreichend investieren“. Auf der Angebotsseite, so ergänzt Hamilton nüchtern, ist es „billiger, Fakten, die andere herausgefunden haben, zu wiederholen und neu zu verpacken“.

Einer der wichtigsten Anreize für Redaktionen, sich dennoch im investigativen Journalismus zu engagieren, dürften in den USA prestigeträchtige Auszeichnungen sein – insbesondere die Pulitzer-Preise. Unter den jährlich 2400 Bewerbungen allein für diesen Preis sind viele investigative Geschichten. Hamilton hat deshalb genauer analysiert, welche Medien zu den Gewinnern zählten. Dabei fand er erwartungsgemäß heraus, dass die New York Times und die Washington Post tragende Säulen investigativer Recherche sind. Viele kleinere Medienhäuser engagierten sich dagegen mangels Ressourcen nicht mehr. Nach der Jahrtausendwende seien jeweils knapp die Hälfte der relevanten Auszeichnungen an nur fünf Medienhäuser gegangen.

Zugute kommt dem investigativen Journalismus mitunter auch irrationales Entscheiden, wie es Verhaltensökonomen konstatieren. Chefredakteure und Verleger würden, so Hamilton, mitunter auch Opfer der „Sunk Cost Fallacy“: Gerade weil man bereits viel in eine Recherche investiert hat, schießt man neuerlich Geld nach, um sie zu Ende zu bringen – statt von einem bestimmten Zeitpunkt an die Kehrtwende zu vollziehen und die sich aufaddierenden Kosten zu ignorieren, auch „wenn das im Leben und eben auch in Redaktionen hart sein kann“.

Die wünschenswerten Effekte journalistischer Aufklärungsmühsal – dass Gauner und Schurken ihre Ämter verlieren oder sogar Politik neu konzeptualisiert werden muss – würden im Übrigen sehr selten evaluiert, denn solche Bewertungsversuche können „komplex, kontrovers und kostenträchtig“ sein. „Wettbewerbsdruck und professionelle Anreizsysteme“ in den Redaktionen würden dazu führen, dass die vorhandenen knappen Ressourcen „sehr viel wahrscheinlicher“ eingesetzt würden, um mit dem jeweils nächsten Projekt „neuerlich Betrug oder Versagen aufzudecken“, statt der Frage nachzuspüren, „welche Ergebnisse die vorangehende Berichterstattung gezeitigt hat“. Das allerdings scheint sich zu ändern, seit investigativer Journalismus zunehmend von Stiftungen und Non profit-Einrichtungen finanziert wird, denn diese möchten offenbar zeigen können, dass ihre Finanzspritzen etwas bewirkt haben.

Das Versprechen von Big Data

Im Übrigen demonstriert Hamilton im Blick auf die Zukunft des investigativen Journalismus jenen Optimismus, der für das Silicon Valley und dessen Kaderschmiede, die Stanford University, so charakteristisch ist: Neue Kombinationen von Big Data und Algorithmen würden es künftig Journalisten erleichtern, „Muster zu erkennen“ und „vordem verheimlichte Aktivitäten und Intentionen von Amtsträgern zu enthüllen“, also jene Geschichten auszugraben und zu erzählen, mit denen Verantwortliche „zur Rechenschaft gezogen“ werden könnten.

Vermutlich hat dieser Optimismus auch den Ausschlag gegeben, dass Hamilton jüngst die Journalistenausbildung an der Stanford University komplett auf Datenjournalismus umgestellt hat. Auch hier bleibt Hamilton allerdings Realist: Graduierte, die über derlei Skills verfügten, hätten mannigfaltige Möglichkeiten, beruflich einträglicheren Aktivitäten nachzugehen als investigativer Redaktionsarbeit. Müssten sie dann obendrein noch teure Darlehen zurückzahlen, mit denen sie ihr Studium finanziert haben, sei ihnen der Einstieg in eine journalistische Karriere angesichts der miserablen Entlohnung von Berufseinsteigern bereits verbaut.

James T. Hamilton, Democracy’s Detectives. The Economics of Investigative Journalism, Cambridge MA/London: Harvard University Press

Erstveröffentlichung: NZZ vom 6. Mai 2017

Bildquelle: Joe Duty / Flickr CC: magnifying_glass; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

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