Ende eines geistigen Zweikampfs

24. November 2017 • Redaktion & Ökonomie • von

Wer ist die wichtigste nationale Zeitung in der Schweiz? Ein jahrzehntelanges Duell ist entschieden. 

Erste Regel: Wenn Journalisten die Kontrolle verlieren, dann verlieren sie die Kontrolle über die Worte.

Das konnte man gut beobachten, als der Tages-Anzeiger kürzlich die NZZ niedermachte.

Die NZZ, so schäumte der Tages-Anzeiger, stehe „deutlich rechts der Mitte“. Sie habe einen „Rechtsdrall“. Sie beschäftige „rechtslastige Autoren“. Als Folge davon würden „die Rechten klatschen“, und es juble „die rechte Szene“.

Der Ausdruck „rechts“ fiel im Artikel des Tages-Anzeigers zur NZZ volle zwölf Mal.

Dann kam es noch dicker. NZZ-Chefredaktor Eric Gujer, so schäumte der Tages-Anzeiger, „argumentiert nahe an völkischen Thesen“. Es war die Nazi-Keule wie aus dem Bilderbuch.

Zweite Regel: Wenn Journalisten die Kontrolle verlieren, dann geht es nicht nur um Journalismus.

Genauso ist es in diesem Fall. Vordergründig zielte die Attacke auf die NZZ auf ihre Haltung zur deutschen Migrationspolitik. In Wirklichkeit war die Attacke der Ausdruck einer schmerzvollen Niederlage.

Der Tages-Anzeiger hat das Duell gegen die NZZ verloren. Es war ein jahrzehntelanges Duell. Es ging um die Frage, welches der beiden Blätter die wichtigere nationale Zeitung sei.

Die Frage ist nun geklärt. Die bürgerliche NZZ ist das einzige Blatt, das künftig die sogenannte nationale Ausstrahlung für sich beanspruchen kann. Der linksliberale Tages-Anzeiger hat kapituliert. Er kapitulierte nach einem langen Fight.

Bis ums Jahr 1980 war die NZZ die einzige Zeitung mit nationaler Resonanz. Dann begann der Tages-Anzeiger, diese Vormachtstellung anzugreifen. Sein größter Schub kam 1992, als Roger de Weck Chefredaktor wurde. Er proklamierte die „nationale Strategie“ und baute die Redaktion massiv aus. Seitdem war der Tages-Anzeiger bei der nationalen Ausstrahlung mit der Rivalin NZZ auf Augenhöhe.

Im diesem Sommer endete das Duell. Der Tages-Anzeiger gab auf.

Der Tages-Anzeiger beschloss, seine eigene Redaktion aufzulösen. Er bezieht die Artikel für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nun aus einem zentralen Redaktions-Pool des Tamedia-Konzerns, genannt Mantelredaktion. Derselbe Pool beliefert, mit exakt denselben Artikeln, auch Regionalblätter, von Zürichsee-Zeitung bis Thuner Tagblatt.

Der Tages-Anzeiger ist damit keine unverwechselbare Marke mehr. Bei vielen Journalisten sitzt der Frust über diesen Identitätsverlust tief. Das führt zu emotionell-ideologischen Rundumschlägen gegen die Konkurrentin. Denn die leistet sich weiterhin und selbstbewusst eine autonome Redaktion.

NZZ-Chefredaktor Gujer sagt darum zu Recht: „Wir sind der unbestrittene Referenztitel des Landes.“ Über den früheren Rivalen sagt er: „Der Tages-Anzeiger ist nur noch ein Kopfblatt.“

Das ist richtig. Ein Kopfblatt ist dadurch definiert, dass es zwar einen eigenen typografischen Zeitungskopf hat, seine überregionalen Inhalte aber von einer externen Mantelredaktion bezieht.

Das Ende des Duells hat ökonomische Gründe. Beim Tages-Anzeiger-Verlag ist die Priorität der Profit. Beim NZZ-Verlag ist die Priorität die Publizistik.

Es stehen sich damit zwei Risikoprofile gegenüber. Der Tages-Anzeiger geht ein publizistisches Risiko ein, weil das Blatt verwechselbar wird. Das kommerzielle Risiko hingegen sinkt, weil man dadurch tiefere Kosten hat. Die NZZ geht kein publizistisches Risiko ein, weil das Blatt unverwechselbar bleibt. Das kommerzielle Risiko hingegen steigt, weil man dadurch höhere Kosten hat.

Als Folge gibt es nur noch eine nationale Zeitung. Ein geistiger Zweikampf ist somit beendet.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 16. November 2017

Bildquelle: pixabay.com 

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