Dieser Beitrag ist Teil der COPE-Reihe.
EU-Themen scheinen auf den ersten Blick eher für die überregionale Berichterstattung gemacht – dabei sind die Berührungspunkte zum Lokalen vielfältig und bedeutsam. Für gelungene Kohäsionspolitik ist die EU auf Nähe zu ihren Bürger*innen auch im Kleinen und Alltäglichen angewiesen und für Lokaljournalismus leitet sich daraus die Aufgabe ab, EU-Themen vor Ort erlebbar und verständlich zu machen. Eine Einordnung zum Forschungsstand und Informationsangeboten.
Dem Lokaljournalismus haftet manchmal das Klischee der Kaninchenzüchter-Berichterstattung an und einige, die im Journalismus Fuß fassen möchten, betrachten ihn nur als eine Stufe auf dem Weg zu „glamouröseren“ Jobs (Kretzschmar et al., 2009, S. 13). Dass diese Haltung der Bedeutung des Lokaljournalismus nicht gerecht wird, zeigen Forschungsergebnisse.
Demnach ist der Lokaljournalismus entscheidend für die politische Information und Partizipation sowie den sozialen Zusammenhalt (S.31f.). Nur in den lokalen Medien finden sich Informationen über politische und soziale Ereignisse im eigenen Viertel – dank dieser besonderen Nähe zum Publikum nimmt auch das Vertrauen einen hohen Stellenwert ein (Möhring, 2017). Schützeneder (2020) nennt den Lokaljournalismus daher ein „Herzstück der Gesellschaft“.
Auch die Rolle einer Plattform für den Austausch ist im Lokalen entscheidend – hier können Leser*innen sich selbst und bekannte Akteure wiederfinden; sie nimmt daher eine besondere Intergrations- und Partizipationsfunktion ein (Kretzschmar et al., 2009, S. 32).
Obwohl große deutsche Medien, darunter besonders auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk, sich den Markt erschließen möchten, ist der deutsche Lokaljournalismus besonders von Tageszeitungen geprägt, die allerdings immer mehr ins Netz und in Multimedia-Formate wandern (Kreztschmar et al., 2009, S. 71 ff.). Gekennzeichnet ist er auch furch besonders viele freie Mitarbeiter, die häufig, nicht zuletzt aufgrund mangelnder Budgets und der Zeitungskrise – unter großem Zeitdruck arbeiten (Wagner & Möhring, 2020),
EU-Berichterstattung in Deutschland
Auch mit Bezug auf EU-Themen ist der Lokaljournalismus von großer Bedeutung. Kretzschmar et al. (2009) betonen: „Wenn beispielsweise in Brüssel eine neue Müllverordnung verabschiedet wird, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die örtlichen Deponien“ (S. 31). Das heißt: die Lokalmedien brechen EU-Themen auf die Ebene herunter, auf der sie die Menschen in ihrem alltäglichen Leben betreffen – sie sind damit entscheidend für die Wahrnehmung der EU unter den Bürger*innen und für die Schaffung einer gemeinsamen Öffentlichkeit (Pluschke, 2021), also ein wichtiger Motor der Kohäsion. Für Lokaljournalist*innen leitet sich daraus eine komplexe Aufgabe und eine große Verantwortung ab: europäische Themen so aufzuarbeiten, dass sie für ein diverses lokales Publikum verständlich, und lebensnah sind und außerdem durch Transparenz zur Akzeptanz des europäischen Projekts und dessen Accountability beitragen (Liebetruth, 2008). Andernfalls kann sie auch zum Euroskeptizismus beitragen (Galpin & Trenz, 2018).
Zwar bezieht sich die Forschung zur EU-Berichterstattung häufig auf überregionale Medien (z.B. Machill, Beiler & Fischer, 2016; Heft et al., 2019; Teschendorff, 2022; Michailidou et al., 2022), allerdings finden sich auch einige Studien zum Lokalen: Rivas-de-Roca et al. (2022) haben die EU-Berichterstattung in jeweils zwei Lokalzeitungen in Deutschland, Spanien und dem Vereinigten Königreich verglichen. In allen kam die EU häufig erwähnt, allerdings oft zitiert aus Agenturquellen. In Deutschland wurde die EU aber deutlich neutraler und mit Bezug auf gesamteuropäische Themen berichtet, während sie in England eher mit Bezug auf nationale Themen und einem skeptisch bis negativen Unterton (S. 17 ff.). Pluschke (2021) schließt aus Interviews mit sechs deutschen Lokaljournalist*innen, dass die Lokalberichterstattung zu einer europäischen Öffentlichkeit und zur kritischen Kontrolle der EU-Politik beiträgt (S. 53) Allerdings bedürfe es für Berichterstattung ausreichender Mittel sowie weiterer Nachrichtenfaktoren wie Nähe; und es gibt auf dem lokalen Niveau wenig EU-Mitgliedstaaten-übergreifende journalistische Kooperationen (S. 54). Auch laut Roose (2006, 2008) gibt es dabei noch Nachholbedarf. So wird selbst in Gemeinden an den Grenzen zu europäischen Nachbarstaaten deutlich häufiger über Ereignisse in den deutschen als in den ausländischen Nachbarorten berichtet, obwohl die Bürger*innen vielfältige Kontakte mit diesen Orten und daher nach der Nachrichtenwerttheorie durchaus ein Interesse an Informationen hätten. „Bedingung für eine europäische Gesellschaft wäre, dass die nationalstaatlichen EU-
Binnengrenzen für das Interesse der Menschen aneinander nicht erheblich ist.“ (Roose 2008, S. 4484) – dennoch hat sich ein europäischer Journalismus (Russ-Mohl, 2003) noch nicht in erheblichem Maße entwickelt.
Quellen, Seminare, Projekte und Kollaboration
Zahlreiche Anbieter bieten nützliche Informationen, Ressourcen oder Schulungsangebote, die Journalist*innen bei der Berichterstattung über die EU unterstützen können. Die drehscheibe, ein „Forum für Ideen und gute Konzepte im Lokaljournalismus“ bietet Ressourcen, Veröffentlichungen und Tipps zur EU-Berichterstattung. Seminare zum Thema werden von politischen Stiftungen wie der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem Netzwerk Recherche oder den Landesmedienanstalten angeboten. Im Lokaljournalistenprogramm der Bundezentrale für politische Bildung ist die EU immer wieder Thema. Auch das Forum for European Journalism Students (FEJS) trägt zur Vernetzung unter jungen europäischen Lokaljournalist*innen bei. Wer grenzüberschreitend recherchieren und zusammenarbeiten möchte, findet auch bei der Arena for Journalism in Europe und bei Hostwriter Kontakte. Die European Federation for Journalists (EJF) setzt sich furch das Projekt Local Journalism for Democracy europaweit für starken Lokaljournlismus und gegen das Entstehen von Nachrichtenwüsten ein. Auch das Europäische Parlament fördert Nachwuchsjournalist*innen in der EU-Berichterstattung.
Literaturangaben:
Galpin, C., Trenz, HJ. Die Euroskeptizismus-Spirale: EU-Berichterstattung und Medien-Negativität. Österreich Z Soziol 43 (Suppl 1), 147–172 (2018). https://doi.org/10.1007/s11614-018-0294-x
Heft, A., Alfter, B., & Pfetsch, B. (2019). Transnational journalism networks as drivers of Europeanisation. Journalism, 20(9), 1183-1202. https://doi.org/10.1177/1464884917707675
Kretzschmar, S., Möhring, W., & Timmermann, L. (2009). Lokaljournalismus. SpringerLink Bücher. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91772-6
Liebetruth, D. 2008). „Den EU-Einfluss auf den Alltag vor Ort transparent machen.. Bedeutung der Europäisierung regional- und lokalbezogener Presseberichterstattung. „Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik“ (zfkm), 1/2008, 10. Jahrgang, ISSN: 1861-2687, S. 20-24
Machill, M., Beiler, M., Fischer, C. (2006). Europa-Themen in Europas Medien — die Debatte urn die europäische Öffentlichkeit.. In: Langenbucher, W.R., Latzer, M. (eds) Europäische Öffentlichkeit und medialer Wandel. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90272-2_6
Michailidou, A., Trenz, H.-J., & Umit, R. (2022). A Cross-Country Analysis of News Reports on Differentiation in the European Union. SSRN Electronic Journal. Advance online publication. https://doi.org/10.2139/ssrn.4280520
Schlagwörter:COPE, EU, Europa, Kohäsion, Lokaljournalismus