Neue Zürcher Zeitung, 9. Mai 2004
Eine Studie zur Befindlichkeit des Journalismus
Der US-Journalismus befindet sich in einer epochalen Umbruchphase, vergleichbar mit der Erfindung des Telegrafen oder des Fernsehens. Zu diesem Schluss gelangt eine Studie, die sich mit der Lage der News-Medien in den USA befasst.
Schwindende Glaubwürdigkeit, sinkende Auflagen und schrumpfende Zuschauerzahlen sind nur einige der Probleme, mit denen sich gemäss einer unlängst unter dem Titel «The State of the News Media 2004»* veröffentlichten Studie Journalisten und Medien in den USA derzeit konfrontiert sehen. In acht ausführlichen und an Zahlenmaterial reichen Kapiteln fasst der vom Project for Excellence in Journalism (PEJ) herausgegebene Bericht auf mehreren hundert Seiten eigene Erkenntnisse sowie Resultate aus Studien und Umfragen Dritter für acht Mediensektoren zusammen: Zeitungen, Zeitschriften, Internet, Radio, terrestrisches Fernsehen (Network), Kabel- und Lokalfernsehen sowie ethnische und alternative Medien. Beleuchtet werden für jede der acht Mediengattungen die Aspekte Inhalt, Publika, Besitzverhältnisse, Wirtschaftlichkeit, redaktionelle Investitionen sowie die öffentliche Einstellung gegenüber dem jeweiligen Medium.
Wachsendes Angebot, sinkende Nachfrage
Die Studie kommt zu mitunter recht ernüchternden Ergebnissen. Während die Nachfrage nach journalistischen Angeboten mehr oder weniger kontinuierlich abnimmt, kämpft eine immer grössere Zahl von Anbietern um die Aufmerksamkeit von Lesern, Usern und Zuschauern. Die sich daraus ergebende Fragmentierung des Publikums könnte weitreichende Folgen haben, indem sie etwa zum Verschwinden der traditionellen Aufgabe der Medien beiträgt, Öffentlichkeit herzustellen und so die gemeinsame Publikumsagenda mitzubestimmen. Die inflationäre Zunahme der Angebote erlaubt es den Konsumenten, eine immer aktivere Rolle bei der Auswahl von Nachrichten zu übernehmen und im Extremfall nur noch die eigene Meinung bestätigende Inhalte zur Kenntnis zu nehmen (journalism of affirmation). Bedroht seien damit die zentralen Funktionen des Journalisten als Vermittler und Filter.
Noch nie zuvor konnte man – entsprechende Bemühungen vorausgesetzt – zwar derart gut informiert sein, und qualitativ hochstehende Inhalte sind laut Studie im Überfluss vorhanden. Diese drohten jedoch im immer grösseren Angebot von «Trivialem, Einseitigem und Falschem» unterzugehen. So ist etwa die innenpolitische Berichterstattung in den drei führenden US-Nachrichtenmagazinen seit 1980 um 25 Prozent reduziert worden, während sich der Anteil Seiten mit Lifestyle-Themen gemessen am Gesamtumfang verdoppelt, diejenige mit Gesundheits-News gar vervierfacht hat. Besonders in fortlaufend aktualisierten Medien sei ein Trend zur Veröffentlichung von nahezu unbearbeitetem Rohmaterial zu beobachten. Journalistische Tugenden wie Faktenprüfung, Analyse und Einordnung von Nachrichten würden immer mehr dem Erfordernis nach möglichst rascher Aktualisierung geopfert.
Als Lichtblick der vergangenen Jahre gilt nicht ganz überraschend das Internet. Online-Nachrichtendienste sind neben der Kategorie der ethnischen/alternativen Medien der einzige Bereich, der sich zunehmender Nachfrage erfreuen kann – nicht zuletzt bei den umworbenen jüngeren Bevölkerungsschichten. Die journalistischen Angebote von Fernsehen, Radio und Zeitungen ziehen zwar nach wie vor die grösste Aufmerksamkeit auf sich, alle haben sie aber seit mehreren Jahren mit sinkenden Reichweiten zu kämpfen.
Websites primär noch wie Printmedien
Dem Internet-Journalismus ist es indes noch nicht gelungen, sich von den «alten» Medien zu emanzipieren. So hat eine im Rahmen der PEJ- Studie durchgeführte Inhaltsanalyse von News- Websites ergeben, dass nur gerade 32 Prozent der Aufmacher auf Websites von jeweils eigenen Mitarbeitern stammten, wovon der überwiegende Teil zudem von einem alten Medium, etwa einer Zeitung, übernommen wurde; für mehr als 40 Prozent der Frontpage-News wurden unbearbeitete Agenturmeldungen verwendet – ein Vorgehen, das gemäss den Autoren der Studie der Weiterverbreitung von Falschmeldungen Vorschub leistet. Die Möglichkeiten des neuen Mediums werden bis heute einzig im Bereich der Verlinkung von Hintergrundinformationen angemessen genutzt. Multimediale Inhalte und interaktive Angebote gelangen hingegen erst begrenzt zum Einsatz. «Das Internet ist immer noch primär ein Printmedium», lautet eine Schlussfolgerung der Studie.
Noch lässt sich der Erfolg der Online-Angebote nicht in grosse Gewinne umwandeln. Genau darin sieht die Studie eine erhebliche Gefahr für den Journalismus. Denn wenn sich die Konsumenten von den «alten» Medien – die nicht nur einen grossen Teil der auf dem Internet publizierten Inhalte, sondern auch den überwiegenden Teil der Gewinne der Medienunternehmen beisteuern – abwenden, bevor ein praktikables Geschäftsmodell für das World Wide Web gefunden ist, dann dürfte die Bereitschaft zu Investitionen in die Herstellung von Inhalten – in die Redaktionen also – gefährdet sein.
Zwar stehen die meisten Medienunternehmen wirtschaftlich immer noch gut da, dies indes vor allem als Folge der rigorosen Sparmassnahmen der letzten Jahre. Investiert wird gemäss der Studie vor allem in die Verbreitung und weniger in die Herstellung von Nachrichten. So hat sich etwa die Zahl der Mitarbeiter auf den Redaktionen amerikanischer Zeitungen in den vergangenen 15 Jahren um 2200 Vollzeitstellen reduziert; die Network-News (CBS, ABC, NBC) beschäftigen rund einen Drittel weniger Korrespondenten und unterhalten 50 Prozent weniger Auslandbüros als noch vor 20 Jahren; und im Radiobereich ist die Zahl der vollzeitbeschäftigten Nachrichtenredaktoren zwischen 1994 und 2001 um 44 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig müssen auf den Redaktionen als Folge der technologischen Entwicklung aber immer mehr Produktionsaufgaben übernommen werden – auch die Kollegen des Online-Ablegers wollen noch mit raschen Aktualisierungen versorgt sein. Eine höhere Arbeitsbelastung ist die Folge. Nicht zuletzt deshalb sowie aufgrund der Tatsache, dass eine immer grössere Zahl von Anbietern auf «exklusive» Informationen angewiesen ist, geht die Studie von einer zunehmenden Anfälligkeit der Medien auf Versuche der Manipulation durch Interessengruppen und «Spin-Doctors» aus.
Innovationen unumgänglich
Die weitverbreitete Meinung, wonach Journalisten und Medienunternehmen weitgehend von Eigeninteressen und dem Streben nach ökonomischem Vorteil getrieben sind, dürfte gemäss der Studie angesichts von Stellenabbau und Budgetkürzungen noch bestärkt werden und möglicherweise noch einmal sinkende Leser- und Publikumszahlen und damit weitere Sparmassnahmen nach sich ziehen. Ein Teufelskreis. Die Autoren bezweifeln denn auch, dass sich die noch meist hohen Gewinnmargen der Medienunternehmen auf Dauer einzig durch Produktivitätssteigerungen aufrechterhalten lassen. Gefragt seien Innovations- und Investitionsbereitschaft, um neue und qualitativ bessere Produkte auf den Markt zu bringen. Nur so könnten zusätzliche Publika gewonnen und damit weiterhin hohe Werbetarife in Rechnung gestellt werden.
Die gut lesbare, äusserst faktenreiche und bisweilen mit (unwissenschaftlicher) Leidenschaft verfasste Studie soll künftig jährlich aktualisiert werden und sich so zu einem Jahresbericht über den Zustand des Journalismus in den USA entwickeln.
Schlagwörter:USA, Zeitungskrise