Ergo sum

7. Juni 2011 • Medienökonomie • von

Mitunter irrt die kapitalistische Lehre vom Segen des Wettbewerbs. Sie irrt besonders sonntags.

Früher habe ich meine Weltwoche-Kolumne immer am Montag geschrieben. Ich schrieb sie am Montag, weil ich die Sonntagszeitungen noch abwarten wollte. Die Sonntagszeitungen lieferten oft Material, das eine Medienkolumne inspirierte. Inzwischen schreibe ich die Kolumne meist am Samstag. Die Geschichte vom Auf- und Abstieg der Sonntagspresse begann 1969 mit dem Sonntagsblick. Zuvor waren andere Versuche gescheitert, wie etwa das Sonntagsjournal in den sechziger Jahren. Seine vier Herausgeber waren die edelste Runde, die bei uns je eine Zeitung besaß — Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, Werber Markus Kutter, Professor Jean Rudolf von Salis und Publizist Rolf Bigler.

Gegründet wurden Sonntagsblätter seit je aus einem primären Grund. Der siebte Tag ist für die Werbung attraktiver, weil das Publikum mehr Zeit zur Nutzung hat.

Der Sonntag ist aber auch journalistisch speziell. Er ist speziell, weil am Samstag, außer im Sport, nichts los ist. Dieses Paradox machte Sonntagsblätter weltweit erfolgreich. Weil am Samstag nichts los ist, müssen die Redaktionen die Spalten mit eigenen Recherchen und eigenen Themen füllen. Das fördert die Kreativität.

Am besten funktionierte dieses Modell nach 2002, als mit Sonntagsblick, Sonntagszeitung und NZZ am Sonntag drei Blätter rivalisierten. Dann kamen mit dem Sonntag, der Südostschweiz am Sonntag und der Zentralschweiz am Sonntag drei weitere Wettbewerber hinzu.

Dadurch ist der Sonntag heute das einzige journalistische Feld, auf dem es eine echte Konkurrenz gibt. Ansonsten arbeiten Zeitungsredaktionen meist in Monopolsituationen. Doch nun wurde der Wettbewerb zum Fangstrick. Das Erfolgsmodell begann zu kippen.

Statt auf Recherchen setzten die Sonntagsblätter nun zunehmend auf Skandalisierungen und Scheinaktualität. Der Fall Matter, aufgeblasen von NZZ am Sonntag und Sonntagsblick, war der erste krasse Ausdruck der Trend­wende. Schnelle Teil- und Halbwahrheiten ersetzen inzwischen oft die vertiefte Recherche. “Insider” aller Art enthüllen reihenweise Ungeprüftes und Unüberprüfbares. “Sonntags gibt’s Enten”, titelte kürzlich auch die Zeit zur Schweizer Sonntagspresse.

Der Grund liegt in der branchentypischen Mentalität der Sonntagsredaktionen. Sie messen ihren Erfolg fast ausschließlich daran, wie häufig sie am Montag in den Medien zitiert werden. Je häufiger sie zitiert werden, umso höher schätzen sie die eigene Qualität ein. Chefredaktoren haben Listen, wie oft sie wo zitiert werden.

Das verändert die Praxis. Eine gute Analyse der Schweizer Armeepolitik wird nicht zitiert. Sie unterbleibt darum. Eine kleine Indiskre­tion aus dem Departement Maurer wird hingegen zitiert. Darum wird dafür die journalistische Energie eingesetzt. Denn man weiß: Die unterdotierten Tageszeitungs-Redaktionen greifen sonntags nach jedem Strohhalm und jeder kleinen Indiskretion.

Altbackene Spekulationen

Ich habe nachgeschaut, welche Storys zuletzt groß zitiert wurden. Bei der Sonntagszeitung und der NZZ am Sonntag waren es alt­backene Spekulationen zum Atomausstieg. Der Sonntagsblick holte Resonanz mit einem Schüler-Leitfaden zum Thema Sex. Die Zentralschweiz am Sonntag wurde mit einem Ständerat populär, der die Fusion von CVP und FDP forderte. Die Südostschweiz am Sonntag enthüllte, dass in Elm ein Vreni-Schneider-Weg entstehe. Und der Sonntag wurde mit dem Primeur zitiert, das Fernsehen übertrage künftig jede Woche ein Fußballspiel live.

Auf den Redaktionen haben sie die tolle ­eigene Resonanz gefeiert. Denn am Sonntag gibt es ein neues publizistisches Credo: Ich wurde zitiert, also bin ich.

Erstveröffentlichung: Weltwoche Nr. 21 / 2011

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