Erst zahlen, dann lesen

19. November 2013 • Digitales, Medienökonomie • von

Die Zeitungen suchen nach Lösungen, wie sie online Geld verdienen können. Werden sich Bezahlmodelle durchsetzen? Nachfolgend eine Lageanalyse.

Anspruchsvoller Journalismus tut sich schwer, am Markt einen angemessenen Preis durchzusetzen. Das hat, so der Verhaltensökonom Dan Ariely, gewiss auch damit zu tun, dass wir uns allesamt irrational verhalten, wenn wir vermeintlich etwas umsonst bekommen und uns keine Gedanken machen über die versteckten Kosten von Gratisangeboten.

Immerhin scheint sich, einhergehend mit neuen Abrechnungssystemen, die Zahlungsbereitschaft der Publika zu verändern. Der Digital News Report 2013 des Reuters Institute for the Study of Journalism an der Universität Oxford belegt, dass etwa zehn Prozent der Nutzer in Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien und in den USA bereits für digital übermittelte Nachrichten in der einen oder anderen Form bezahlt haben. Das ist ein Drittel mehr als im Vorjahr. In den USA haben inzwischen 450 der 1380 Tageszeitungen digitale Bezahlsysteme, so das Project for Excellence in Journalism in seinem jüngsten Jahresbericht. Die Abonnements-Erlöse konnten so trotz sinkenden Zeitungsauflagen stabil gehalten werden.

Europaweit wollen die Medienkonzerne ebenfalls vermehrt Geld für ihre Online-News sehen. In Deutschland bieten laut einer Übersicht des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) 66 Verlage Digitalabos an. Derweil proben in den USA bereits zwei große Regionalzeitungen die Rolle rückwärts: Der San Francisco Chronicle und die Dallas Morning News haben ihre Paywalls wieder demontiert, der Chronicle – verbunden mit einem Wechsel im Topmanagement – nach nur vier Monaten Testphase. Allerdings ist der Chronicle in den letzten Jahren so ausgeblutet, dass sich für das, was die mehr als halbierte Redaktion noch zu bieten hat, kaum mehr mit Erfolgsaussicht Geld verlangen lässt. Für die Schweizer Verleger könnte das ein Hinweis darauf sein, dass man den richtigen Zeitpunkt für Bezahlmodelle verpassen kann.

Nichts ist gratis

Einige Vorreiter arbeiten seit längerem mit rigiden Bezahlschranken, etwa Le Temps in der Westschweiz, die Londoner Times, das polnische Wochenmagazin Przekrój. Pionier war das Wall Street Journal, das sein Angebot bereits 1997 kostenpflichtig machte und damals auf Anhieb 200 000 Online-Abonnenten gewann. Solch rigide Paywalls erlauben es dem Leser nur, ganz oder gar nicht auf das jeweilige redaktionelle Angebot zuzugreifen. Das hat für die Verlage den Nachteil, dass zahlreiche Gelegenheitsnutzer abspringen. Beiträge können auch in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter nicht geteilt werden, die als Distributionskanäle immer wichtiger werden.

Aber selbst in einem Marktsegment wie der Wirtschaftspresse, wo im angelsächsischen Raum Titel wie das Wall Street Journal, die Financial Times und der Economist vorexerziert haben, dass Bezahlschranken funktionieren können, lässt sich das Modell nicht umstandslos in einen anderen Kulturraum übertragen. Als Il Sole – 24 Ore, Italiens führendes Wirtschaftsblatt, 2010 mit einer rigiden Bezahlschranke experimentierte, gingen die Nutzerzahlen so drastisch zurück, dass man bereits nach einem Monat aufgab.

Höher im Kurs stehen deshalb derzeit die „metered paywalls“ – das sind poröse Bezahlschranken, wie sie die New York Times und die NZZ einführten. Sie erlauben es den Nutzern, monatlich eine bestimmte Zahl von Artikeln gratis zu lesen, bevor sie zur Kasse gebeten werden. Das steigert den Besucherverkehr auf der Website. Die Variante der New York Times, die im März 2011 gestartet wurde, gilt als erfolgreich: 10 Artikel pro Monat bekommt man gratis, dann werden Gebühren fällig. Die Zeitung hat inzwischen 727 000 Online-Abonnenten, 28 Prozent mehr als im Vorjahr, und sie erzielt 54 Prozent ihrer Erlöse durch Abonnements. Vor zwei Jahren waren das noch 45 Prozent.

In Europa haben auch die Welt, der Daily Telegraph, die Financial Times, die größten dänischen und finnischen Qualitätszeitungen, Politiken und Helsingin Sanomat, sowie Il Sole – 24 Ore poröse Bezahlschranken. La Repubblica will noch 2013 eine „metered paywall“ einführen.

Der Erfolg der New York Times lässt sich in andern Sprachräumen nicht ohne weiteres wiederholen. Diese Zeitung hat nicht nur eine News-Website, die in englischer Sprache ein internationales Publikum von 29 Millionen Nutzern monatlich erreicht – fraglos eine starke Basis, um ein Bezahlmodell durchzusetzen. Sie hat auch wie kein anderes Medium Anstrengungen unternommen, ihren Lesern in Diskussionsforen, auf Blogs und durch Berichterstattung, die sich mit Medien und Journalismus auseinandersetzt, zu kommunizieren, warum hochwertiger Journalismus Geld kosten muss. Generell liefern die Medien, deren Paywalls seit längerem funktionieren, meist spezialisierte Information für Eliten.

Freemium auf dem Boulevard

Eine Alternative zur „metered paywall“ ist das Freemium-Modell – eine Wortschöpfung aus „free“, weil das Basis-Nachrichtenangebot gratis bleibt, und „premium“, weil bestimmte hochwertige, selbst recherchierte und besonders begehrte Inhalte zahlungspflichtig gemacht werden. Damit hat die New York Times bereits erfolglos 2005 experimentiert, als sie mit ihrem Times-Select-Angebot versuchte, User für Meinungsbeiträge und Hintergrundanalysen zur Kasse zu bitten. Die größte polnische Zeitung, Rzeczpospolita, sowie die beiden dänischen Blätter Jyllandsposten und Berlingske arbeiten ebenfalls damit.

Angesichts der harschen Konkurrenz von Gratiszeitungen schien es lange Zeit den Verlegern von Boulevardblättern wenig ratsam, für ihre Online-Angebote die Hand aufzuhalten. Nun gibt es sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien Vorstöße, Freemium-Modelle auszutesten. Bei Ringier in der Schweiz wird besonders aufmerksam verfolgt, ob es der Bild-Zeitung gelingen wird, solche Online-Gebühren durchzudrücken. Mit „Bild Plus“ landen dort Exklusivberichte, Interviews, Fotos und große Teile der Sportberichterstattung hinter der Bezahlschranke. Wer am Kiosk die gedruckte Bild-Zeitung erwirbt, bekommt an diesem Tag einen Code, um online zu den aktuellen „Bild Plus“-Angeboten Zugang zu haben – ein Weg, den auch das Boulevardblatt Sun in England beschritten hat. Die beiden dänischen Tabloids Ekstrabladet und BT arbeiten ebenfalls mit dem Freemium-Modell.

Spenden für Alternative

Nach wie vor exotisch ist der Versuch, Geld mit Spenden zu verdienen. Die von einer Kooperative getragene Berliner taz – die Tageszeitung  war das erste Blatt, das 1995 in Deutschland seine Inhalte gratis ins Netz gestellt hat. Seit 2012 werden die Leser bei jedem Seitenaufruf um einen Beitrag gebeten, der über Flattr abgerechnet wird. Die freiwilligen Zahlungen haben sich im ersten Monat, als dieses Pop-up-Fenster geschaltet wurde, mehr als vervierfacht: allerdings nur von 2400 auf immer noch bescheidene 10 000 Euro pro Monat.

Generell wird auch im Zeitungsjournalismus die Preisgestaltung unübersichtlicher, denn die meisten Verlage arbeiten inzwischen mit mehreren Bezahlmodellen. Es gibt Preisabstufungen und auch verschiedene Geschäftsmodelle für Computer, Tablets und Smartphones. Der britische Guardian macht seine Inhalte gratis im Internet zugänglich, seine Apps fürs iPad und für Mobiltelefone sind indessen kostenpflichtig.

Natürlich hängt es auch vom jeweiligen journalistischen Marktsegment ab, ob sich Bezahlschranken durchsetzen lassen. So betont Robert Picard, Medienökonom am Reuters Institute in Oxford, dass Medienhäuser in großen Sprachräumen ein internationales Publikum anlocken können. Beispielsweise expandierte der Guardian nach Nordamerika und Australien.

Einer für alle

Die womöglich zukunftsweisende Strategie für kleinere Sprachräume wird derzeit in Osteuropa erprobt: In der Slowakei hat Piano Media im April 2013 mehrere Medienhäuser dazu überreden können, eine gemeinsame Paywall zu errichten. Heute gehören diverse Tageszeitungen, ein Sportblatt, eine Website über Medien, mehrere Magazine und zwei Fernsehanbieter zu diesem Kartell. Pianos Dienste waren zunächst ab € 2.90 pro Monat erhältlich, als Gegenleistung bekam man 34 Angebote, auf neun Websites verteilt. Inzwischen wurde der Basispreis auf € 3.90 angehoben.

Piano hat sich auch in Slowenien und Polen ausgebreitet. In Slowenien betreut das Unternehmen 14 Websites – zu den Anbietern zählen fünf national verbreitete Zeitungen. In Polen ist Piano seit dem Sommer 2012 präsent, wo es hinter seiner Paywall 44 Websites von sieben Verlagen anbietet, darunter die Gazeta Wyborza und die polnische Version des Forbes Magazine. Piano kassiert für seinen Service in Polen 30 Prozent der Erlöse.

In Ländern wie der Schweiz und Deutschland würden solche Modelle wohl am geltenden Kartellrecht scheitern. Dieses wäre aber ohnehin dringend revisionsbedürftig, weil es die fortschreitende Medienkonzentration kaum zu bremsen vermochte, aber oftmals sinnvolle Kooperationen und Vernetzungen verhindert, welche die Medienvielfalt stärken könnten.

Verlässliche Zahlen zu den Effekten von Bezahlschranken sind schwer aufzutreiben, und noch schwieriger ist ihr internationaler Vergleich. Bis anhin gibt es keinen Branchenstandard, um Erfolg oder Misserfolg von Bezahlmodellen zu bestimmen. Die Verlage zögern oftmals, Nutzerstatistiken sowie Eckdaten zu ihren Online-Erlösen herauszurücken.

Vor einem nächsten Umbruch

Im Moment sieht es so aus, als stünde der Zeitungsbranche die nächste Phase des Umbruchs bevor. Die Washington Post hat sich lange gegen Bezahlschranken gewehrt, entschied sich aber im Frühsommer für einen Kurswechsel, noch bevor Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, das Blatt gekauft hat. Jetzt starren alle wie gebannt auf den neuen Eigentümer: Die Bezahlschranke ist weiter aktiv, aber allseits wird erwartet, dass Bezos eigene Pläne für die digitale Zukunft der Zeitung hat. Dank Amazon wird er voraussichtlich die Washington Post über seine Kindle-E-Reader und -Tablets vermarkten.

Auch die technologischen Möglichkeiten differenzieren sich weiter aus, und spätestens wenn Einzelbeiträge mit einem einzigen Mausklick bezahlt werden können, wird der Markt absehbar neuerlich umgewälzt. Was die Zukunft bringt, ist offen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Zeit, in der man erstklassigen Journalismus im Überfluss online gratis konsumieren konnte, ihrem Ende entgegengeht.

Zu diesem Beitrag des European Journalism Observatory haben Tina Bettels, Hana Biriczova, Natascha Fioretti, Karen Grass, Saila Kiuttu, Rasmus Kleis Nielsen, Anna Paluch und Thomas Schmidt zugeliefert.

Erstveröffentlichung: NZZ vom 18.11.2013

Anmerkung der EJO-Redaktion: In der NZZ-Version haben wir geschrieben, dass laut einem von der Prognos AG veröffentlichten Report 45 Verlage in Deutschland Digitalabos anbieten. Diese Zahl ist laut BDZV nicht mehr aktuell. In dieser Version berufen wir uns deshalb auf die Angabe vom BDZV: Inzwischen bieten 66 Verlage in Deutschland Digitalabos an.

Bildquelle: Screenshot welt.de

 

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