Hilfe muss von oben kommen

19. Februar 2009 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: Rheinischer Merkur

Die Finanzierung durch Anzeigen hat keine Zukunft mehr. Qualitätsjournalismus braucht neue Einnahmequellen: zum Beispiel Gebühren wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. (eine weitere Version zum Thema: Medienheft).

In Bertolt Brechts Erzählungen „Geschichten vom Herrn Keuner“ begegnet ebenjener Keuner dem Kämpfer gegen die Zeitungen, einem gewissen Herrn Wirr: „‚Ich bin ein großer Gegner der Zeitungen‘, sagte Herr Wirr, ‚ich will keine Zeitungen.‘ Herr Keuner sagte: ‚Ich bin ein größerer Gegner der Zeitungen: Ich will andere Zeitungen.‘“ Außerdem klärt uns Herr Keuner über den Zweck des Zeitungswesens auf: „Wenn die Zeitungen ein Mittel zur Unordnung sind, so sind sie auch ein Mittel zur Ordnung.“

Ginge es nach Steve Ballmer, dem Geschäftsführer des Softwaregiganten Microsoft, gibt es schon in zehn Jahren keine Printmedien mehr. Jeglicher Medienkonsum werde via Internet bedient, statt gedruckter Zeitungen und Magazine werde es nur noch elektronische Vertriebswege geben, sagte er der Washington Post. Ballmer steht mit seiner These vom Ende des gedruckten Wortes nicht allein da: Selbst Zeitungsveteranen wie John Carroll, Ex-Chefredakteur der Los Angeles Times, und Phil Meyer, ebenfalls ehemaliger Zeitungsmann und Autor des Branchenbestsellers „The Vanishing Newspaper“, rechnen fest damit, dass in wenigen Jahrzehnten keine Papierzeitung mehr existieren wird.

Tatsächlich trifft es die US-Branche härter als erwartet. Ob journalistische Flaggschiffe wie Los Angeles Times, New York Times und Washington Post oder selbst Boulevardblätter wie New York Post und Daily News: Die Wirtschaftskrise bereitet allen Zeitungen ernsthafte Schwierigkeiten. Seit Monaten berichten Branchendienste von Entlassungswellen, Sparmaßnahmen und Übernahmeplänen von Zeitungshäusern durch börsennotierte Finanzspekulanten oder globale Konzerne, die ihr Medienportfolio und damit ihren Einfluss ausbauen wollen. Im Laufe des Jahres 2008 sorgten vor allem Auflagenrückgänge und Etatkürzungen für Schlagzeilen, nun befinden sich Vertriebserlöse, Werbeumsätze und Aktienwerte im freien Fall.

Mit der unsicheren Zukunft der Zeitung geht die Sorge um den Qualitätsjournalismus einher, dessen Standards im digitalen Zeitalter immer schwerer durchzusetzen sind. So verheißt der neueste Report „State of the Newsmedia“ des Project for Excellence in Journalism (PEJ) auch für weite Teile der Branche wenig Gutes. Tom Rosenstiel, Gründer und Direktor des PEJ, machte unlängst wenig Hoffnung darauf, dass demnächst schlüssige Geschäftsmodelle gefunden werden, die kostspieligen Qualitätsjournalismus im Internet refinanzieren können: „Wir nutzen das Internet zwar seit zehn, zwölf Jahren, aber die dramatischen Auswirkungen auf die Ökonomie des Zeitungsgeschäfts erleben wir buchstäblich in diesem Moment“, erklärte Rosenstiel: „Für die amerikanische Zeitungsbranche ist dieses Jahr das schlechteste aller Zeiten.“

Schon heute nutzen weit mehr als die Hälfte der US-Amerikaner und Westeuropäer Online-Angebote als Hauptinformationsquellen. Das Internet hat die Zeitung als Hauptnachrichtenquelle überholt. Fast prophetisch wirkt es da, dass in Washington D. C. vor einem Jahr „Newseum“ eröffnet hat, ein pompöser Pressetempel, der vor allem der Papierzeitung huldigt. Während sich die amerikanische Zeitungsindustrie damit in ihren schwärzesten Zeiten ein Heldendenkmal setzt, müssen bald wohl auch in Deutschland die ersten Grabkreuze gezimmert werden: Die Geschäfte der meisten Verlage laufen miserabel.

An Etatkürzungen, redaktionelle Zusammenlegungen und reihenweise Entlassungen, begrifflich getarnt mit Vokabeln wie „Newsroom-Kultur“, „Kostendisziplin“, „struktureller Turn-around“ oder „personelle Korrekturen“, haben wir uns gewöhnt – sogar bei wirtschaftlich gutgestellten Großverlagen wie Gruner + Jahr, WAZ-Gruppe, Süddeutscher Verlag und Fazit-Stiftung, Verlegerin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, sorgen derartige Meldungen nicht mehr für Überraschungen. Angesichts der Weltwirtschaftskrise wird präventiv wegrationalisiert und kaputtgespart – ein Akt kollektiver Hilflosigkeit, der dem bis jetzt gesunden Mediensystem als wichtigem Eckpfeiler der Demokratie erheblichen Schaden zufügen könnte. Ängstlich blicken hiesige Verleger nach Amerika, weil sie glauben, dass das allmähliche „Ende der Zeitungsära“, das dort seinen Anfang nahm, bald auch nach Europa kommt.

Doch was passiert, wenn das bisherige Finanzierungsmodell vollends zusammenbricht und Qualitätszeitungen verschwinden? Muss der Staat die Presse retten? Brauchen wir eine öffentlich-rechtlich subventionierte Zeitung? Oder lieber Stiftungsmodelle wie in den USA? Was ist juristisch möglich, was politisch sinnvoll?

Immerhin, die aktuellen Entwicklungen lassen die handelnde Politik in Europa nicht unbeeindruckt: Kulturstaatsminister Bernd Neumann und Verbandsvertreter der Medienwirtschaft haben vor einigen Monaten eine „Nationale Initiative Printmedien“ ins Leben gerufen, die sich der Zukunft der Printmedien als wichtiger Säule demokratischer Meinungs- und Willensbildung annimmt – allerdings von einer (staatlichen) Sanierung der Zeitungsindustrie (noch) weit entfernt ist.

Das Beispiel Frankreich zeigt aktuell hingegen, wie eine offensive Medienpolitik zur Förderung einer Zeitungsbranche aussehen kann, die mit rund 100 000 Beschäftigten in den vergangenen Jahren hoch defizitär war: Staatspräsident Nicolas Sarkozy machte kürzlich von sich reden, als er versprach, einen umfänglichen Hilfsplan für die Zeitungsverleger aufzulegen, für den er – zusätzlich zu den 280 Millionen Euro Fördergeldern für 2009 – in den nächsten drei Jahren weitere 600 Millionen Euro aufwenden will.

Je aggressiver allerdings die handelnde Politik versucht, in die Pressemärkte einzugreifen, desto wilder wird über das baldige Aus der Papierzeitung spekuliert – gewiss ist bisher aber nur, dass alle Fluchtwege dorthin führen, von wo den Zeitungen zurzeit der schärfste Wind entgegenbläst: ins Internet. Doch wie ordentlicher Online-Journalismus im Internet finanziert werden kann, lässt sich nicht ohne weiteres sagen. Über neue Werbeformen und Reichweitenmessungen, innovative Link-Strukturen, um besser gefunden zu werden, aber auch über Möglichkeiten der Quersubventionierung wird bereits laut nachgedacht. Eines gilt jedoch als gesichert: Bis eine brauchbare Geschäftsform für Journalismus im Netz gefunden worden ist, wird Qualitätsjournalismus finanziell vorerst auf einen „dritten Weg“ angewiesen sein.

Denn die Zeit drängt, und so hektisch wie nie zuvor wird nach dem tragfähigen Geschäftsmodell der Zukunft gesucht. Zeitungen wie der britische Guardian oder die St. Petersburg Times aus den USA avancieren in der Krise schon mal zu utopischen Schutzreservaten journalistischer Integrität. Sie können sich derzeit noch auf finanzstarke Stiftungen wie den Scott Trust und das Poynter Institute verlassen, die der aktuellen Markttektonik trotzen und in redaktionellen Ausbau investieren, statt zu sparen.

Selbst wenn derlei Stiftungskapital zurzeit eine der wenigen Hoffnungen ist, die den Zeitungen noch bleiben, bietet sich diese Option für die meisten schwächelnden Verlage nicht. Während viele Blätter in der Krise einfach untergehen, setzen sich gemeinnützige Organisationen wie ProPublica, das Center for Investigative Reporting oder das Committee of Concerned Journalists dafür ein, dass etwa der Recherchejournalismus oder die Journalistenausbildung künftig nicht zu kurz kommen. Doch auch derlei Initiativen für einzelne publizistische Problemzonen, die meist einen wohlhabenden Mäzen im Rücken haben, stellen dauerhaft keine Alternative dar zu einem Journalismus, der sich bislang selbst finanzieren konnte.

Bleibt die Frage, ob bedrohte Zeitungshäuser ihr Heil nicht doch möglicherweise in einem öffentlich-rechtlichen Modell nach dem Rundfunkvorbild von ARD und ZDF oder der BBC in Großbritannien suchen sollten. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann einen Topf gibt, an dem alle partizipieren, die Qualität wollen. Schließlich haben alle, die Qualitätsmedien schaffen, einen öffentlichen Auftrag“, findet „Guardian“-Chefredakteur Alan Rusbridger. Entgegen direkter Subventionen aus Steuergeldern wäre die Unabhängigkeit der Presse bei dieser Lösung noch nicht einmal gefährdet – vorausgesetzt, genügend Nutzer machen mit.

Falls es dem Markt allein überlassen bleiben sollte, über die Zukunft der Presse zu entscheiden, spricht auch nichts gegen indirekte medienpolitische Fördermaßnahmen wie im Fall des Berliner Onlineportals „Perlentaucher“, das knapp drei Jahre lang im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung den europapolitischen Newsletter „Eurotopics“ betreute. Außerdem sind auch hierzulande unabhängige Journalistenvereinigungen wie das Netzwerk Recherche oder die Initiative Nachrichtenaufklärung oder European Journalism Observatory in der Schweiz auf geldwerte Unterstützung angewiesen, um den Qualitätsjournalismus auf breiter Basis zu fördern. Es liegt in der demokratischen Verantwortung von Politik und Medienwirtschaft, in gemeinsamer Anstrengung die journalistischen Rahmenbedingungen zu verbessern, um Ressourcen neu entdecken, erschließen oder erst entwickeln zu können.

Auf diese Weise kann verhindert werden, dass einzelne Zeitungshäuser beim rasanten Ausbau des globalen Internet-Marktes von Multimedia-Riesen abgehängt oder geschluckt werden. Vorstellbar ist die Investition in starke journalistische Marken, wie sie bereits in den USA mit der Huffington Post, dem politischen Blog Talking Points Memo oder dem Online-Magazin The Politico geglückt ist: Nur so können sich journalistische Leuchttürme auch unabhängig von der gedruckten Presse etablieren.

Online-Phantasten würden betonen, dass Qualitätsjournalismus schließlich medienunabhängig sei – aber machen wir uns nichts vor: Mit dem möglichen Tod der Zeitung ginge uns auch eine bestimmte Informationskultur verloren. Eine Kultur, die untrennbar mit Aufklärung und Demokratie verbunden ist.

Ob „Online first“ oder „Print first“ – „Journalismus first“ muss deshalb jedoch immer die erste Regel bleiben, sprich: Journalisten müssen mehr denn je auf die peinliche Trennung von Journalismus, Lobbying und PR achten. Um Qualitätsstandards journalistischer Online-Angebote wie Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit dem technologischen Niveau anzupassen und langfristig Marktanteile wettzumachen, reicht der Innovationsgeist der Medienschaffenden aber bei weitem nicht aus: Ob auf Papier gedruckt oder von multimedialer Gestalt im Internet – der Wert des Journalismus wird sich daran bemessen lassen müssen, ob es ihm gelingen kann, weiterhin – um es mit Brecht zu sagen – ein Mittel „zur Ordnung“ und zugleich eines „zur Unordnung“ zu sein.

In dieser Woche wird das Gutachten von Weichert und Kramp, „Das Verschwinden der Zeitung? Internationale Trends und medienpolitische Problemfelder“, bei der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht. Außerdem erscheint Mitte März der Band „Wozu noch Zeitungen? Wie das Internet die Presse revolutioniert“ bei Vandenhoeck & Ruprecht.
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