Zahlt sich die investierte Zeit aus, kommen interessante Aufträge rein?
Ja, in jedem Fall. Da ist alles Mögliche darunter, sowohl kurzfristige Anfragen als auch große Projekte. Im Sommer gab es etwa eine Zusammenarbeit mit GeoSaison, wir haben eine App für Berlin erstellt, einen Guide, mit dem man die Stadt erkunden kann und durch den man viele aktuelle Tipps bekommt. Daran haben mehrere von uns drei Monate intensiv gearbeitet. Als Anfang des Jahres manche Straßenzüge in Hamburg zu Gefahrengebieten erklärt wurden, kamen hingegen einige Medien kurzfristig auf die Gemeinschaft zu, weil viele von uns in Hamburg sitzen. In dem Fall hatten sie uns einfach im Netz gefunden und fragten aktuelle Berichte von vor Ort an.
Wie vermeiden Sie, dass es zu Streitigkeiten um die Auftragsvergabe kommt?
Darüber haben wir uns zwar im Vorhinein den Kopf zerbrochen: Wie können wir verhindern, dass uns so etwas entzweit? Wir sind bis heute zu keiner finalen Lösung gekommen. Aber glücklicherweise war das in der Praxis bisher noch nie ein Problem. Zunächst einmal behält jeder seine vorherigen Auftraggeber. Meist sind die Aufträge ja auf die jeweiligen Personen zugeschnitten, ich mache zum Beispiel fast als Einzige Gesundheitsthemen. Der Vorteil ist aber: Wenn man mal einen Auftrag zeitlich nicht annehmen kann, kann man stattdessen auf etliche kompetente Kollegen verweisen – ich habe die Erfahrung gemacht, dass das bei Auftraggebern gut ankommt, weil sie nicht aufwändig neu suchen müssen.
Damit alle profitieren, muss so eine Gemeinschaft aber auch über solche Ausnahmefälle hinaus gut organisiert sein, wie gewährleisten Sie das?
Für Aufträge, die an die gesamte Gemeinschaft gerichtet werden, haben wir einen Chef vom Dienst, also einen CvD-Plan eingerichtet. Jeweils für zwei Wochen am Stück übernimmt ein Mitglied die Auftragsorganisation, das heißt: Wenn etwa ein Medium anfragt und in drei Tagen einen TV-Beitrag zu einem Thema in Hamburg haben will, dann kommen natürlich vor allem diejenigen von uns in Frage, die am besten drehen können und in Hamburg vor Ort sind. Wenn eine Anfrage kommt, die nicht so orts- und mediengebunden ist und somit 20 potenzielle Interessenten infrage kommen, schreibt der CvD eine Rundmail. Dann setzt er eine Deadline, bis wann man sich entscheiden muss und bis dahin kann jeder sich melden.
Was passiert, wenn sich zu viele Leute melden?
Bisher hat es immer sehr gut gepasst, aber im Zweifel würde man sich sicher untereinander einigen. Wir sind alle auch miteinander befreundet und können vernünftig miteinander umgehen. Eine mögliche Idee für den Ernstfall wäre auch, dass der Auftraggeber selbst entscheidet, welche Kompetenz er lieber im Team haben will – aber das mussten wir so wie gesagt noch nie entscheiden.
Sie haben ja vorhin schon einmal das „leidige“ Thema Finanzen angesprochen – wer bekommt nach einem Auftrag wie viel?
Jeder arbeitet auf eigene Rechnung. Wenn es größere Aufträge gibt und das Medium für das Produkt etwa 5.000 Euro bezahlt, dann haben wir das bisher zum Beispiel per Stundenzettel geregelt: Alle tragen in einem gemeinsamen Dokument ein, wie viel Zeit sie in das Projekt stecken. Wir kennen uns alle gut und vertrauen uns gegenseitig, dass jeder fair ist. Am Ende wird ausgerechnet, wer wie viel Zeit investiert hat und jeder schickt eine individuelle Rechnung an den Auftraggeber über den Anteil, der ihm zusteht. Dadurch wollen wir das Konfliktpotenzial gering halten, so fühlt sich niemand unfair behandelt.
Teamfähigkeit und Vertrauen bestehen also noch aus der Ausbildungszeit. Aber glauben Sie nicht, dass eine Organisation mit so vielen Personen langfristig Hierarchien braucht?
Nein, wir kommen meiner Einschätzung nach durch das rotierende CvD-System ohne Hierarchien aus, auch dauerhaft. Entscheidungen treffen wir aktuell basisdemokratisch, entweder bei Treffen oder über Doodle-Links. Das funktioniert soweit reibungslos. Das läuft zugegebenermaßen auch deshalb, weil einige sich mehr einbringen als andere und so Defizite ausgleichen. Schließlich sind einige unter uns momentan auch stark an eine bestimmte Redaktion gebunden und nehmen nur an bestimmten Projekten teil, auf die sie Lust haben. Andere hingegen arbeiten als Freie für ganz verschiedene Auftraggeber und haben somit ein Interesse an den Möglichkeiten durch Kill Your Darlings. Aber meiner Wahrnehmung nach sehen sich innerhalb der Gemeinschaft alle als gleichberechtigt an. Das mit der Basisdemokratie klingt immer so aufwändig, aber das ist es im Grunde nicht. Außerhalb der CvD-Zeit entscheidet jeder selbst, wie stark er sich einbringt und ob er Aufträge annimmt.
Welche Chancen sehen Sie in der Gemeinschaft – ist das mehr als eine Zwischenstation? Das ist ein Projekt auf Lebenszeit. Ich sehe keinen Grund, jemals aus Kill Your Darlings auszusteigen. Denn wir wissen, dass wir gut zusammen arbeiten können. Einige von uns haben zur Zeit eine feste Redakteursstelle, doch sie können sich durch Kill Your Darlings ein zweites Standbein erhalten. Ihre Aktivitäten in der Gemeinschaft ruhen vielleicht für eine Zeit, aber machen wir uns nichts vor: Die Branche ist so flexibilisiert, dass niemand mehr mit einer Anstellung auf Lebenszeit rechnen kann. Andere wollen vielleicht wieder eine Zeit als Freie einschieben, weil sie Kinder bekommen und eine Auszeit für die Erziehung brauchen. Und einige entscheiden sich ganz bewusst dafür, während ihrer kompletten Laufbahn frei zu arbeiten. Deshalb werden meiner Einschätzung nach immer genügend Leute für die Gemeinschaft aktiv sein, auch wenn da viel Fluktuation drin ist. Kill Your Darlings wird immer ein Hafen sein, in den man zurückkehren kann. Es ist beruhigend, wenn man weiß: Kill Your Darlings ist immer da und man sitzt zum Beispiel nach einem auslaufenden Job nicht als einsamer Freier alleine zu Hause.
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