Die Rückkehr der Medienbarone

13. August 2013 • Medienökonomie • von

In Osteuropa wächst der Einfluss von Medienbesitzern, die ihre Organe nutzen, um politische Macht zu gewinnen. Die jüngsten Deals in den USA und Deutschland sind weitere Anzeichen, dass auch im Westen die Medienbarone zurückkommen.

Die derzeitigen Medienmärkte sind turbulent, und Geschäftsmodelle, mit denen Journalismus wieder profitabel werden könnte, sind noch nicht in Sicht. Wenn aber Medienunternehmen nicht mehr verlässlich Gewinn abwerfen, bedarf es anderer Gründe, um in sie zu investieren. Kein Wunder also, wenn unter solch instabilen Bedingungen in vielen Ländern Medienbarone das Heft in die Hand nehmen.

Was ist ein Medienbaron? Der kanadische Medienexperte David Taras definiert ihn als „einen mächtigen Medieneigner, der sich selbst teilweise als Geschäftsmann, teilweise als Publizist und teilweise als Politiker sieht. Der Einfluss von Medienbaronen rührt nicht daher, dass sie kommerziellen Druck auf ihre Redaktionen ausüben, sondern dass sie sich direkt als journalistische Impresarios ins politische Kampfgewühl stürzen. Sie haben Zeitungen und Fernsehsender gekauft, gerade weil sie glühende politische Kombattanten sind.“

Welche Rolle Medienbarone spielen, lässt sich nicht losgelöst vom Konzentrationsprozess in der Medienbranche analysieren. Wenn die Gewinne von Medienunternehmen, die sich in Individual- oder Familienbesitz befinden, zu schrumpfen beginnen, denken die Eigentümer oftmals an Verkauf. Mächtigere und finanzstärkere Rivalen nutzen dann diese Gelegenheit zu ihrem politischen und wirtschaftlichen Vorteil.

Tendenzen auch in den USA

Die Wiederkunft von Medienbaronen ist in jüngster Zeit nicht zuletzt in Amerika zu beobachten. Lange bevor Jeff Bezos die Washington Post und John Henry den Boston Globe gekauft haben, sah der Medienexperte der New York Times, David Carr, das eng mit der Krise der amerikanischen Zeitungsbranche verknüpft. Diese sei nur noch halb so groß wie vor sieben Jahren. „Wenn die meisten Zeitungen keinen Profit mehr versprechen, wer bleibt dann als Eigentümer übrig?“, fragt Carr. Als Antwort schiebt er hinterher: „Reiche Leute“, um dann zu präzisieren: „Nicht einfach Wohlhabende, sondern solche, die sich längst von den ökonomischen Realitäten des Alltagslebens abgekoppelt haben.“ Gewiss, da gebe es andere teure Hobbys. Aber wie viele Oldtimer oder wie viele hochherrschaftliche Landsitze aus dem 19. Jahrhundert könne man besitzen, ohne dass es langweilig werde? Carr prognostiziert, dass einige der neuen Eigentümer, die ihren Imperien Zeitungen als teure Sammlerstücke einverleibten, diese „potenziell für politische Ziele oder zur Unterstützung ihrer anderen Geschäftsinteressen“ nutzen würden.

Die Situation in Europa ist komplizierter, weil Herkunft und Erscheinungsformen der Medienbarone heterogener sind als in den USA. In einigen Ländern wie Italien, Frankreich oder Großbritannien sind alteingesessene Tycoons seit Jahrzehnten ein Teil des Mediensystems. Rupert Murdoch hat seine Zeitungen und Sender benutzt, um diese oder jene Partei zu unterstützen, andere wie Silvio Berlusconi haben ihre Medien missbraucht, um sich selbst in mächtige politische Ämter zu befördern. Jesús de Polanco in Spanien, Hans Dichand in Österreich und Jahrzehnte zuvor Axel Springer und Rudolf Augstein in Deutschland sowie Alfred Harmsworth (Lord Northcliffe) und Robert Maxwell in Großbritannien pflegten die diskreten Formen der Machtausübung ebenso wie gelegentlich protziges Muskelspiel.

Im Vergleich dazu sind die Medienbarone in Osteuropa ein neues Phänomen. Dort sind sie in kurzer Zeit so zahlreich und mächtig geworden, dass sie heute regelrecht mit postkommunistischen Gesellschaften assoziiert werden. Viele von ihnen wurden unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums zu einflussreichen politischen Akteuren. Neben Russland, wo einige Medienoligarchen ihre Macht wieder verloren, weil sie mit Wladimir Putins Regime in Konflikt gerieten, sind Medienbarone zum Beispiel in Serbien und Albanien oder in Rumänien und Bulgarien zu Machtfaktoren geworden. Weitere neue Barone betraten die Bühne, als sich westliche Investoren wie Mecom in Polen oder die WAZ-Gruppe in Serbien vom Markt zurückzogen.

Sichtbare und Unsichtbare

In Europa lassen sich heute drei Gruppen unterscheiden: „versteckte“, „sichtbar-aktive“ und „potenzielle“ Medienbarone. Versteckte finden sich besonders häufig im westlichen Balkan: Sie verbergen sich hinter Unternehmen, die im Ausland gegründet wurden. Ein kürzlich veröffentlichter Report des Serbischen Rats zur Korruptionsbekämpfung stellt fest, dass bei 18 von 30 der wichtigsten Medien des Landes die tatsächlichen Eigentümer nicht bekannt sind. Um ein Beispiel zu nennen: Zeljko Mitrovic gehören TV Pink und ein Anteil von knapp 5 Prozent an TV Avala. „Zusätzlich“, erklärt der Medienforscher Veselin Kljajic (Universität Belgrad), „gilt die österreichische Greenberg-Invest als eng mit Mitrovic verbandelt, der wiederum 48 Prozent der Anteile an TV Avala gehören. So wird in der Öffentlichkeit spekuliert, dass sich der Sender im Mehrheitsbesitz von Mitrovic befindet.“

In Albanien gibt es etwas mehr Transparenz, aber auch dort „hält sich hartnäckig der Verdacht, dass die juristischen Eigentümer nicht die wirklichen sind“, sagt Artan Fuga, Medienforscher an der Universität Tirana. „Die Gesamtzahl der Zeitungen und Fernsehkanäle ist im Verhältnis zur Bevölkerungszahl groß, und der Werbemarkt ist noch sehr klein. Somit ist es schwierig, im Mediensektor profitabel zu arbeiten.“ Die Eigentümer nutzten ihre Macht hauptsächlich, „um Druck auszuüben und sich die Politik gefällig zu machen“, sagt Remzi Lani, Direktor des Albanischen Medieninstituts.

Ganz anders ist die Situation in Ländern wie Rumänien, Tschechien oder der Ukraine. Dort sind die Medienbarone für jedermann sichtbar, und die Medienkonzentration ist weit fortgeschritten. Rumänien könnte man als das Italien des Ostens bezeichnen. Dinu Patriciu und Dan Voiculescu sind die beiden herausragenden Medienbarone. Patriciu ist der einzige rumänische Milliardär, der auf der „Forbes“-Liste der reichsten Menschen der Welt auftaucht – ein vormaliger Parlamentarier der Liberalen Partei und Eigentümer der Adevarul-Holding, eines Mischkonzerns, zu dem Pressetitel ebenso wie der Fernsehsender Adevarul TV gehören. Voiculescu, der den zweiten Platz in einem Ranking der einflussreichsten Rumänen einnimmt, ist ein Gründungsmitglied der Konservativen Partei. Inzwischen hat er zwar das Eigentum an der Intact Media Group auf seine Töchter Corina und Camelia überschrieben, aber die fünf Fernsehkanäle, vier Zeitungen sowie Zeitschriften und andere Medienprodukte „bleiben eng mit Voiculescus politischen Ambitionen verbunden“, sagt Alina Vasiliu, Journalistikprofessorin an der Andrei Saguna Universität in Constanta.

In Tschechien bezeichnet sich Jaromir Soukup, der Eigentümer von Empresa Media und der Medienagentur Médea, als „tschechischen Berlusconi“. Er unterstützte bald die Grünen, bald die Sozialdemokraten und zuletzt den früheren Premierminister Jan Fischer bei den Präsidentschaftswahlen 2013. In der Ukraine ging die ökonomische Liberalisierung einher mit zunehmender Korruption und der Herausbildung von Finanz- und Industrieimperien in den Händen sogenannter Clans, die eng mit dem politischen Establishment verfilzt sind. Medien wurden für sie zu einem attraktiven Asset: Die reichsten Oligarchen wie Rinat Akhmetov und Victor Pinchuk sind auch die größten Medieneigner im Lande.

Die Lage in Westeuropa

Anderseits gilt es der Legende entgegenzuwirken, ausschließlich Oligarchen in Osteuropa seien Medienbarone. Einige der sichtbar profilierten Vertreter gibt es, wie gesagt, seit eh und je im Westen. In Italien war Silvio Berlusconi über Jahrzehnte hinweg der mächtigste von allen. Aber auch sein Wettbewerber Carlo De Benedetti und andere Wirtschaftsimperien in Familienbesitz haben Zeitungen in ihrem Portfolio – nicht um der Gewinne willen, sondern um politisch  Einfluss nehmen zu können. In Frankreich hält Martin Bouygues, der Eigentümer der fünftgrößten Baufirma in Europa, einen 44-Prozent-Anteil an TF1, dem größten französischen Fernsehanbieter. Bouygues war Trauzeuge des vormaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy und von dessen erster Frau Cécilia und ist der Patenonkel ihres Sohnes Louis. Serge Dassault, der die französische Armee mit Kampfjets ausrüstet und lange Senator der rechtskonservativen UMP war, gilt als der neue Tycoon auf dem Medienmarkt. Ihm gehört die Figaro-Gruppe, die mit Le Figaro (über 300 000 Exemplare) die größte nationale Tageszeitung herausgibt.

In Großbritannien ist Rupert Murdoch der sichtbarste Medienbaron. Ihm gehören The Times (400 000 Exemplare) und das Boulevardblatt The Sun (2,6 Millionen Exemplare) sowie knapp 40 Prozent der Fernsehsender BSkyB/Sky News. Es war bisher schwierig, ihm direkte Einflussnahme auf Politiker nachzuweisen – aber zuletzt hat der Leveson-Report hier mehr Klarheit gebracht. Dieser analysierte den Abhörskandal, in den Murdochs Blatt News of the World verwickelt war. In Westeuropa, aber auch in Polen gibt es zahlreiche Medieneigner, die zu den „potenziellen Baronen“ zählen: Unternehmer, die in ihren Ländern den Mediensektor dominieren, aber bisher noch keine derartigen politischen Ambitionen gezeigt haben.

Deutschland und die Schweiz sind Beispiele für Länder, wo es kaum sichtbare Barone gibt. Weil aber die Medienkonzentration zunimmt und die führenden Medien an Profitabilität einbüßen, entsteht auch da der Nährboden für Medienbarone. Die beiden größten privaten Medienunternehmen in Deutschland, Bertelsmann (Jahresumsatz 2012: 16,6 Milliarden Euro) und Axel Springer (3,3 Milliarden Euro), werden von Erbinnen kontrolliert: Liz Mohn und Friede Springer gehören zu den einflussreichsten Medienunternehmerinnen der Welt.  Sie leben aber eher zurückgezogen und suchen nicht das Rampenlicht. Ihre Konzerne sind dennoch gewichtige politische Machtfaktoren: Personell eng mit dem Konzern verbandelt, ist die Bertelsmann-Stiftung nicht nur eine Denkfabrik, sondern auch ein gut vernetztes politisches Powerhouse. Die politisch mächtigste Figur bei Springer ist vermutlich weder der CEO noch die Eigentümerin, sondern der Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, der wie kein anderer in Deutschland über politische Karrierechancen entscheidet.

Während in der Schweiz argwöhnisch der Einstieg von Christoph Blocher bei der Basler Zeitung und damit der Aufstieg des Politikers zum Medienbaron verfolgt wird, würde die Machtbalance im Lande wohl erst aus den Fugen geraten, wenn bei Tamedia oder Ringier ein nachrückendes Familienmitglied politische Ambitionen hätte.

Auch in Polen haben wir es eher mit potenziellen als mit sichtbaren Medienbaronen zu tun. Nachdem sich die westlichen Investoren Orkla Media und Mecom zurückgezogen haben, steigen die neuen, regionalen Eigentümer nur zögerlich ins politische Geschäft ein. Das hat wohl mit der politischen Instabilität zu tun. Auch die mächtigeren Besitzer, darunter Zygmunt Solorz-Żak und die Familien Walter und Wejchert, welche die beiden nationalen privaten Fernsehsender Polsat und TVN kontrollieren, bemühen sich um politische Balance und ein gutes Geschäftsklima für ihre Medienaktivitäten.

Während westliche Unternehmen sich teilweise aus dem Osten zurückzogen, ist zumindest ein russischer Oligarch in den Westen vorgedrungen: Alexander Lebedew wurde einer der Big Player auf dem britischen Zeitungsmarkt, als er zunächst den London Evening Standard (inzwischen ein Gratisblatt mit 500 000 Exemplaren) und den Independent (etwa 80 000 Exemplare) sowie den Sunday Independent (etwa 100 000) erwarb. Er und sein Sohn Evgeny haben inzwischen mit i eine weitere Zeitung (etwa 300 000) lanciert. Beide sind den potenziellen Baronen zuzuordnen.

Wirtschaftliche Faktoren

Medienbarone kommen in Europa in vielfältigen Facetten und Größen daher. Wie sie operieren, welche Ziele sie verfolgen, variiert von Land zu Land: Die politische Kultur, die Größe und die Ausprägungen des Medienmarkts beeinflussen ihr Verhalten – ebenso wie der Zustrom oder Abfluss ausländischen Kapitals. Es mag unmöglich sein, bestimmte Verhaltensmuster herauszuarbeiten. Aber es ist wohl unstrittig, dass Medienbarone in einer Vielzahl europäischer Länder zu Machtfaktoren geworden sind. Zunehmende Medienkonzentration und abnehmende Profitabilität im Mediensektor bereiten Investoren mit politischen Interessen den Nährboden. Ob dies auch im Fall von Jeff Bezos und Warren Buffett gilt, der sich in den USA eine Zeitung nach der anderen einverleibt, bleibt abzuwarten.

Aus Schweizer und deutschen Beispielen und der amerikanischen Entwicklung lässt sich ein Szenario entwickeln: Nimmt die Profitabilität von Zeitungen ähnlich rapide ab wie in den USA, dann wird es weitere Insolvenzen und Schließungen geben, während andere Titel zur Beute neuer, populistischer Medienbarone werden könnten. Letztere werden nicht sogleich unkontrollierbaren politischen Einfluss wie Berlusconi in Italien gewinnen, aber bei hoher Medienkonzentration kann die Liaison oder gar Personalunion von populistischen Politikern und Medienbesitzern die „checks and balances“ einer Demokratie gefährden. Wir haben zugesehen, wie es in Osteuropa geschah. Sage keiner, dass es nicht auch im Westen Europas so kommen könnte.

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung vom 13. August 2013

Bildquelle: Christ Devers / Flickr

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