Abschied von gestern

27. Februar 2015 • Medienökonomie • von

Was ist heute ein erfolgreicher Medienverlag? Es ist ein Verlag, der sein Geld nicht mehr mit Medien verdient.

 

Die Zahl ist imposant. 240 Millionen Franken zahlte der Zürcher Medienkonzern Tamedia soeben für den Online-Handelsplatz Ricardo.ch.

Noch imposanter wird die Zahl, wenn man weiß, was für eine marode Firma so teuer eingekauft wurde. Ricardo.ch macht bei einem Umsatz von nur 40 Millionen Franken einen Jahresverlust von 5,8 Millionen. So steht es in den Verkaufsunterlagen, welche Ricardo selber erstellt hat.

Willkommen im Internetmarkt. Wir sind in der Welt der explodierenden Zahlen und der explodierenden Hoffnungen.

Am Beispiel Ricardo.ch lässt sich das schön zeigen. Das Stammgeschäft, die Online-Auktionen, ist mit einem Jahresgewinn von fast 19 Millionen zwar hochprofitabel. Aber die drei Töchter, das Handelsportal Ricardoshops.ch, der Kleinanzeigenmarkt Olx.ch und die Occasionsseite Autoricardo.ch, verlieren zusammen gegen 25 Millionen im Jahr. Dies drückte die gesamte Firma ins Minus.

Das ist genau die Ausgangslage, welche die Tamedia-Spitze um VR-Präsident Pietro Supino und CEO Christoph Tonini liebt. Tamedia ist Weltklasse im Sanieren. Das wird auch bei Ricardo so sein. Das profitable Stammgeschäft wird nun forciert, die verlustreichen Töchter werden kostensparend in bestehende Tamedia-Aktivitäten integriert.

Tamedia wird damit Ende 2015 ihrem internen Ziel sehr nahekommen. Rund die Hälfte ihres Jahresgewinns wird dann aus dem neuen, elektronischen Geschäft stammen, das mit dem alten, mechanischen Printgewerbe nichts mehr zu tun hat.

Wir sind damit beim Kriterium, wie man heute den Erfolg eines Verlagshauses misst. Es ist das Kriterium des Abschieds von gestern. Gestern waren es analoge Zeitungen, Magazine, Radio- und Fernsehkanäle. Heute sind es digitale Marktplätze für Immobilien, Stellen, Adressen, Autos, Auktionen, Tickets und Alltagsbedarf.

Je höher der Gewinnanteil des digitalen Geschäfts liegt, umso besser. Umso besser ist das Unternehmen für die Zukunft aufgestellt. Je weniger Medien ein Medienhaus braucht, umso besser.

Vorbild ist der deutsche Axel-Springer-Verlag. Beim Gewinn, gemessen am Ebitda, kommen hier schon fast 70 Prozent aus dem digitalen Geschäft. Auch bei Ringier liefert der E-Commerce bereits 65 Prozent des Gewinns ab. Bei Tamedia stammen nach den neusten Übernahmen rund 50 Prozent des Profits aus elektronischen Angeboten. Die früheren Cashcows der drei Verlage hingegen, wie Bild, Blick und Tages-Anzeiger, sind heute als Gewinnbringer sekundär.

Dieser Wandel ist der Beleg dafür, wie erfolgreich die führenden Medienunternehmen den Transfer in die neue Welt geschafft haben. Sie verdienen wieder heftig Geld, und sie holen es im digitalen Zukunftsgeschäft. Wer heute noch von einer Krise der Verlagshäuser spricht, der ist entweder blind oder SP-Politiker.

Auch in guten Zeiten gibt es, wie immer, einige Versager. Bestes Beispiel dafür ist die NZZ-Gruppe. Ihr “Geschäftssegment Digital” ist winzig. Um dies zu verstecken, rechnet sie im Jahresbericht ihre altbackenen Rundfunksender wie Radio Pilatus und TV Ostschweiz zum digitalen Geschäftssegment hinzu. Das ist natürlich reiner Etikettenschwindel. Der Gewinnanteil der NZZ aus dem Online-Segment liegt in Wahrheit unter 10 Prozent.

Die NZZ aus Zürich ist im Online-Geschäft vermutlich das erfolgloseste Medienhaus Europas. Sie verdient kaum Geld, und wenn, mit alten Medien.

Ringier und Tamedia aus Zürich gehören im Online-Geschäft zu den erfolgreichsten Medienhäusern Europas. Sie verdienen viel Geld, und nicht mit alten Medien.

 

Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 19.Februar 2015, S. 19

Bildquelle: Tim Reckmann/flickr.com

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