Patient Journalismus

5. April 2011 • Digitales, Medienökonomie • von

Auch nach der Krise geht es den Zeitungen nicht gut im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Nun fangen die Medienhäuser an, für ihre Online-Angebote Geld zu verlangen. Seit Montag vergangener Woche ist auch die «New York Times» nicht mehr gratis. Ob es hilft?

Seit vergangenem Montag verlangt die «New York Times» Geld für ihre Online-Angebote, andere Verlage haben es angekündigt. Unter ihnen der größte US-Zeitungskonzern Gannett sowie eine der auflagenstarken Regionalzeitungen, die «Dallas Morning News».

Wenige Wochen zuvor sorgte weltweit die erfolgreichste amerikanische Online-Zeitung «Huffington Post» für Schlagzeilen. Der schwächelnde einstige Internet-Gigant AOL hat sich den Start-up für 315 Millionen Dollar einverleibt. Erst 2005 war die «HuffPo» ins Netz gegangen.

Bedrängtes Radio

Eher hinter den Kulissen tobt in Amerika außerdem derzeit eine politische Auseinandersetzung um die Zukunft des National Public Radio, die in dieser Schärfe bei uns völlig undenkbar wäre: Obschon der Senderverbund im Vergleich zu den Milliarden, über die SRG, ARD oder ZDF verfügen, nahezu bedeutungslos ist, möchten die Republikaner den staatlichen Geldhahn endgültig zudrehen und die wichtige, aber politisch ungeliebte Stimme Amerikas zum Schweigen bringen.

Obendrein haben Fundraiser verzweifelt versucht, für den Senderverbund jene Mittel als Spenden einzutreiben, die in Amerika die öffentliche Hand für ihren Rundfunk nicht bereitstellt. Sie waren bei der Wahl ihrer Mittel wenig zimperlich und haben sich dabei so eindeutig politisch gegen die Republikaner und deren Tea- Party-Ultras positioniert, dass deswegen die Chefin des Senderverbundes, Vivian Schiller, ihren Hut nehmen musste.

Niedergang der Zeitungen

Was haben diese drei Nachrichten miteinander zu tun? Auf den ersten Blick rein gar nichts, außer dass sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Sicht auf einen Schwerkranken freigeben, dessen Ableben bereits vielfach vorhergesagt wurde: Der Patient ist der amerikanische Journalismus, der – anders als bei uns – vor allem dank der Printmedien zu seiner vollen professionellen Blüte gelangt ist. Jetzt ist er wegen des Niedergangs der amerikanischen Zeitungen existenziell bedroht.

Die erste Nachricht verweist auf den langfristig einzig gangbaren Weg: Wer sich weder in totale Abhängigkeit der Werbewirtschaft noch des Staates begeben will, muss seine Leserinnen und Leser davon überzeugen, dass guter Journalismus etwas wert ist, egal ob er auf bedrucktem Papier oder online verbreitet wird.

Kein Verlass auf die Werbung

Auf die Werbewirtschaft als Financier solchen Journalismus ist jedenfalls kein Verlass mehr. Sie benutzt als Vehikel, um ihre Zielgruppen für ihre Werbebotschaften zu erreichen, lieber Social Networks wie Facebook oder Suchmaschinen wie Google. Und mit Kleinanzeigen ist in den USA auch kaum noch Geld zu verdienen – die gibt es dank Anbietern wie Craigslist oder eBay gratis.

Geld verdienen mit Online

Die zweite Nachricht zeigt, dass sich trotzdem kurzfristig mit Online-Journalismus Geld verdienen lässt – sogar viel Geld, vorausgesetzt, man hat, wie die «HuffPo», die nötige Chuzpe und das richtige «Geschäftsmodell». Im Kern beruht es darauf, andere für sich arbeiten zu lassen, ohne sie dafür zu bezahlen. Hunderte von Bloggern sind gratis für die Website der geschäftstüchtigen Ariana Huffington im Einsatz, darunter viele ihrer prominenten persönlichen Freunde.

Erniedrigende Abhängigkeit

Die dritte Nachricht belegt, in welch erniedrigende Abhängigkeit Journalismus gerät, der entweder am Tropf des Staates hängt oder auf die Barmherzigkeit von Spendern angewiesen ist. Weder die eine noch die andere Finanzierungsquelle verheißt die nötige Unabhängigkeit, die Journalisten brauchen, wenn sie ihre Funktion als «vierte Gewalt» souverän ausüben wollen. Es ist zwar ruhiger geworden um die Krise des amerikanischen Journalismus, seitdem zumindest konjunkturell das Schlimmste überstanden ist und einige amerikanische Zeitungshäuser so stark abgespeckt haben, dass sie wieder etwas Geld verdienen. Aber es ist eine trügerische Ruhe – denn keines der strukturellen Probleme, welche die Zeitungsverlage plagen, ist wirklich gelöst.

Die Großen werden bleiben

Vor ein paar Jahren spekulierte David Carr, prominenter Medien-Journalist der «New York Times», darüber, wie Historiker die heutige Zeit im Rückblick bewerten werden: «Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit werden sie diese Periode der amerikanischen Geschichte examinieren und darüber erstaunt sein, dass der Journalismus verschwunden ist.» Das war freilich zugespitzt und stimmt nicht ganz: Hochwertiger Journalismus, wie ihn die «New York Times» oder die «Washington Post» produzieren, wird nicht verschwinden – und auch zahllose Gratisangebote, die mit bescheidenen redaktionellen Mitteln PR ungeprüft in «Journalismus» verwandeln, werden sich am Markt halten können.

Bedrohte Regionalzeitungen

Ernsthaft bedroht bleibt das Mittelfeld: Die einst großen Regionalzeitungen bluten in atemberaubendem Tempo aus, 17 000 Journalisten haben seit 2007 ihre Jobs verloren, viele Redaktionen sind nur noch halb so groß wie vor ein paar Jahren. Sie können ihre Qualitätsstandards nicht halten, und vor allem können sie nicht mehr flächendeckend Politik und Verwaltung, Unternehmen und Non-Profit-Sektor beobachten. Von den Zulieferungen dieser Blätter waren und sind allerdings die Korrespondenten der großen Zeitungen und Nachrichtenagenturen abhängig, wollen sie nicht ganz allein auf meist geschönte Pressemeldungen der PR-Branche vertrauen.

Guter Journalismus kostet

Jedenfalls kostet hochwertiger Journalismus mehr Geld, als die US-Verlage auch bei steigenden Nutzerzahlen im Internet durch Werbeeinkünfte erzielen können. Der vormalige Chefredaktor von «Time», Isaacson, fühlt sich beim Gratis-Geschäftsmodell an «eine Herde Lemminge» erinnert, «die sich einem steilen Kliff nähern». Wahrscheinlich werden die Leser in Amerika sich also bald daran gewöhnen müssen, dass sie für ihre tägliche Dosis Journalismus mehr hinblättern müssen.

Erstveröffentlichung: St. Galler Tagblatt vom 30. März 2011

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