Terror im Morgenmantel

8. April 2008 • Medienökonomie • von

Weltwoche 13 / 2008

Die normalen Tageszeitungen haben dazu gelernt. Sie wissen inzwischen noch besser, warum ihnen ihre Abonnenten schon immer auf die Nerven gegangen sind.

Heute geht es um die finanziell teuerste und anspruchsvollste Spezies der Medienbranche. Sehr gut, denken Sie jetzt und freuen sich schon, sehr gut, dass heute die Journalisten eins auf die Mütze bekommen.

Nein. Die finanziell teuerste und anspruchsvollste Gruppe sind nicht die Journalisten. Es sind Sie. Ja, Sie. Die Abonnenten sind das Problem. Die Abonnenten sind die Qual der Zeitungshäuser. Man gibt unglaublich viel Geld und Energie für sie aus, zu viel davon.

Nur für die Abonnenten betreibt man eine aufwendige Frühzustellung, damit sie ihre Zeitung im Morgenmantel abholen können. Nur für die Abonnenten stellt man teure Call-Center auf, damit sie ihre Adressänderungen und Ferienumleitungen bequem abwickeln können. Nur für die Abonnenten gibt es kostenintensive Verlagsabteilungen, die nur ihre Betreuung, Verwaltung und Fakturierung besorgen.

Die Werbung in Millionenhöhe machen Zeitungen nur wegen der Abonnenten. Denn die bestellen dauernd ab oder verbleichen, weshalb man Nachschub braucht. Sündhaft teure Mailings, Telefonverkäufe, Aussendungen, Probeabonnements, Autoverlosungen und Wettbewerbe sind nur wegen der Abonnenten notwendig. Dazu bekommen sie Bonuskarten, mit denen sie verbilligt ins Theater dürfen.

Redaktionen stellen für viel Geld Inhalte her, die nur auf die Abonnenten ausgerichtet sind. All die Wochenendmagazine, Lokalteile, Literaturbeilagen und Ausgehführer sind gefertigt nur für die Abonnenten, weil man sich davon mehr Leserbindung verspricht.

Der Gegensatz der Abonnenten sind die Konsumenten von Gratiszeitungen. Die sind völlig genügsam. Die schlagen sich bei Wind und Wetter zu einer entfernten Zeitungsbox durch und sind glücklich, dass sie 36 Seiten Kurzinformation bekommen.

Die Abonnenten hingegen sind verwöhnt. Mit 36 Seiten sind sie nicht zufrieden. Ganz arg ist das Drama, wenn sie einmal im Morgenmantel drei Minuten warten müssen, die Ferienumleitung einen Tag zu spät ist und im Sudoku eine Zahl nicht stimmt. Schon schreien sie die Frauen in den teuren Call-Centern, Telefonzentralen, Abo-Verwaltungen und Verlagsetagen an, die man nur für sie eingerichtet hat.

Wenn man das Drama relativiert, bestellen sie ab. Abonnenten, so weiss jeder Verlagsmitarbeiter, sind als Nervensägen unübertroffen. Nun kann man einwenden, dass Abonnenten, anders als Gratisbezüger, für ihre Zeitung schliesslich bezahlen und dafür ein Recht auf Service haben. Das ist nur bedingt richtig.

Gratiszeitungen leben zu 100 Prozent von Werbung. Ein klarer Fall. Normale Zeitungen leben zu 70 Prozent von Werbung und zu 30 Prozent von den Abonnenten.

Nun kann man diesen 30 Prozent Abo-Einnahmen die Extrakosten für die Abonnenten gegenüberstellen. Man subtrahiert von den Abo-Einnahmen die sündhaft teuren Ausgaben für Frühzustellungen, Call-Center, Verlagsabteilungen, Werbekampagnen, Mailings, Telefonverkäufe, Probeabonnements, Autoverlosungen, Wochenendmagazine, Literaturbeilagen und Ausgehführer.

In einer Vollkostenrechnung kommt es dann vermutlich auf etwa dasselbe hinaus. Die Einnahmen und die Kosten bei den Abonnenten halten sich ungefähr die Waage.

Kurzum, auch die abonnierten Zeitungen sind nur durch die Werbung finanziert. Oder anders gesagt: Auch die abonnierten Zeitungen sind Gratiszeitungen.

Seit sie das bei den normalen Tageszeitungen wissen, nehmen sie die Anrufe ihrer geschätzten Abonnentenschaft etwas gelassener entgegen. Die im Morgenmantel schreien dann umso lauter.

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