Die Angst der alten Welt

24. Juli 2009 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: Message 03

 Die US-Medienkrise versetzt vielen Zeitungen den Todesstoß. Auch in Europa sind immer mehr Printmedien in ihrer Existenz gefährdet. Und doch droht ihnen kein mit den USA vergleichbares Desaster.

Quelle: nickboos, www.flickr.com

Die berechtigte und alles entscheidende Frage zur US-Medienkrise lautet: Müssen wir auch in Europa mit vergleichbaren Entwicklungen rechnen? Wissenschaftler, die sich nicht blamieren wollen, sollten hier mit Prognosen vorsichtig sein.

Dennoch erscheint die These angebracht, dass die Krise bei uns absehbar anders verlaufen wird als in den USA. Zwar sind die technologischen Innovationen, mit denen wir uns auseinander zu setzen haben im Prinzip dieselben – aber es gibt eben auch kulturelle Unterschiede im Umgang mit ihnen.

»Im freien Fall«

Lange bevor sich im Herbst 2008 das Banken- und Finanz-Fiasko zuspitzte, steckte die amerikanische Zeitungsbranche bereits tief in der Krise. Insgesamt 19 der 50 größten US-Zeitungen schrieben schon damals rote Zahlen – so Dean Singleton im Frühsommer 2008. Als CEO der Media News-Group herrscht Singleton über ein Imperium von 57 Tageszeitungen.

Der Ausblick, den das Project for Excellence in Journalism mit seinem neuesten Jahresbericht zum Zustand der Medien gewährt, ist noch düsterer als in den Vorjahren: Die Zeitungsbranche sei nahezu »im freien Fall«. Vielleicht würden ja »noch ein paar Fallschirme aufgehen«, aber im dritten Jahr in Folge sei »kein Boden in Sicht«.

Die Medien selbst tun sich schwer im Umgang mit der eigenen Notlage. Ihre Berichterstattung darüber fällt jedenfalls so ganz anders aus als etwa zum Rinderwahn und zu Sars, zur Vogel- und zur Schweinegrippe.

Forscher der Annenberg School of Communication haben über die letzten neun Jahre hinweg die Berichterstattung von 26 großen amerikanischen Zeitungen sowie der Nachrichtensendungen der wichtigsten TV-Anbieter durchkämmt. Auffällig hinsichtlich der Medienkrise waren dabei zwei Befunde:

■ Erstens wurde, so Michael X. Delli Carpini gegenüber der New York Times, fast ausschließlich über die sich verschlechternde Lage bei den Printmedien berichtet – obschon die Fernsehnachrichten und die Tageszeitungen in den USA einen vergleichbaren Publikumsschwund zu verzeichnen hatten. In den Zeitungen fanden die Forscher 900 Artikel über den Auflagenschwund, dagegen nur 95 über den schrumpfenden Zuschaueranteil bei den TV-Newscasts.

In der Fernsehberichterstattung war das Missverhältnis ähnlich krass: 38 Beiträge zur Misere der Zeitungen, und ganze sechs zu den im Sinkflug befindlichen Ratings der TV-Nachrichten. Leider haben die Forscher nicht nachgezählt, wie viele Beiträge dieselben Zeitungen und TV-News jüngstzur Schweinegrippe gebracht haben – aber mit etwas Phantasie kann sich jeder das Missverhältnis ausmalen.

■ Zweitens haben sich von den 26 untersuchten Zeitungen nur drei ausführlicher mit dem Thema auseinandergesetzt: erwartungsgemäß die New York Times, die Washington Post und das Wall Street Journal. Sie haben nahezu die Hälfte aller Artikel beigesteuert. Auch bei den TV-Anbietern waren es nur zwei, die den Löwenanteil bestritten: die Kabelsender CNN und Fox.

Diffuse Headlines

Eine vergleichbare Erhebung für den deutschen Sprachraum ist uns nicht bekannt. Aber auch hier lässt sich an wenigen Beispielen zeigen, dass das Thema viel stärker heruntergespielt wurde als die amerikanische Immobilien- und Bankenkrise, die jabereits Monate lang schwelte, bevor im Herbst mit der Pleite von Lehman Brothers auch in Europa die Medien darauf ansprangen.

»Die Papiertiger. Amerikas Zeitungen bleiben im Wahlkampf einflussarm – ihre Finanzlage wird prekär«, so versteckte etwa die Süddeutsche Zeitung (7.11.2008) die eigentlich schlechte Nachricht im zweiten Teil einer Unterzeile. »Trübe Aussichten für amerikanische Zeitungsverlage« hieß es zutreffend, aber ebenfalls eher beschwichtigend bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (30.10.2008).

»Starker Auflagenschwund bei den US-Zeitungen« vermeldete die Neue Zürcher Zeitung (29.10.2008); eine Woche später besserte sie immerhin nach: »Gemetzel unter den westlichen Medien« (7.11.2008). Zwar blieb auch diese Headline ziemlich diffus, brachte aber schon eher die Entwicklung auf den Punkt. Die Journalisten sind mit einem Thema, von dem sie selbst betroffen sind, kollektiv umgegangen als wären sie nicht die »Spürhunde« der Informationsgesellschaft sondern genetische Kreuzungen aus Vogel Strauß und Lemming.

Belanglos und engstirnig

Worin unterscheiden sich die Entwicklungen in Amerika und Europa substanziell? Was lässt die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass die Krise bei uns zumindest anders verlaufen wird als in den USA? Zu verweisen ist da zunächst einmal auf ein inhaltliches Angebot, das sich stark unterscheidet. Die meisten Zeitungen im deutschen Sprachraum sind nicht so belanglos und auch nicht so engstirnig aufs Lokalgeschehen fixiert wie ihre amerikanischen Pendants.

Die Kommunikationsforscherin Miriam Meckel hat etwa zeitgleich zum Autor einen längeren Forschungsaufenthalt in den USA verbracht. Ihr Resumee: »Wer sich im amerikanischen Markt umschaut, erkennt schnell, warum dort neue publizistische Formen im Netz, wie Weblogs oder die Huffington Post, erfolgreich sind. Die Zeitungslandschaft ist derart miserabel, dass eine Lücke für Neues klafft.«

Sieht man einmal von New York Times, Washington Post und Wall Street Journal ab und bezieht dieses vernichtende Qualitätsurteil auf die Großstadtpresse – also auf Titel wie den Boston Globe, die Chicago Tribune, den San Francisco Chronicle oder die San Jose Mercury News – so hat es fraglos seine Berechtigung.

Meckels Blick ist allerdings im Hier und Jetzt verhaftet. Dass der beklagenswerte Zustand bereits Folge radikaler Kürzungen ist, dass sich die US-Zeitungshäuser letztlich in atemberaubendem Tempo selbst zerstört haben, ist zu ihrer Lageeinschätzung hinzuzufügen. Es ist ja kaum zehn Jahre her, da konnte man mit ganz anderen Impressionen von USA-Reisen zurückkehren und an vielen Beispielen zeigen, wie innovativ der amerikanische Zeitungsjournalismus einmal war.

Journalistisches Kollektivversagen

Neben dem mangelhaften inhaltlichen Angebot gibt es kulturelle Differenzen beim Publikum, die auf einen anderen Krisenverlauf in Europa schließen lassen. Vermutlich wird sich beispielsweise in Deutschland oder der Schweiz nicht im gleichen Maße eine Kultur der Blogger und Citizen Journalists entwickeln wie in den USA.

Auch das Talk-Radio, das in Amerika weiterhin ganz groß rauskommt, war bei uns ein Flop. Der kalifornische Medienexperte Peter Laufer meint, der Misserfolg habe wohl damit zu tun, dass bei uns – ganz im Gegensatz zu den mitteilungsfreudigen Amerikanern – sehr viel mehr Menschen zögerten, sich mit ihrer Meinung öffentlich zu exponieren. Laufer kennt beide Kulturen, weil er vor Jahren versucht hat, das Talk-Radio auch im deutschsprachigen Raum zu etablieren.

Deutschland und viele andere europäische Länder sind zudem weniger scharf in politische Lager gespalten. Es hat keinen vergleichbaren Fall journalistischen Kollektivversagens wie in den USA gegeben, als die Medien allesamt dem Spin der Bush-Regierung erlagen und sich für den Feldzug gegen den Irak instrumentalisieren ließen. Vermutlich schlägt auch deshalb in Europa den etablierten Medien nicht in vergleichbarer Intensität Misstrauen entgegen, wie es in der jungen, web-affinen Generation gegenüber den amerikanischen Mainstream-Medien verbreitet ist.

Letztlich waren Printmedien in Europa auch nie in vergleichbarer Weise vom Anzeigengeschäft abhängig wie in den USA. Sie haben sich in der Regel zu 35 bis 50 Prozent aus Abos und Straßenverkauf finanziert, während Tageszeitungen in Amerika in den fetten Jahren nur etwa 15 bis 20 Prozent ihrer Erlöse direkt bei den Lesern erzielten.

Deshalb wurde in Europa auch nicht derart flächendeckend der Fehler begangen, alles gratis ins Netz zu stellen, was man gedruckt noch verkaufen wollte. Die »Rolle rückwärts« zu bezahltem Online-Journalismus, sollte deshalb hierzulande leichter vollführbar sein.

Riskante Finanzakrobatik

Zu hoffen bleibt, dass die Medien in »Old Europe« nicht in ähnlichem Ausmaß zum Spielball von Hedge Fonds, Private Equity-Investoren und Spekulanten werden, wie das in Amerika der Fall war und ist. Bisher jedenfalls erscheint es hierzulande kaum denkbar, dass ein Investor wie Sam Zell mit nur 315 Millionen Eigenkapital 8,2 Milliarden Dollar bewegen könnte, um ein Medienunternehmen wie die Tribune Co. und damit die Chicago Tribune und die Los Angeles Times unter seine Kontrolle zu bringen und dabei die Schuldenlast auf den Pensionsfonds abwälzt– soll heißen: auf die Mitarbeiter.

Andererseits: Unterscheidet sich die alte von der neuen Welt in puncto Finanzakrobatik wirklich so grundlegend? Wer hätte denn vor einem Jahr gedacht, in welchem Umfang angeblich grundsolide Landesbanken mit dem Kapital der Steuerzahler hochriskante Nummern im Immobiliensektor und im Investmentbanking drehen würden?

»Nothing like a free lunch«

In Revolutionen, so der Internet- und Medienexperte Clay Shirky, zerbreche das Alte oftmals schneller, als das Neue sichtbar werde. Auch die Revolutionäre könnten nicht vorhersagen, was als Nächstes passieren werde.

Die neuen Technologien sind, so der Harvard-Ökonom Clayton Christensen, »disruptiv« – und deshalb lassen sich bestehende Trends nicht extrapolieren, um mit etwas mehr Gewissheit in die Zukunft blicken zu können.

Vermutlich werden wir indes alle die Basislektion jedweder Ökonomie neu lernen müssen: »There is nothing like a free lunch« – ein genießbares Mittagessen ist auf dieser Welt in aller Regel nicht gratis zu haben. Auch anspruchsvolle geistige Nahrung wird es im Internet auf die Dauer wohl nur geben, wenn wir dafür bezahlen.

Vielleicht besteht auch die Chance, aus den amerikanischen Entwicklungen, insbesondere aus den Fehlern, die dort begangen wurden, rechtzeitig und kreativ Schlussfolgerungen zu ziehen.

Das wird freilich nur gelingen können, wenn Journalisten und Medienmanager wachsamer beobachten – statt weiter den Kopf in den Sand zu stecken und wie die Lemminge den Amis hinterher zu laufen.

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