Weltuntergang reloaded

10. September 2008 • Medienökonomie • von

Werbewoche, 21. August 2008

Selbst wer sich an Weltuntergangs-Szenarien aus der US-Zeitungsbranche gewöhnt hat, wird erst einmal tief Luft holen: Von den acht Milliarden Dollar, die die Tribune Co. zur Jahrtausendwende aufgewandt hat, um sich Times Mirror und damit die Los Angeles Times in ihren Konzern einzuverleiben, mussten dieser Tage 3,8 Milliarden abgeschrieben werden.

Die New York Times – eines der wenigen Blätter, die jenseits des Atlantik die Berichterstattung über die Medienbranche und den Journalismus noch pflegen – hat vor kürzlich vorgerechnet, wie sich die Börsenwerte von Zeitungshäusern entwickelt haben, denen man einmal nachgesagt hat, sie seien die einträglichste legale Geldanlage nach Spielcasinos.

Die grossen Konzerne haben dramatisch an Marktwert verloren. Die Washington Post Co. 24 Prozent seit Beginn des Jahres 2008, die New York Times Co. 26 Prozent und der grösste Zeitungskonzern der USA, Gannett, 52 Prozent. Bei vielen anderen börsennotierten Verlagshäusern sind Rückgänge der Notierungen von 50 bis 70 Prozent in den letzten ein bis zwei Jahren an der Tagesordnung. Und es gibt noch drastischere Fälle. So ist die Marktkapitalisierung der Journal Register Company, die den New Haven Register und Hunderte kleinerer Zeitungen herausgibt, im August 2008 auf eine Million Dollar gesunken. Die Papiere haben damit seit Anfang des Vorjahrs 99 Prozent ihres Wertes eingebüsst. Im selben Zeitraum hat GateHouse Media, ein anderes Verlagshaus, das Hunderte kleiner Lokalblätter herausgibt, nahezu 98 Prozent seines Börsenwerts verloren und notiert jetzt noch mit einem Marktwert von 26 Millionen Dollar. Die Sun-Times Media Group in Chicago notiert 91 Prozent niedriger als im Januar 2007. Ihr Aktienkapital wird derzeit mit 34 Millionen Dollar bewertet.

Die Börsianer mögen sich nun fragen, ob das Kaufkurse sind – und befinden sich damit gewiss in guter Gesellschaft einer Vielzahl branchenfremder Investoren, die „jetzt oder nie“ darüber nachdenken, diese Gelegenheit zu nützen. Andere, die an Synergieeffekte und ihre eigenen überlegenen Management-Talente geglaubt haben mögen – wie etwa Sam Zell in den USA und David Montgomery in Europa – haben sich allerdings bereits blutige Nasen geholt. Weshalb auch wir besser an dieser Stelle auf den todsicheren Geldanlage- oder Geldvernichtungs-Tip im Sommerloch verzichten.

Stattdessen möchten wir heute aus gegebenem Anlass – die Olympiade geht ja gerade zu Ende – an Al Neuharth erinnern. Er war sozusagen der Marathonläufer und Goldmedaillengewinner im amerikanischen Zeitungsgeschäft des ausgehenden 20. Jahrhunderts: Über viele Jahre hinweg hat er Gannett von Quartal zu Quartal zu neuen Erfolgen geführt und innerhalb von zwei Jahrzehnten aus dem von ihm gegründeten gehobenen Boulevardblatt USA Today die auflagenstärkste US-Zeitung gemacht – übrigens mit erstklassiger Sportberichterstattung.

Vorsorglich hat der Optimist und Lebemann Neuharth allerdings vor zwanzig Jahren auch den Weltuntergang schon einmal durchgespielt – und sich ausgemalt, mit welchem Aufmacher die führenden US-Zeitungen unmittelbar zuvor darüber berichten würden. Seine Schlagzeilenversionen: "New York Times: 'Weltuntergang – Länder der Dritten Welt am stärksten betroffen'; Wall Street Journal: 'Weltuntergang – Dow Jones Index sackt auf Null-Marke'; Washington Post: 'Weltuntergang – Aus Regierungskreisen verlautet: Weisses Haus hat Frühwarnungen ignoriert'; USA Today: 'Wir sind alle tot! Allerletzte Sportergebnisse S. 6 C'."

Der Scherz mag unter den heutigen Bedingungen makabrer klingen als zu dem Zeitpunkt, als Neuharth ihn erfunden hat. Sollte er indes zu heiterer, sommerlicher Gelassenheit im Umgang mit den Szenarien vom Exodus unserer Tageszeitungen verleiten, erfüllte er auch im Olympiajahr 2008 noch seinen Zweck.

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