Agenten und Prinzipale

26. Oktober 2006 • PR & Marketing • von

Werbewoche, Nr. 38, 2006

Im Verkehr zwischen Journalisten und PR-Leuten wird üblicherweise Information gegen Aufmerksamkeit getauscht. Wenn Ökonomen solche „Geschäfte“ analysieren, schenken sie Informations-Asymmetrien hohe Aufmerksamkeit. Von „Prinzipal-Agenten-Beziehungen” sprechen sie, wann immer Geschäftspartner über die Bedingungen des Deals ungleich informiert sind.

Die eine Seite – der „Agent” – verfügt in der Regel über weit mehr Information und „Expertenwissen” in Bezug auf das Tauschgeschäft als die andere Seite – der „Prinzipal”. Dabei können Prinzipale nicht nur Kunden, sondern auch Vorgesetzte sein. Das Prägende an der Beziehung ergibt sich aus dem Wissensvorsprung des Agenten.

Verhalten sich Agenten eigeninteressiert, werden sie vorzugsweise ihren Prinzipalen Positives vermelden, Misserfolge oder Mängel dagegen möglichst vertuschen. Geschieht dies über mehrere (Hierarchie-)Ebenen hinweg, entsteht an der Spitze einer Organisation ein verfälschtes, stark geschöntes Bild – im Extremfall so etwas wie der „Honecker-Effekt“: Dem letzten Staatschef der DDR wurden bekanntlich von seinen Lakaien regelrecht Potemkinsche Dörfer gebaut, um seinen Glauben an die Wirtschaftskraft und Führungsmacht des Landes zu bestärken.

Ähnliche Informations-Asymmetrien prägen auch den Medienbetrieb. Journalisten lassen sich – zunächst – als „Prinzipale” sehen: Sie sind abhängig von Informationen, die ihnen von Öffentlichkeitsarbeitern als ihren „Agenten“ zugänglich gemacht werden.

Umgekehrt sind die Publika die „Prinzipale“ der Journalisten. Die Mediennutzer haben kaum eine andere Möglichkeit, als den Nachrichten zu vertrauen, die ihnen ihre „Agenten“ in den Redaktionen anbieten. Denn (fast) alles, was sie über die Gesellschaft, ja sogar über die Welt, in der sie leben, wissen, erfahren sie von den Massenmedien.

Journalisten gestehen sich so gut wie nie ein, welche Folgen für die Informationsvermittlung aus ihrer Doppelrolle als Prinzipale und Agenten resultieren. Ihren Publika gegenüber erhalten sie – gerade im Umgang mit komplexen Materien wie z.B. der Gesundheits- oder der Rentenreform – die Fiktion aufrecht, sie seien unabhängig und gut informiert. Für die Publika bleibt intransparent, dass auch Journalisten viele Informationen nur teilweise verstehen und nicht beurteilen können.

Um das Bild abzurunden: Doppelrollen als „Prinzipale“ und „Agenten“ spielen auch die PR-Experten. Sind sie im Verhältnis zu den Journalisten – und auch zu ihren Vorgesetzten oder Auftraggebern – „Agenten“ mit Informationsvorsprung, so schlüpfen sie in die „Prinzipal“-Rolle, wenn sie organisationsintern von Fachabteilungen Informationen einholen, um beispielsweise auf eine Presseanfrage zu reagieren.

In ähnlicher Weise sind Verleger oder Top-Manager in Medienunternehmen die „Prinzipale“ ihrer Chefredaktoren, und diese wiederum „Prinzipale“ der Ressortleiter und Redaktoren. Umgekehrt werden aus Journalisten, die redaktionsintern meist als „Agenten“ tätig sind, im Umgang mit Nachrichtenagenturen, aber auch freien Mitarbeitern „Prinzipale“. Freelancer werden also dazu neigen, sich ihren Redaktoren als „Prinzipale“ gegenüber in bestem Licht zu präsentieren. Sie werden z.B. ihren hohen Rechercheaufwand unterstreichen und überbewerten. Der Redaktor wiederum wird als „Agent“ im Gespräch mit seinem Chef eher hervorheben, wie stark die Beiträge der Freien redigiert werden müssen, damit sie wirklich ins Blatt passen und welche Zusatzrecherchen jeweils erforderlich sind.

Einige dieser Prinzipal-Agenten-Beziehungen sind kaskaden-artig hintereinander geschaltet. Somit ist ein kumulativer Effekt zu befürchten. Zusammenfassend lässt sich erwarten, dass nicht allein Nachrichtenwerte und Publikumswünsche, sondern auch die Eigeninteressen der verschiedenen „Agenten“ und „Prinzipale“ den Output bestimmen – und damit die Verzerrungen, das Over- und Underreporting und die letztlich verschwiegenen Sachverhalte in der Nachrichten-Produktion. Die „blinden Flecken“ der Medienberichterstattung sind eben nicht nur zufällig blinde Flecken. Meist sind sie das Ergebnis eigeninteressierten Verhaltens. Und es sind beileibe nicht nur die von Journalisten gern gescholtenen PR-Leute, die solche Eigeninteressen haben.

 

 

 

* Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, mit dem der Autor soeben das diesjährige Schweizer PR-Symposion in Zürich eröffnet hat.

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