Flucht in die Verantwortung

15. August 2019 • Aktuelle Beiträge, PR & Marketing, Qualität & Ethik • von

Dass niemand mehr im Journalismus arbeiten will, ist die logische Folge des heutigen Journalismus. Eine Kolumne. 

In der Schweiz wechseln vor allem Journalisten in Führungspositionen in die PR.

Nehmen wir drei Beispiele aus den letzten Wochen. Es sind drei Beispiele für Flucht aus dem Journalismus in der Schweiz.

Hannes Nussbaumer, Ressortleiter beim Tages-Anzeiger, hat genug. Er macht künftig lieber PR für die Justizdirektion. Irène Troxler, Ressortleiterin bei der NZZ, hat genug. Sie macht künftig lieber PR für die Zürcher Zentralbibliothek. Lea Koch, Ressortleiterin beim Online-Portal Newsnet, hat genug. Sie macht künftig lieber PR für Swiss Life.

Wir könnten Dutzende von solchen Seitenwechseln aufführen. Aus den Redaktionen findet eine Massenflucht statt. Vor allem Journalisten in Führungspositionen nehmen Reißaus. Sie wechseln als PR- und Kommunikationsmitarbeiter zu Unternehmen und Behörden.

Beim Nachwuchs zeigt sich derselbe Trend. Journalistenschulen vermelden ein stark sinkendes Interesse an der Journalistenausbildung. Dafür steigt die Nachfrage nach Lehrgängen in PR und Kommunikation. An der Ringier-Journalistenschule etwa haben sich früher 250 Bewerber für den Zweijahreskurs angemeldet. Jetzt sind es gerade noch 100. Auch an der Uni Zürich sinkt die Studentenzahl im Fach Publizistik rapide.

Für den Niedergang des früheren Traumberufs gibt es zwei Gründe. Vordergründig sind es die Finanzen, hintergründig der Notstand eines Berufsbildes.

Ein junger Journalist bei einer guten Regionalzeitung verdient heute nicht mehr als 90 000 Franken. Auch ein altgedienter Ressortleiter kommt kaum über 140 000. Als Pressesprecher von größeren Firmen liegen hingegen 200 000 Franken und mehr drin. Die Lohnfrage hat sich in den letzten Jahren verschärft, weil es in den Medien nur noch fünf große Arbeitgeber gibt: Tamedia, Ringier, CH Media, SRG und NZZ. Alle fünf müssen sparen.

Entscheidender für den Attraktivitätsverlust der Publizistik aber ist ihr Niedergang an Professionalität. Es gibt ein zunehmendes Qualitätsgefälle zwischen Medien- und Firmenkommunikation.

Die im Beruf verbleibenden Journalisten werden diese Erklärung nicht gerne hören. Aber es ist Tatsache: Die Qualität der Kommunikation von Unternehmen und Behörden ist heute oft hochstehender als die Qualität im Journalismus.

Werfen wir ein paar zufällige Stichworte hin: Euro, Brexit, Migration, Rahmenabkommen, AHV, Trump, Klimawandel, EU-Kommission, Vogelgrippe, Energiewende. Es geht auf keine Kuhhaut, was Journalisten dazu alles an Fälschungen, Lügen, Erfindungen und reinem Nonsens publiziert haben. Folgen auf den Redaktionen hatte all dieser Nonsens nie.

In Unternehmen und Behörden kann man sich solche Serien von Fehlinformation niemals erlauben. Man würde umgehend entlassen. PR-Verantwortliche arbeiten heute darum oft sorgfältiger als Journalisten. Ein Fehler in der Information hat bei ihnen Konsequenzen. Auf Redaktionen aber sind Fehler egal. Niemand wird entlassen. Niemand übernimmt Verantwortung.

Alle Journalisten, die von den Medien in die PR wechseln, erzählen darum dieselbe Geschichte. Sie sind erstaunt, wie rigoros in ihrem neuen Job die Qualitätskontrolle ist. Drei, vier Mitarbeiter checken hier eine Mitteilung, bevor sie publiziert wird. Auf einer Zeitung hingegen schaut nur einer unter Zeitdruck kurz darüber, dann geht die Story raus.

Warum also wechseln so viele Journalisten in die Kommunikation von Unternehmen und Behörden? Sie möchten, dass ihre Arbeit nicht mehr so beliebig ist. Sie suchen nach dem verantwortungslosen Leben im Journalismus nun in der PR eine echte Verantwortung. Sie suchen einen Job, in dem es drauf ankommt.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 25. Juli 2019

Bildquelle: pixabay.de 

 

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