Mit den vielen, vor allem digitalen Publikationsmöglichkeiten werde die Wahrheit in einem Meer von Desinformation, Viertel- und Halbwahrheiten geflutet, warnt Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl. Verschwimmen Grenzen zwischen Journalismus, PR und Werbung, beschädige das auch die Glaubwürdigkeit der Redaktionen. Harald Fidler vom österreichischen Standard hat mit Russ-Mohl über aktuelle Entwicklungen der Verquickung von Werbung und redaktioneller Arbeit gesprochen.
STANDARD: An der Fachhochschule in Graz lehrt ein und derselbe Studiengang Journalismus und Public Relations. Das kann gescheit sein, ist sicher wirtschaftlich vernünftig – und hinterlässt bei mir als Journalist doch zugleich einen eigenen Beigeschmack. Was halten Sie davon?
Russ-Mohl: Was das Handwerkliche anlangt, das Nachrichten aufbereiten, das Recherchieren, Schreiben und Präsentieren bis hin zum Storytelling haben beide Berufe eine große “Schnittmenge”, und obendrein sind sie so eng aufeinander bezogen, dass es hilft, wenn beide Berufsgruppen über die jeweils andere gut Bescheid wissen. Einen Beigeschmack bekäme die Sache erst, wenn während der Ausbildung auch die Unterschiede zwischen Journalismus und PR verwischt würden – aber das muss nicht zwangsläufig so sein.
STANDARD: Die schwierige Auftragslage vieler Medien scheint nicht wenige freiberufliche Journalisten zu zwingen, ihren Lebensunterhalt parallel mit Werbung und Journalismus zu bestreiten. Was halten Sie davon?
Russ-Mohl: Das ist die traurige Realität – eine akzeptable Notlösung, sofern die Berichterstattungsbereiche nicht vermischt werden. Soll heißen: Wer für die Pharmaindustrie PR macht, darf nicht über diesen Bereich, über Pharmaprodukte oder Pharmaaktien, aber auch nicht über Gesundheit und Medizin journalistisch schreiben. In einer hochkomplexen Welt hängt allerdings alles mit allem zusammen. Interessenkonflikte, die entstehen können, sind vielfältig, und es setzt sehr viel Selbstreflexion und Professionalität voraus, wenn man sich hier nicht verstricken möchte.
STANDARD: Auch wenn Journalist/in und PR-Berater/in nicht in in einer Person stecken, verschwimmen die Grenzen offenbar in einem Ausmaß, dass sich gerade eine wissenschaftliche Fachtagung in Wien dem Thema widmete. Wenn es diese dramatische Entwicklung gibt – worauf führen Sie sie zurück?
Russ-Mohl: Das hat auf den ersten Blick viel mit dem Internet und seinem unüberschaubaren Angebot an Publikationsmöglichkeiten zu tun. Letztlich ist die Entwicklung aber auf die geringe Zahlungsbereitschaft von uns allen, den Bürgern und Konsumenten, für News und Journalismus zurückführbar. Und auf das große Interesse der Wirtschaft, der Politik, aber auch des Kulturbetriebs an öffentlicher Aufmerksamkeit, die möglichst positiv eingefärbt sein sollte. Deshalb wird immer mehr Geld für Selbstdarstellung, für Public Relations ausgegeben, und immer weniger für anspruchsvollen, recherchierenden Journalismus. Und mit den vielen, vor allem digitalen Publikationsmöglichkeiten wird die Wahrheit in einem Meer von Desinformation, Viertel- und Halbwahrheiten geflutet.
STANDARD: An der Uni Tübingen wurde untersucht, wie Jugendliche Inhalte von Bravo und ähnlichen Magazinen wahrnehmen. Die Studie kommt zum Ergebnis: Bezahlte so genannte Advertorials werden nicht oder nicht ausreichend als Werbung erkannt. Ich erinnere mich an Berichte über Aussagen von Jugendlichen, wonach ihnen der Unterschied zwischen Werbung und Redaktion gar nicht so wichtig erscheint. Produzieren Medien, die sich an diese Trennung halten, an ihrem Publikum vorbei?
Russ-Mohl: Es gibt immer ein großes Publikum, das lediglich unterhalten werden möchte – und da ist es letztlich „wurst“, wer die Unterhaltung liefert. Aber sowohl für unsere Berufstätigkeit und für unsere Konsumentscheidungen, aber auch als Staatsbürger ist es wichtig, dass wir verlässlich informiert und möglichst nicht nur mit Halbwahrheiten abgespeist werden. Wenn unser Gemeinwesen funktionieren soll, brauchen wir professionellen Journalismus. Der wiederum hätte – zusammen mit Schulen und Universitäten – die Aufgabe, das Publikum „aufzuklären“, auch über Medien und den „kleinen“ Unterschied zwischen Journalismus einerseits und PR beziehungsweise Werbung andererseits.
STANDARD: Ein leitender Redakteur eines als großer Medienerfolg gefeierten Magazins schickte mir Infos über sein Medienunternehmen, um mich zu einer Story zu motivieren. Unter den wesentlichen Aktivitäten für das kommende Jahr stand da: „Mehr Vermählungen von Storys und Brands“ für diverse Kunden. Wie klingt das in Ihren Ohren?
Russ-Mohl: Schrecklich. Ich plädiere für Scheidung vor der Hochzeit.
STANDARD: Aber auch höchst angesehene Medien wie die New York Times bieten längst so genanntes Native Advertising an – das kann, naiv gefragt, dann doch nichts Böses sein, oder?
Russ-Mohl: Die New York Times rechtfertigt das damit, dass sie „Native Advertising“ zumindest klar kennzeichnet. Für einen „Sündenfall“ halte ich das trotzdem, wobei wir allerdings nicht moralisieren sollten. Forschungsergebnissen zufolge beschädigt das langfristig die Glaubwürdigkeit, und Glaubwürdigkeit ist das kostbarste „Sozialkapital“, das journalistisch anspruchsvolle Redaktionen haben. Native Advertising ist Gift für Journalismus.
STANDARD: Red Bull geht noch ein paar Schritte weiter und entwickelt gleich eine ganze, möglichst globale Lebenswelt mit den passenden Medien um seine Marken und ihre, wenn man so will, Philosophie. Um welche Grenzen soll man sich da noch Sorgen machen?
Russ-Mohl: Wenn ich bei Red Bull für PR oder Werbung verantwortlich wäre, würde ich mir vor allem Gedanken darüber machen, ob es nicht irgendwann heftig auf das Markenimage negativ zurückwirken kann, wenn die geförderten Extremsportler oder Akrobaten zu Tode kommen. Das höchst erfolgreiche Unternehmen geht dauerhaft das Risiko ein, Opfer eines medialen und globalen Shitstorm-Tsunamis zu werden. Ich glaube, nur Österreicher können so tollkühn sein.
STANDARD: Verschwimmende Grenzen kann man aber gerade in Wien auch viel alltäglicher beobachten: Werbekunden verlangen zu ihrer Schaltung freundliche redaktionelle Begleitmusik – oder bekommen sie bereitwillig mitgeliefert. Als mediales Geschäftsmodell eine österreichische Spezialität oder auch in anderen entwickelten Märkten geläufig?
Russ-Mohl: Leider ist das auch in anderen Märkten gang und gäbe – zum Beispiel bei den Gratiszeitungen der Schweiz. Colin Porlezza, einer meiner Doktoranden, hat dazu gerade ein schönes Buch veröffentlicht: “Gefährdete journalistische Unabhängigkeit” – so viel Schleichwerbung muss jetzt auch in diesem Interview sein.
STANDARD: Ein Prinzip scheint aber in Österreich besonders ausgeprägt: Relativ hohe Werbeausgaben von Politik und öffentlichen Institutionen – offenbar in der Hoffnung auf positive oder zumindest nicht negative Berichterstattung. Oder fällt das Volumen nur in Österreich neuerdings so auf, weil die Daten veröffentlicht werden?
Russ-Mohl: Das kann ich nicht „wissenschaftlich“ beurteilen. Es sollte dringend europaweit vergleichend untersucht werden. Es scheint mir schon ein besonders krasser Fall, dass in Österreich offenbar jene Medien mit vom Steuerzahler finanzierter Werbung besonders gehätschelt werden, welche ihrerseits führende Politiker mit netten Homestories bedienen, statt sie kritisch zu begleiten. Das halte ich für korrupt. Schlimmer ist es allerdings, wenn die drei wichtigsten privaten Fernsehsender und der größte Zeitschriftenverlag dem mächtigsten Politiker im Lande gehören, und sich dieser obendrein zwei der drei öffentlichen TV-Programme dienstbar machen kann. Das war – und ist vielleicht hinter den Kulissen noch immer – mit Berlusconi in Italien seit Jahrzehnten der Fall und hat das Land an den Abgrund geführt.
STANDARD: Google news zeigt inzwischen nicht nur journalistische News in seinen Suchergebnissen, sondern auch PR-Texte. Ein „Dammbruch“, wie etwa der spiegel.de-Chefredakteur erklärt?
Russ-Mohl: Der Damm ist längst gebrochen – eben mit „Native Advertising“ zum Beispiel, siehe oben: Viele Medien bis hin zur New York Times platzieren inzwischen PR- und Werbebotschaften gleichwertig zu und kaum noch unterscheidbar von redaktionellem Text. Warum sollte Google da anders verfahren? Damit wird allerdings auch die Marktnische grösser für solche journalistischen Produkte, deren Redaktionen sich weiterhin redlich um eine strikte Trennung zwischen Werbung/PR und journalistischen Inhalten bemühen. Das allerdings kostet Geld und setzt Zahlungsbereitschaft beim Publikum voraus. Der Economist, aber auch manch andere, profitieren von diesem Trend.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Erstveröffentlichung: Der Standard vom 21. März 2015
Bildquelle: Bob Mical/flickr.com
Schlagwörter:Marketing, Native Advertising, PR, Transparenz, Unabhängigkeit, Werbung