Der adoptierte Tag

2. Januar 2015 • Ressorts • von

Links eine Schlagzeile, rechts daneben das, was wirklich zählt: Eine Erinnerung, eine persönliche Geschichte, ein Erlebnis: Mit dem Buchprojekt “Adopt a Day” will Dennis Buchmann herausfinden, wie relevant Nachrichten im Alltag sind. Für 2014 konnte, wer wollte, einen Tag “adoptieren” und seine persönliche Geschichte dazu aufschreiben. Im EJO-Interview erzählt der 37-Jährige, warum Journalisten sich nicht so ernst nehmen sollten.

Wie sind Sie auf die Idee zu “Adopt a Day” gekommen?

Das Projekt ist eher ein Protest: Ich war auf der Deutschen Journalisten-Schule in München und danach im Journalismus tätig. Irgendwann habe ich mich gefragt: Wie relevant sind die Nachrichten, die wir täglich bekommen, für uns als Individuen? Meine These ist, dass eine Nachricht wie “Erdbeben in China” zwar relevant, aber für uns persönlich nicht mehr als eine Information ist. Die vielen Nachrichten, die wir täglich konsumieren, sorgen nicht dafür, dass wir unser Leben oder gar Entscheidungen im Alltag ändern.

Ich möchte zeigen, was unsere Tage wirklich ausmacht: Die subjektiven Geschichten des Einzelnen. Diese Geschichten stelle ich dann den Schlagzeilen des Tages gegenüber – deshalb auch die Idee mit den Doppelseiten.

Was ist Ihnen beim Lesen der Geschichten aufgefallen?

Ich merke, dass meine These zutrifft. Wenn die Leute aufschreiben, was ihren Tag ausgemacht hat, was ihnen wichtig war, kommen die Nachrichten nicht vor. Ich habe noch nicht alle Geschichten gelesen, aber bislang bezieht sich keine auf das aktuelle Tagesgeschehen in den Medien. Nie schreibt jemand: “Heute hat meinen Tag ausgemacht, dass Angela Merkel sich ein Bein gebrochen hat.” Das ist für das Individuum vollkommen irrelevant. Das macht mein Projekt für mich aber gerade so interessant: Die Leute sind immer mit den kleinen, persönlichen Dingen beschäftigt, die für sie wichtig waren. Im Vergleich dazu rücken das Tagesgeschehen und die scheinbar so wichtigen Nachrichten in den Hintergrund.

Wovon handeln die Geschichten stattdessen?

Die meisten Leute haben Tage adoptiert, die eine besondere Bedeutung für sie haben. Andere waren ganz alltäglich: In einer ging es darum, dass jemand einen Tag nur auf dem Sofa gesessen und nichts gemacht hat. Von den Bewerbungen ist mir vor allem eine Geschichte in Erinnerung geblieben: Eine Mutter hat über den Todestag ihres kleinen Kindes geschrieben. Das war sehr erschreckend und hat mich sehr berührt.

Wie finanziert sich “Adopt a Day”?

Jeder Autor bekommt als Honorar ein Buch. 500 vorbestellte Bücher finanzieren den Druck von 1.000 Exemplaren. Sollte die Zahl nur knapp erreicht werden, würde ich auch aus eigener Tasche draufzahlen. Das habe ich ja sowieso schon: Ich habe zum Beispiel das Layout der Homepage selbst bezahlt, für die Arbeitszeit werde ich auch nicht bezahlt. Ich glaube nicht, dass ich damit Geld verdienen kann. “Adopt a Day” ist eher ein Herzensprojekt von mir.

Was für Lehren für den Journalismus ziehen Sie aus Ihrem Projekt?

Der Journalismus sollte sich nicht immer so ernst nehmen. Mir geht es vor allem um Schlagzeilen, die natürlich reißerisch und verkürzt sind. Ich bin der Meinung, dass Nachrichten zwar wichtig sind – man muss beispielsweise wissen, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinander geht – aber trotzdem beeinflusst das nur indirekt mein Handeln. Reporter sollten anerkennen, dass ihre Nachrichten nur relativ wichtig sind.

Bisher verzeichnet Ihre Homepage 88 vorbestellte Bücher. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten des Projekts ein und wie geht es mit “Adopt a Day” weiter?

Ich bin da relativ optimistisch. Wenn jeder Autor nur einen Freund oder Bekannten dazu bringen kann, ein Buch zu kaufen, läuft es.

2015 habe ich keine Zeit, das Projekt sofort erneut zu starten. Ich müsste dann ja direkt im Januar wieder anfangen, Autoren zu suchen. Ich werde erst einmal ein Jahr aussetzen. Aber dann habe ich einen Prototyp, mit dem ich auch zu Buchagenten oder Verlagen gehen kann. Vielleicht könnte ich das Buch dann in einer zweiten Runde mit mehr Budget und noch professioneller umsetzen. Bis dahin warten auf mich erst einmal eine Millionen Zeichen, die ich noch redigieren muss.

Vielen Dank für das Interview.

Zur Person:

Dennis Buchmann arbeitet freiberuflich in verschiedenen Bereichen, darunter für das Spendenportal “BetterPlace.org”. Außerdem verkauft er als Geschäftsführer von MeinekleineFarm.org “Fleisch mit Gesicht”. Er realisierte als Gewinner des Scoop!-Wettbewerbs das Magazin Humanglobaler Zufall und arbeitete er als freier Journalist unter anderem für die Frankfurter Rundschau und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.

Mehr zum Thema:

http://www.adoptaday.net/

https://www.betterplace.org/de/

http://www.meinekleinefarm.org/

 

Bildquelle: Screenshot von adoptaday.net

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