Medienforscher stellten der Corona-Berichterstattung in der ersten Welle kein gutes Zeugnis aus. Doch eine systematische Framing-Analyse bestätigt nur bedingt den Vorwurf des medialen Versagens.
Zu distanzlos, zu sehr auf Linie mit den Beschlüssen der Regierung und versehen mit einer „übersteigerten negativen Weltsicht“ – Medienforscher wie Klaus Meier und Vinzenz Wyss sowie Martin Hennig und Dennis Gräf stellten der Corona-Berichterstattung, besonders in der ersten Welle im Frühjahr 2020, kein gutes Zeugnis aus. Ihre kritischen Beiträge zeichneten ein Bild des medialen Versagens, beruhten jedoch meist nur auf einer ersten Betrachtung und nicht auf einer systematischen Analyse.
Letztere ist Gegenstand meiner Bachelorarbeit am Institut für Journalistik an der TU Dortmund. In einer computerbasierten Framing-Analyse habe ich die Corona-Berichterstattung von drei Mainstream-Medien (den Online-Auftritten von Welt, der Süddeutschen Zeitung und dem Handelsblatt) und dem alternativen Medium Junge Freiheit verglichen. Im Betrachtungszeitraum vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2020 wurden so für die Mainstream-Medien 14.262 Artikel mit dem Suchwort „Corona“ analysiert und für die Junge Freiheit 388.
Die Ergebnisse bestätigen die oben angeführte Kritik nur bedingt. Es wird zwar deutlich, dass die Mainstream-Medien in der Tat nicht schwerpunktmäßig über die breite gesellschaftliche Debatte über die Maßnahmen und den Exit aus dem Lockdown berichteten. Problemverursacher werden nur selten explizit genannt, und Lösungsvorschläge bleiben häufig einseitig und unspezifisch.
Deutlich wird aber auch, dass die Mainstream-Medien meist auf traditionelle Berichterstattungsmuster zurückgriffen. Gemäß des von Wilkins (2014) definierten „mitigation watchdogs“ spielte es offenbar eine übergeordnete Rolle, einen Beitrag zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie zu leisten und daher die Auswirkungen der Katastrophe zu lindern (engl. mitigation). Tatsächlich ist das Abweichen von journalistischen Normen in Krisenzeiten keine Seltenheit – insbesondere wenn es um die Kritikfunktion geht, schrieb auch Florian Meißner im April 2020. Mit Blick auf das Framing in der Berichterstattung der Mainstream-Medien wird deutlich, dass sie meist auf generische Frames zurückgriffen, die sich themenunabhängig in einem Großteil der Berichterstattung finden.
Eine andere Art der Berichterstattung leistete in dieser Zeit die Junge Freiheit. Das rechtsgerichtete alternative Medium berichtete zwar insgesamt kritischer über die Maßnahmen und die Beschlüsse der Politik, allerdings ohne dabei eine klare Richtung vorzugeben: Mal drückte die Berichterstattung die Erforderlichkeit von mehr Maßnahmen aus, mal von weniger. Insgesamt scheint die Corona-Pandemie eher ein Nebenthema zu sein, das sich mehr durch seine Politisierung als durch die reale Gefahr für die Menschen begründet. Die Themensetzung der Jungen Freiheit war so weniger durch die Pandemie selbst und mehr durch die typischen Themen eines rechten Mediums bestimmt: Migration, Innere Sicherheit und parteipolitische Themen der AfD nahmen einen signifikanten Teil der Corona-Berichterstattung ein.
Systematische Erfassung und Modellierung großer Textmassen mit LDA
Die für die Analyse angewandte Methode ist die Latent Dirichlet Allocation – kurz LDA. Mit Hilfe der LDA-Methode können große Textmassen systematisch erfasst und modelliert werden. Dokumente oder Artikel werden dabei nur als ein „Haufen“ von Worten betrachtet, die in einer Beziehung zueinanderstehen – Mohr & Bogdadov (2013) bezeichnen dies als die „bag of words“-Annahme. Je nach Stärke und Signifikanz dieser Beziehung konstituiert sich aus einer bestimmten Gruppe von Worten ein Topic, also ein Thema. Diese Topics werden dann über die gesamte Textmenge hinweg immer wieder ermittelt, sodass am Ende der Analyse von tausenden Dokumenten eine kleine Anzahl von Themen steht, die diese Dokumente ausmachen. Die Anzahl der Topics, die durch die LDA-Analyse generiert werden sollen, wird dabei vom Forschenden vorab festgelegt.
Bereits die Entwickler der LDA-Methode, DiMaggio, Ng & Blei (2013) interpretieren diese Topics vor dem Hintergrund der kommunikationswissenschaftlichen Framing-Theorie. Auch in meiner Arbeit wurde die LDA-Analyse gewählt, um zu ermitteln, wie die Medien die Ereignisse geframed haben, also welche Deutungsmuster ihnen verliehen wurde.
Framing konstituiert sich dabei durch das Weglassen bzw. salient machen von Informationen, wie Matthes (2014) schreibt. Es stellt eine Routine von BerichterstatterInnen dar, die besonders dann zum Einsatz kommt, wenn der Rückgriff auf etablierte Routinen sinnvoll erscheint: Zum Beispiel in Krisen. So eignet sich der Framing-Ansatz ganz besonders, um Erkenntnisse über die Arbeitsweisen der BerichterstatterInnen in der Coronakrise zu gewinnen.
Entman (1993) nennt als Bestandteile eines Frames eine Problemdefinition, eine Ursachenzuschreibung, eine Lösungszuschreibung und eine explizite Wertung. Und laut Matthes (2014) liegt ein Frame vor, wenn ein Muster diese Bestandteile über mehrere Texte hinweg identifiziert werden kann.
Die LDA-Analyse zwar ist in der Lage auf eine objektive Weise Erkenntnisse über die Themenstruktur in großen Textmengen zu erlangen. Die von Entman beschriebenen inhaltlichen Bestandteile eines Frames kann die LDA-Analyse allein jedoch nicht aufspüren. Aus diesem Grund wurde das Forschungsdesign der Arbeit um eine manuell-dimensionsreduzierten Analyse erweitert. Auf Grundlage der LDA-Ergebnisse sollten Frame-Elemente in den zu analysierenden Texten codiert werden. Lässt sich ein Muster über mehrere Texte hinweg erkennen, so liegt ein Frame vor.
Europapolitik ist ein gemeinsamer Nenner, Lösungsansätze unterscheiden sich aber stark
Betrachtet man die gefundenen Frames in beiden Stichproben, also in den Mainstream-Medien und in der Jungen Freiheit, zeigen sich nur wenige Parallelen. Lediglich die Europapolitik ist ein gemeinsamer Nenner, auch wenn sich das Framing inhaltlich stark unterscheidet. So berichteten die beide Medien-Typen über den europäischen Konflikt um umfangreiche Hilfskredite oder Eurobonds. Die Mainstream-Medien präsentierten als Lösung meist eine solidarische Lösung der EU-Länder, während die Junge Freiheit als Lösungsansatz die politische Souveränität Deutschlands von der EU unterstrich.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Mainstream-Medien weniger kritisch und eher gemäß typischen (Krisen-) Berichterstattungsmustern berichteten. Ursachen- und Lösungszuschreibung sind häufig unspezifisch oder gar nicht vorhanden und die breite Debatte über das Ende der Maßnahmen im ersten Lockdown lässt sich nicht schwerpunktmäßig in der Themenstruktur der Mainstream-Medien finden.
So könnte man argumentieren, dass die Junge Freiheit eher einer Kritikfunktion nachgekommen ist. Ihre Forderungen nach konkreten Maßnahmen sind jedoch häufig inkonsistent: Mal werden mehr, als weniger Einschnitte verlangt. Die Themensetzung der Jungen Freiheit scheint jedoch insgesamt eher der Agenda eines oppositionellen Mediums zu folgen und weniger den tatsächlichen Ereignissen und Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie.
Literatur:
DiMaggio, P., Nag, M. & Blei, D. (2013). Exploiting affinities between topic modeling and the sociological perspective on culture: Application to newspaper coverage of U.S. government arts funding. Poetics, 41(6), 570–606. https://doi.org/10.1016/j.poetic.2013.08.004
Entman, R. M. (1993). Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigm. Journal of Communication, 43(4), 51–58. https://doi.org/10.1111/j.1460-2466.1993.tb01304.x
Matthes, J. (2014). Framing. Nomos.
Mohr, J. W. & Bogdanov, P. (2013). Introduction—Topic models: What they are and why they matter. Poetics, 41(6), 545–569. doi.org/10.1016/j.poetic.2013.10.001
Wilkins, L. (2014). Affirmative Duties. Journalism Studies, 17(2), 216–230. doi.org/10.1080/1461670x.2014.974985
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Schlagwörter:Corona-Berichterstattung, Covid-19, Deutschland, Europapolitik, Handelsblatt, Junge Freiheit, Kritikfunktion, Latent Dirichlet Allocation, LDA, Lockdown, Süddeutsche Zeitung, Welt