Für Geist, Geld und Gewinn

1. Mai 2006 • Ressorts • von

Wirtschaftsjournalist, 05/2006

Das neue CASHdaily ist nahverkehrs-,flugzeug- und bildschirmtauglich, gut gemacht und kostenlos – für die Schweiz ein kleines Wunder.
Die erste Enttäuschung ist herb: Als ich bei Google nach „Cash daily“ suche, lande ich bei zwei Internet-Anzeigenagenturen (sell.com classifieds; kingdom classifieds) und dann bei der Ringier-Medienstelle, die in einer Monate alten Pressemeldung das Verlagsprojekt ankündigt.
 

Auch auf meinem Weg zum Arbeitsplatz ist weit und breit keine Verteilstelle in Reichweite, wo man das Blatt in Empfang nehmen könnte. Am Uni-Eingang liegt für die Wirtschaftswissenschaftler zwar täglich gratis das Wall Street Journal Europe aus – aber kein Cash daily. Soll heissen, die Hürde, an die neue Gratiszeitung heranzukommen, ist erst einmal ziemlich hoch.

Umso grösser ist der Überraschungseffekt, als ich das Blatt mit dem ebenso zwingenden wie zwinglischen Untertitel „Für Geld, Geist und Gewinn“ endlich in Händen halte (und schliesslich natürlich auch noch im Netz „entdecke“: Das Sesam-öffne-Dich: http://www.cash.ch/daily/ ; bei Google: „Cashdaily“ – ohne Leerzeichen).

Es ist fraglos gut gemacht – zumindest: besser als der Wirtschaftsteil so mancher auch grossen Regionalzeitung. Im handlichen Tabloid-Format ist Cash daily nahverkehrs-, flugzeug- und bildschirmtauglich. Es füllt eine Marktnische, denn bisher gibt es in der Schweiz keine täglich erscheinende Wirtschaftszeitung. Fraglos ist es das Richtige für informationsüberlastete Manager, die sonst auch nur Executive Summaries lesen: eine wohldosierte, verarbeitbare Informationsmenge. Und dass es ausgerechnet in der Schweiz etwas umsonst gibt, was in vergleichbarer Qualität anderswo Geld kostet, ist für sich genommen schon ein kleines Wunder.

Wie überall im Wirtschaftsjournalismus, wird freilich viel PR-Material verwendet, dessen Herkunft verschleiert wird. „Zara verkauft so gut wie noch nie“, „Migros Ostschweiz setzt Öko-Massstab“ – solche Rubriken auf Seite 1 lassen zumindest ahnen, dass diese Erfolgsmeldungen nicht von der Redaktion recherchiert wurden.

Andererseits geht man nicht allem Ärger mit potentiellen Anzeigenkunden aus dem Weg: „Cablecom und Post mit miesem Service“ vermeldet ein Aufmacher – und im Kasten werden auf der Seite 1 mit Assura, Carrefour, Denner, Orange und Wintherthur Leben fünf weitere Schweizer Unternehmen vorgeführt, die bei einem Kundenzufriedenheits-Ranking zu den Schlusslichtern gehörten. Only bad news is good news – liesse sich zumindest diesmal folgern, denn die Gewinner werden erst auf Seite 2 enthüllt.

Rankings haben fraglos Konjunktur: „Schweizer Wirtschaft ist die beste der Welt“, heisst es in der Top-Meldung , als das World Economic Forum seinen jährlichen Report über die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften vorlegt. Und ebenfalls auf Seite 1 erfahren wir, dass die Zürcher Ökonomen Bruno Frey und Ernst Fehr ihren deutschen Fachkollegen um Längen in der Forschungsproduktivität voraus sind. Der einzige Schönheitsfehler dieser herzwärmenden Homestory ist, dass sie sich auf eine Umfrage bezieht, die das Handelsblatt erstellt hat. Ernüchternd anderntags allerdings die Schlagzeile: „Ausländer sind die besseren Manager“. Wir erfahren, dass 60 Prozent der Top-Manager in der Schweiz von ausserhalb kommen.

Clever wird selbst dann ein Schweiz-Bezug hergestellt, als sich die Siemens-Vorstände 30 Prozent Gehaltserhöhung genehmigen. „Ackermann verteilt wieder Millionen“, heisst die hintersinnige Schlagzeile – und in der Tat hat der aus Helvetien stammende Banker als Mitglied des Aufsichtsrats-Präsidiums wohl auch diese dreiste Selbstbedienung in der Firmenkasse mit abgesegnet.

„Radar“ – die tägliche Seite 3 mit aktuellen Statistiken, Zahlen, Prognosen, die auf einer Weltkarte dem jeweiligen Ort des Geschehens zugeordnet werden, ist eine geniale Idee. Nur: Muss da unbedingt auch das Nicht-Quantifizierbare in Zahlen-Salat verwandelt werden – das, was sich einfach nicht seriös beziffern lässt? Wie wichtig ein Thema ist und wie wahrscheinlich die Angaben zutreffen – dazu in Prozent-Zahlen Aussagen machen zu wollen, ist arger Humbug. Winston Churchill lässt grüssen: Er glaubte bekanntlich nur an die Statistik, die er selber gefälscht hatte. Ausserdem kommen die Nachrichten, die vom „Radar“-Schirm erfasst werden, dann eben doch meist aus Europa, Nordamerika und gelegentlich aus Japan. So erinnert die Weltkarte, die den Prognosen unterlegt ist, täglich daran, wie sehr Lateinamerika, Afrika, Australien, aber auch weite Teile Asiens als Wirtschaftsregionen noch immer ausserhalb unseres Wahrnehmungshorizonts bleiben.

Gross geschrieben werden Service-Geschichten – aber nicht alle sind wirklich nützlich. Bei welchen Airlines man zu welchen Konditionen ein Fahrrad mitnehmen darf, dafür gibt’s eine ganze Seite – aber sie reicht eben nur für sieben Fluggesellschaften. Und was nützt es dem gestressten Manager, wenn er erfährt, dass Sportgepäck bei Alitalia aufpreispflichtig ist, wo er sich doch gerade in Spanien oder den USA eine Auszeit gönnen möchte.

Last not least gehts auch in Cash daily nicht ohne “people journalism”. Das signalisiert schon Nico’s Karikatur. Auf der Seite 1 porträtiert er täglich ziemlich schräg einen Wirtschafts-Akteur, der gerade Schlagzeilen macht. Das hebt sich wohltuend von den vielen Köpfen ab, mit denen uns andere Wirtschaftsblätter langweilen. Der „Kopf des Tages“ findet sich dann im Blatt-Inneren auf der Klatschseite – und da ist beispielsweise zu erfahren, dass SAT 1-Chef Roger Schawinski „bekennender Cashdaily-Leser ist“. Soviel Eigen-PR muss offenbar sein!

Was ich mir kaum vorzustellen vermag: Den Banker oder Wirtschaftsingenieur, der täglich am Kiosk vorbeischaut, um sich Cash daily abzuholen – es sei denn, er kauft dort ohnehin seine Tageszeitung, einen Schoggi-Riegel oder Zigaretten. Aber die gedruckte Version von Cash daily zum Nulltarif ist wohl auch nur ein Produkt für die Übergangszeit – möglicherweise ja nicht mehr und nicht weniger, als der kostspielige Versuch, die lästigen Wettbewerber Finanz und Wirtschaft und Handelszeitung, die nicht täglich erscheinen, Auflage verlieren und obendrein den Leser Geld kosten, mit einem Dumping-Angebot zum Aufgeben zu zwingen.

Stephan Russ-Mohl

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