Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung
Medienjournalismus als beliebtes Forschungsobjekt
Obwohl der Medienjournalismus marginalisiert zu werden droht, ist das wissenschaftliche Interesse am Thema grösser denn je. Kaum ein anderes journalistisches Metier dürfte in jüngster Zeit im deutschsprachigen Raum intensiver untersucht worden sein.
Medienjournalismus, also die Berichterstattung der Medien über Journalismus und Medien, ist von mindestens drei Paradoxien geprägt: Obschon sich fast jeder in seiner Freizeit mit kaum etwas intensiver beschäftigt als mit Medien, unterstellen Verleger und Chefredaktoren gern, dass die Publika Einblicke in den Medienbetrieb nicht interessierten. Deshalb droht der Medienjournalismus ausgedünnt, ja mancherorts weggespart zu werden. Seine kurze Blütezeit scheint jedenfalls vorbei. Diese erste Paradoxie legt den Verdacht nahe, dass Mediengewaltige zwar andere an den Pranger stellen, aber ungern selbst in den Schlagzeilen landen. Seit es Medienseiten und -sendungen gibt, müssen sie aber Letzteres zumindest gelegentlich befürchten; also rationalisiert man solche ungeliebten Angebote weg.
Ein Instrument zur Qualitätssicherung
Das zweite Paradox: Obschon der Medienjournalismus marginalisiert zu werden droht, ist das wissenschaftliche Interesse am Thema grösser denn je. Kaum ein anderes journalistisches Metier dürfte in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum intensiver beforscht worden sein. Das auffällige Interesse rührt wohl daher, dass die Wissenschafter im Medienjournalismus ein Instrument journalistischer Qualitätssicherung entdeckt zu haben glauben: Ein öffentlicher Diskurs über Qualitätsmassstäbe und -mängel, so das Kalkül, würde nicht nur die Journalisten mehr übers eigene Metier nachdenken lassen, sondern auch das Publikum dazu veranlassen, mehr Qualität einzufordern, mutmasste schon vor Jahren der Zürcher Kommunikationsforscher Ulrich Saxer.
Anzuzeigen sind somit gleich mehrere neue Forschungsarbeiten. Die meisten vereint ein Reader, herausgegeben von Ralph Weiss (Hans-Bredow-Institut). Die wohl bisher gründlichste Einzelstudie zum Medienjournalismus hat Maja Malik (Universität Hamburg) vorgelegt. Der Band von Gerd Hallenberger und Jörg-Uwe Nieland vereint wissenschaftliche Reflexion und journalistische Fallstudien. Und nicht zuletzt steuerte Peer Schader (Universität Mainz) zum Themenfeld eine hochinteressante Magisterarbeit bei.
In drei der vier Analysen stehen Befragungen im Vordergrund. Es werden also Medienjournalisten so porträtiert, wie sich diese selber sehen. Und durch den Vergleich mit früheren ähnlichen Studien wird es möglich, nachzuspüren, wie sich ihre Selbstwahrnehmung verändert hat. Aufgrund der kleinen Fallzahlen können die Ergebnisse aber nur bedingt als repräsentativ für die Berufsgruppe der Medienjournalisten gelten.
Teil der Selbstkontrolle
Laut Malik wissen Medienjournalisten immer noch wenig über ihre Publika, denn Verlagshäuser gäben kaum Geld aus, um mit Hilfe von Marktforschung Basisinformationen über die Interessen ihrer Leser zu gewinnen. Schader beobachtet, dass Medienjournalisten inzwischen ihre Kritik- und Kontrollfunktion ernst nähmen. Sie akzeptierten jetzt eher als noch Mitte der neunziger Jahre ihre Rolle als Kritiker von Medienversagen und Machtmissbrauch, und sie verstünden sich inzwischen als Teil des Selbstkontrollsystems.
Anderseits – und das zeigt einmal mehr, wie Untersuchungsmethoden in der Sozialforschung oftmals die Ergebnisse beeinflussen – präsentiert Joan Kristin Bleicher (im Band von Weiss) eine Inhaltsanalyse, wonach Kritik – zumindest an Fernsehsendungen – im Schwinden begriffen sei. Artikel, mit denen Aufmerksamkeit für bestimmte Sendungen und Medienprodukte erzeugt und auch Synergieeffekte für die Medienunternehmen realisiert würden, ersetzten mehr und mehr die Medienkritik, und vor allem bleibe dem Publikum meist verborgen, wie viel Medienberichterstattung durch Medien-PR inhaltlich vorstrukturiert sei.
Trotzdem würden sich, so Malik, zumindest die Hälfte der Medienjournalisten als in ihrer Arbeit relativ unabhängig einschätzen. Als Berichterstatter bedienten sie sich derselben Arbeitstechniken und Routinen wie die Kollegen, die beim selben Medium in anderen Feldern tätig sind. Die andere Hälfte der Medienjournalisten klagen dagegen, sie würden «vollständig von ihren Chefredaktoren kontrolliert» oder sie müssten dort zumindest häufig Stücke vorlegen, bevor diese publiziert würden. Dieser Eindruck wird allerdings in der Studie von Schader modifiziert. Die von ihm befragten Medienjournalisten waren mehrheitlich der Meinung, sie selbst würden nicht über Gebühr von ihren Redaktionschefs kontrolliert und beeinflusst – allerdings sei das wohl in den Redaktionen der Wettbewerber der Fall.
Das dritte Paradox: Das gesteigerte Forscherinteresse hat die Medienjournalisten nicht daran gehindert, kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisse meist selbst dann noch souverän zu ignorieren und damit auch ihren Publika vorzuenthalten, wenn die Wissenschafter etwas herausgefunden haben, was die Daseinsberechtigung und Bedeutung des Medienjournalismus unterstreichen könnte. Alle drei Studien könnten Praktikern helfen, die spezifischen Herausforderungen ihres Metiers besser zu verstehen. Die Forscher haben immerhin eine plausible Erklärung, warum solche Forschungsarbeiten dennoch von der Praxis kaum zur Kenntnis genommen werden: Laut Malik hat nur ein Viertel aller Medienjournalisten Kommunikationswissenschaften oder Journalistik im Haupt- oder Nebenfach studiert.
Das ist vermutlich allerdings nur die halbe Wahrheit, um mangelnden Forschungstransfer zu erklären. Die andere Hälfte verrät der Titel des Bands «Journalismusjournalismus» von Malik. Die Wortschöpfung erschliesst sich – wie der Text selbst – eigentlich nur demjenigen, der systemtheoretisch geschult ist. Malik, aber auch einige der Autoren in dem von Weiss edierten Bändchen präsentieren ihre Ergebnisse in hochwissenschaftlichem Jargon. Um sie en détail denjenigen zugänglich zu machen, die daraus Honig saugen könnten, bedürfte es erheblicher Übersetzungsarbeit. So tragen auch die Wissenschafter dazu bei, dass ihre Erkenntnisse zwar im Elfenbeinturm zirkulieren, aber auf die Kommunikationspraxis kaum Einfluss haben.
Vor diesem Hintergrund gewinnen die Vorschläge an Gewicht, welche der Zürcher Kommunikationsforscher Otfried Jarren und seine Münsteraner Kollegin Sarah Zielmann unterbreiten: Sie betrachten es als Aufgabe von Stiftungen, die «medienanalytische wie -kritische Infrastruktur» zu verbessern, also Institutionen zu gründen, die «für mehr Transparenz in der Medienentwicklung sorgen» (siehe nebenstehenden Beitrag).
Für investigativen Medienjournalismus
Vielleicht würde dann sogar öfters möglich, was Volker Lilienthal am Beispiel dreier Recherchen über das ZDF (in dem eher bunt zusammengewürfelten Bändchen von Hallenberger/Nieland zur angeblich neuen Kritik der Medienkritik) ebenso illusionslos wie anschaulich beschreibt und was als Beobachtungsinstanz für die Medienbranche besonders dringlich wäre: investigativer Medienjournalismus, der Journalisten und Medienmanagern genauso schonungslos auf die Finger sieht, wie diese das so gerne bei Politikern und Wirtschaftsführern tun.
Beuthner Michael / Weichert, Stephan Alexander (Hg.): Die Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des Medienjournalismus. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005.
Hallenberger, Gerd / Nieland, Jörg-Uwe (Hg.): Neue Kritik der Medienkritik. Werkanalyse, Nutzerservice, Sales Promotion oder Kulturkritik? Herbert-von-Halem-Verlag, Köln 2005.
Malik, Maja: Journalismusjournalismus. Verlag für Sozialwissenschaften (VS), Wiesbaden 2004.
Schader, Peer: Kritik in der Krise. Eine qualitative Befragung von Medienjournalisten zum Umgang mit selbstreflexiver Branchenberichterstattung. (MS), Mainz: Magisterarbeit, FB Sozialwissenschaften; Kurzfassung in: Message 4/2004, S. 94-96.
Weiss, Ralph (Hg.): Zur Kritik der Medienkritik. Wie Zeitungen das Fernsehen beobachten. Schriftenreihe Medienforschung der LfM Nordrhein-Westfalen. Vistas-Verlag, Berlin 2005.
Schlagwörter:Medienjournalismus, Qualitätssicherung, Selbstkontrolle