Kosten, Täter und Opfer

17. Juni 2008 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist 12 /07 + 01 / 08

Allein schon dieser eine Betrag ist atemberaubend: Drei Millionen Dollar blättert die New York Times jährlich hin, um sich im Irak weiterhin ein Korrespondenten-Büro leisten zu können – die Gehälter der Journalisten nicht mitgerechnet.

Nur für Miete, Lebensversicherungen, fürs Wachpersonal, den Stromgenerator. Die Zahlen, die der Columbia Journalism Review (Nov./Dez. 2007) offenlegt, werfen einmal mehr die Frage auf, wie wir über Krieg und Terror informiert werden – und inwieweit es privaten Medienunternehmen zuzumuten ist, die Kosten dafür zu übernehmen. „Morgan Stanley und ihresgleichen mögen es anders sehen – aber ein derartiges Investment ist ein Akt des Glaubens an die Demokratie“, feiert die Fachzeitschrift in ihrem Editorial das Engagement der Times.

Anderen Medienunternehmen sitzen die Banker und Investoren der Wall Street offenbar stärker im Genick. Schon ein paar Monate zuvor hatte der konkurrierende American Journalism Review (April/May 2007) berichtet, wie die eskalierende Bedrohung von Ausländern und die astronomischen Sicherheitskosten viele Häuser veranlasst haben, ihre Korrespondenten zurückzubeordern. Die verbliebenen Journalisten würden sich zwar mächtig anstrengen, „Schneisen in Spin und Vernebelung“  zu schneiden – aber letztlich würden die Amerikaner und damit auch die übrige Welt nur noch bruchstückhaft über einen „sich in die Länge ziehenden, blutigen und Milliarden Dollar an Steuergeldern verschlingenden Krieg“ informiert. Die Korrespondenten seien in ihrer Beweglichkeit stark eingeschränkt: Beim Versuch, Informationen, die das Militär oder das Pentagon ausstreue, zu überprüfen, begäben sie sich zwangsläufig in Lebensgefahr. Nach Fallujah oder in bestimmte Stadtviertel von Baghdad könnten sie schlichtweg nicht hinein.

Journalistinnen würden sich oftmals mit Kopftuch und einem Abaya tarnen – einem bis zu den Knöcheln reichenden Kleidungsstück, wie es muslimische Frauen tragen. Männliche Kollegen mit dunklem Teint liessen sich Schnauzer oder Bärte wachsen, Blonde färbten sich die Haare, um wie Iraker auszusehen. Wer sich auf einen Recherchetrip begebe, müsse sich eine ganze Litanei von Fragen beantworten: „Wo ist das? Um wieviel Uhr? Wie komme ich da hin? Wie komme ich zurück? Mit wem kann ich sprechen? Wer kontrolliert das Quartier, wer die Checkpoints? Ist genug Benzin im Auto und genug Luft in den Reifen? Rechtfertigt die Story das Risiko?“ Viele würden sich entsprechend der „15-Minuten-Regel“ verhalten: Aus Furcht, dass jemand mit einem Handy Killer herbei telefonieren könnte, verweilten sie nirgendwo länger. Auch kleinste Signale können verräterisch sein: Wer sich im Auto anschnalle, riskiere erkannt zu werden und damit sein Leben – denn Iraker benutzten kaum je einen Sicherheitsgurt.

Was den Irak von früheren und anderen Kriegen unterscheidet: Die Journalisten selbst sind zu Zielscheiben geworden. Von den 123 Berufskollegen, die weltweit im Jahr 2007 inhaftiert wurden, sitzen zwar nur drei im Irak im Gefängnis. Von den 83 Journalisten, die – so die Statistik von „Reporter ohne Grenzen“  – bis Anfang Dezember auf unnatürliche Weise ums Leben kamen, haben indes 46, also weit mehr als die Hälfte, den Blutzoll im Irak entrichtet.  Ihre Angehörigen werden vermutlich wenig Trost darin finden, dass sich auch ihr Opfer als „Akt des Glaubens an die Demokratie“ und selbstredend an die Pressefreiheit werten lässt. Es sind aber auch 46 Morde, die fraglos mehr Medienaufmerksamkeit erhalten haben als all die meisten anderen Toten, die der Krieg fordert. Das wirft 46-mal eine Frage auf, die schon vor Jahren der Zürcher Ökonom Bruno S. Frey gestellt hat: Inwieweit werden die Medien zu Komplizen der Terroristen, indem sie unangemessen über Anschläge, in diesem Fall: über Morde an den eigenen Berufskollegen, berichten.

Quellen:

Iraq and the Cost of Coverage, Editorial, Columbia Journalism Review, Nov./Dec. 2007

Bruno S. Frey, Stick or Carrot

Sherry Ricchiardi, Obstructed View, American Journalism Review, April/May 2007

Reporter ohne Grenzen: http://www.rsf.org

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