Relativ repräsentativ

15. November 2007 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Weltwoche

Diese Kolumne finden 91,3 Prozent der Leser hervorragend. 5,8 Prozent finden sie schlecht. 2,9 Prozent haben keine Meinung. Das ergab eine Umfrage im Auftrag der Weltwoche.

Heissa, war das eine Glückseligkeit für den Sonntagsblick. Bei den Nationalratswahlen 2007, so schrieb jubelnd das linke Blatt, habe «die SP erstmals die Nase vorn». Mit einem Wähleranteil von 25,2 Prozent würde sie «stärkste Partei».

Das war im Juni. Eine «repräsentative Umfrage» des Boulevards hatte den triumphalen Wahlsieg der Sozialdemokraten präzise vorausgesagt. Es kam dann, wie erinnerlich, etwas anders.

Letzte Woche gab sich SRG-Chef Armin Walpen selbstkritisch. Er hinterfragte das dubiose TV-Wahlbarometer und kündete an, in Zukunft die Zahl der telegenen Umfragen zu reduzieren. Auch wenn uns die Selbstkritik Armin Walpens etwas an die Selbstkritiken von Deng Xiaoping erinnert, so müssen wir sagen: Walpen hat recht.

Damit sind wir beim Thema. Das Thema sind die Unmengen von lächerlichen Umfragen, die uns aus den Medien entgegenpurzeln.

Nehmen wir zwei lächerliche Beispiele. Der Grünliberale Martin Bäumle wird Zürcher Regierungsrat (Umfrage: Tages-Anzeiger). Nächsten Tags zitiert die lokale Konkurrenz von der NZZ die «Überraschung», dass Bäumle in der Umfrage Zürcher Regierungsrat wird.

Oder: 81 Prozent wollen wegen der Klimaerwärmung weniger Auto fahren (Umfrage: Sonntagsblick). Nächsten Tags berichten die Neuen Luzerner Nachrichten überrascht über die «hohe Bereitschaft» der Schweizer, weniger Auto zu fahren.

Natürlich trifft beides nicht ein, Bäumle nicht und der Fahrverzicht nicht. Aber die Antwort ist trotzdem gegeben, warum Redaktionen immer neue Umfragen ersinnen.

Das Mediensystem ist extrem selbstreferenziell. Den meisten Journalisten ist es eher egal, ob Politiker oder Manager sie wahrnehmen. Wichtig ist den Journalisten vielmehr, dass die anderen Journalisten sie wahrnehmen. Nie ist das Glücksgefühl einer Redaktion grösser, als wenn andere Redaktionen sie zitieren.

Umfragen garantieren wie sonst nichts diese selbstreferenzielle Aufmerksamkeit. Wer eine Umfrage publiziert, und mag sie noch so schwachsinnig sein, der wird am nächsten Tag mit Garantie zitiert.

Umfragen sind darum besonders geeignet, um mangelnde News zu kompensieren. Am meisten mangelnde News gibt es am Samstag. Es passiert nichts ausserhalb des Sports. Die Sonntagspresse quillt darum vor Umfragen nur so über. Die Sonntagszeitung bringt dann ihre exklusive Umfrage, ob die Schweizer für oder gegen Sterbehilfe sind. Der Sonntagsblick, wie geschehen, bringt am gleichen Tag seine exklusive Umfrage, ob die Schweizer für oder gegen Sterbehilfe sind.

Man kauft sich bei einem Umfrageinstitut eine Story ein. Die Meinungsforscher müssen also Resultate liefern, die vom medialen Auftraggeber zu Schlagzeilen verdichtet werden können. Darum wird zuerst einmal die Standardabweichung einer Umfrage, also die statistische Fehlerbreite, systematisch ausgeblendet. «SP liegt zwischen 22,1 Prozent und 28,3 Prozent!» wäre keine sehr gute Schlagzeile.

Und dann muss man auch den Meinungsforschern oft etwas nachhelfen. Wenn es nach den Umfrageinstituten ginge, dann würden ihre Interviewer am Telefon nüchtern fragen: «In vier Wochen sind Parlamentswahlen. Welche Partei würden Sie heute wählen?»

Die Medien formulieren die Frage für die Interviewer dann gern etwas um. Gefragt wird nun am Telefon: «In vier Wochen sind Parlamentswahlen. Angesichts des fremdenfeindlichen Wahlkampfs, welche Partei würden Sie heute wählen?»

Die Antworten machen dann die SP zur stärksten Partei.

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