Schwarze und Schweizer Schafe

29. Oktober 2007 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Werbewoche Nr. 38 2007

Populismus, Polarisierung und das «hostile media phenomenon»


Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten» – so steht es in jedem Journalismuslehrbuch. Wenn das zutrifft, dann sollte uns nachdenklich stimmen, wie viel Aufmerksamkeit die internationalen Medien zuletzt der Schweiz, der SVP und deren unseliger Schafekampagne geschenkt haben.

Und dann liefert womöglich weniger der Wahlausgang selbst das Denkfutter für eine Nachwahlbetrachtung, sondern das, das vorher im Wahlkampf passiert ist.

Zunächst irritiert, dass im Land des Rebellen Wilhelm Tell eine Partei hohe Zustimmung findet, deren Führung die eigene Gefolgschaft öffentlich als Schafherde blossstellt. Diese ja noch nicht einmal versteckte Botschaft des wohl umstrittensten Plakats aus der Wahlkampagne ist offenbar nicht bei den Schweizer Bürgern angekommen – sonst wären wohl weniger ihrem Herdentrieb gefolgt, an der Urne für die SVP zu stimmen.

Oberflächlich betrachtet ist die Schweiz in diesem Wahlkampf dorthin gelangt – insbesondere nach der Strassenschlacht von Bern –, wo andere Demokratien längst sind: In die Niederungen der Konkurrenzdemokratie. Dort gehören Schlachtgetöse in Vorwahlphasen, der alles andere als zimperliche Umgang von politischen Gegnern untereinander und gelegentlich eben leider auch Eruptionen von Gewalt zum Alltag.

Was allenthalben als Polarisierung gesehen wird, hat bei näherem Hinsehen indes wenig mit dem Links-rechts-Schema zu tun, das traditionell politische Auseinandersetzungen bestimmt. Vielmehr haben sich die gemässigten Parteien ins mediale Abseits manövriert, jedenfalls konnten sie sich vergleichsweise wenig Gehör verschaffen. Geldmangel für ihre Kampagnen und vor allem fehlende zündende Ideen mögen dies partiell erklären. Der Hauptgrund scheint mir indes ein anderer: Die rechten Populisten spielen gekonnt mit den Medien – und zwar gerade deshalb, weil diese ihrerseits auch populistisch agieren: So wie sie Nachrichten auswählen, sensationalisieren und vor allem personalisieren, wiegeln sich medialer Populismus und SVP-Populismus gegenseitig auf.

Und dann entsteht etwas, was die US-Forscher Robert Vallone, Lee Ross und Mark Lepper als das «hostile media phenomenon» bezeichnen. Wenn sich Fronten verhärten, nehmen die konkurrierenden Lager allesamt die Medien als «feindlich» wahr: Die Vertreter der gemässigten Parteien, weil sie zu wenig Aufmerksamkeit erhalten, und die SVP, weil nicht alle Journalisten, die ihr (womöglich viel zu viel) Aufmerksamkeit schenken, mit ihr sympathisieren und sie hofieren.

Das Zusammenspiel von politischem und medialem Populismus lässt befürchten, dass auch in der Schweiz, die vielen als Insel der Glückseligkeit und als Hort des Bildungsbürgertums gegolten hat, Entwicklungen Schubkraft gewinnen, welche ihre bislang einzigartige demokratische und multilinguale Kultur gefährden, ja aushebeln könnten. Gemeint ist eine Kultur der Zusammenarbeit und der Komprosmissbereitschaft über die Lager und Sprachgrenzen hinweg, die eigentlich das denkbar beste Vorbild für das zusammenwachsende Europa sein könnte.

Das ist fraglos eine schlechte Nachricht, aber sie ist zu kompliziert, als dass Massenmedien sie transportieren könnten. Zu hoffen bleibt immerhin, dass nach diesem Wahlkampf zumindest ein paar Journalisten ihre Unschuld verlieren und begreifen: Wann immer sie mit ihrem Finger auf Populisten zeigen, zeigt meist auch ein Finger auf sie zurück.

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