Erstveröffentlichung: Weltwoche 15/08
Max Mosley und Carla Bruni sind grosse Themen für die besten Zeitungen der Welt, aber nicht für unsere Blätter. Denn sie sind noch besser als die besten.
Als Carla Bruni zum Staatsbesuch in London eintraf, trug sie ein graues Dior-Kostüm, dazu flache Pumps, ebenfalls von Dior. Auf dem Rollfeld ergriff Prinz Charles ihre behandschuhte Hand, führte sie zu seinen Lippen und sagte: «Enchanté.»
Woher wir das wissen? Wir wissen es aus der Herald Tribune, eine der besten Zeitungen der Welt.
Abends dann war das Staatsbankett in Windsor Castle mit 146 Gästen. Dresscode war «white tie», also Frack mit Seidenstreifen an der Hose. Premierminister Gordon Brown kam als Einziger in einem «lounge suit», und, doppelt peinlich, er kam zu spät.
Woher wir das wissen? Wir wissen es aus dem Corriere della Sera, auch eine der besten Zeitungen der Welt.
Aus Schweizer Zeitungen wissen wir es nicht. Denn die haben die weltweite Veränderung des Boulevard-Begriffs nicht verstanden.
Als 1959 die erste Nummer des Blicks erschien, stand auf der Front die Schlagzeile: «Der Mörder ist nicht der Gärtner».
Es war die Zeit, als sich Boulevard und seriöse Tageszeitungen bei der Themenwahl deutlich unterschieden. Der Boulevard schrieb über Verbrechen, Klatsch und Stars. Die seriösen Tageszeitungen hingegen schrieben über Politik und Wirtschaft, aber nicht über Verbrechen, Klatsch und Stars. Die einen schrieben über interessante Dinge, die andern über relevante Dinge.
Dies änderte ab den neunziger Jahren, als den Zeitungen die Leser abzuwandern begannen. Sie waren nun gezwungen, nicht nur über Relevantes, sondern auch über Interessantes zu schreiben, also über Verbrechen, Klatsch und Stars.
Heute unterscheiden sich Boulevardzeitungen und seriöse Tageszeitungen bei den Themen nicht mehr. Sie schreiben über dasselbe. Der Unterschied besteht nicht darin, worüber sie schreiben, sondern wie sie es schreiben. Der Boulevard tut es zuspitzend und dramatisierend. Die Tageszeitungen tun es analytisch und informativ.
Die besten Tageszeitungen der Welt wie die Herald Tribune und der Corriere schreiben heute selbstverständliche 200 Zeilen, analytisch und informativ, über den Auftritt von Carla Bruni.
Nun kommen wir von den besten zu den schwächeren Zeitungen dieser Welt, also zu unseren Blättern. Über Carla Bruni schrieben sie nicht oder nur am Rand. Carla Bruni ist für sie — pfui, Boulevard. Unsere Chefredaktoren haben noch immer nicht begriffen, dass sich Boulevard und seriöse Blätter nicht bei der Themenwahl, sondern beim journalistischen Stil unterscheiden.
Dasselbe Hinterwäldlertum konnte man nun bei der Sexorgie von Formel-1-Präsident Max Mosley beobachten. Wenn Mosley die in Naziuniformen gekleideten Prostituierten mit deutschem Akzent anschrie — «Eins, zwai, drai, vier, funf. She needs more of ze punishment» —, dann las man diese Story in den besten Tageszeitungen dieser Welt. In den Schweizer Tageszeitungen von NZZ bis Tages-Anzeiger las man sie nicht.
Man brauchte also internationale Titel wie die New York Times und die Süddeutsche Zeitung, die über das Thema umfassend und intelligent informierten. Für die Schweizer Chefredaktoren hingegen ist Max Mosley — pfui, Boulevard. Besonders ulkig war der Reflex beim Tages-Anzeiger. Die neuste Eskalation der Affäre versteckte er im Sportteil.
Das Heitere an den Schweizern ist, dass sie grosse und seriöse Zeitungen sein möchten und darum die Finger von sogenannten Boulevardthemen lassen. Sie beweisen damit nur ihre tiefe Provinzialität.