Neue Zürcher Zeitung, 17. Februar 2006
Der Einfluss von Medienberichten auf das Konjunkturklima
Eine Habilitationsschrift untersucht den Einfluss von Medienberichten aufs Konjunkturklima. Sie erkennt einen problematischen, starken Negativismus in der Fernsehberichterstattung.
Zu den sträflich vernachlässigten Forschungsfeldern der Kommunikationswissenschaft zählt weiterhin der Wirtschaftsjournalismus. Vielfach untersucht wurde, wie wirtschaftliches Handeln die Medien und ihre Märkte beeinflusst – die umgekehrte Frage, «wie medienvermittelte Information ökonomisches Handeln prägt», wie also beispielsweise «die Medien über Konjunktur berichten und welche Ursachen und Folgen das hat», wurde dagegen kaum je gestellt. Der Dresdener Kommunikationsforscher Lutz M. Hagen hat diese Forschungslücke jetzt mit seiner Habilitationsschrift ein Stück weit geschlossen.
«Sozialoptische Täuschung»
Wenig überraschend ist das Hauptergebnis der Untersuchung. Danach prägen «die Medien die Urteile stark, die in der Bevölkerung über die Wirtschaftslage herrschen». Die Medienberichterstattung wirke sich «direkt auf die Konjunktur» und sogar «auf die Prognose der eigenen finanziellen Situation in den Privathaushalten» aus. Spannender sind die Detail-Einschätzungen. So konnte Hagen in der TV-Berichterstattung einen «starken Negativismus» ausmachen, der ihm angesichts der insgesamt starken Medienwirkungen auf das Konjunkturklima problematisch erscheint. Dieser Negativismus korrespondiere mit einer «sozialoptischen Täuschung»: Die Bevölkerung nehme «die gesamtwirtschaftliche Situation im Vergleich zur persönlichen Lage stets negativ verzerrt» wahr.
Ferner wird der «Bild»-Zeitung ein starker Einfluss auf das Konsumklima in Deutschland zugeschrieben. Dieser habe sich «in verschiedener Hinsicht offenbart». Wer annimmt, Wirtschaftsberichterstattung gehöre nicht zum Kerngeschäft der Boulevardpresse, irrt sich gewaltig: Das reichweitenstärkste deutsche Printmedium veröffentlicht in drei von vier Ausgaben mindestens einen Beitrag zur Wirtschaftslage, und «die Zahl der Titelblöcke mit Urteilen über die nationale gesamtwirtschaftliche Entwicklung liegt in der Strassenverkaufs-Zeitung lediglich um ein Viertel niedriger als in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung».
Alte Daten
So differenziert und auch methodisch versiert die Studie angelegt sein mag – Medienpraktiker und interessierte Experten aus der Wirtschafts- und Finanzwelt werden daraus nur noch begrenzt Honig saugen wollen. Der empirische Teil der Untersuchung datiert auf die Jahre von 1992 bis 1997 zurück, und das ist angesichts der rasanten Entwicklung, in der sich Medieninhalte verändern und das Internet gerade im Bereich der Finanzkommunikation zum Leitmedium geworden ist, halt arg lange her. So dürfte die Konjunkturberichterstattung der «Tagesschau», die schon in Hagens Studie besonders dürftig ausfiel, inzwischen weiter ausgedünnt worden sein, seit die öffentlichrechtliche ARD ihre Hauptnachrichten zu einer halben Sportschau umgestaltet hat.
Interessanter, weil zeitnaher sind da schon die Versuche des Forschungsinstituts Medien-Tenor, mit Hilfe von Inhaltsanalysen der aktuellen Wirtschaftsberichterstattung in den wichtigsten Leitmedien die jeweiligen Schwankungen des Ifo-Geschäftsklima-Indexes vorherzusagen. Dies ist dem Institut bisher meist gelungen. Dieser Forschungserfolg deutet wiederum darauf hin, dass das Kernergebnis von Hagens Untersuchung wohl weiterhin Gültigkeit beanspruchen darf: Trotz allen Veränderungen in der medialen Wirtschaftsberichterstattung beeinflusst diese stark, wie die Wirtschaftssubjekte die Konjunkturentwicklung wahrnehmen – und dann eben auch entsprechend handeln.
Lutz M. Hagen: Konjunkturnachrichten, Konjunkturklima und Konjunktur. Herbert-von-Halem-Verlag, Köln 2005. 432 S.
Matthias Vollbracht: Ifo-Prognose dank Agenda-Setting, in: Medien-Tenor, 12. Jg./ 2005, Nr. 149, S. 116-118.