Verhängnisvoller Besitzerwechsel

21. April 2008 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung
Ein tragikomisches Lehrstück über Lokaljournalismus

Ein US-Lokalblatt vermochte durch seine Machart landesweit Aufmerksamkeit zu erregen. Es wurde gar mit einem Pulitzerpreis geehrt. Ein neuer Besitzer, der eine renommierte Journalistenschule besucht hatte, wollte das Blatt intellektuell chic machen. Seither geht es abwärts.

Jahrzehntelang versorgte das «Point Reyes Light», ein kleines Community Weekly, das im Norden San Franciscos erscheint, in seinem überschaubaren Einzugsbereich die Bürger von dreizehn Gemeinden zuverlässig mit den wichtigsten Lokalnachrichten und mit der nötigen Orientierung. Weil sein Verleger und Chefredaktor, Dave Mitchell, für seine investigativen Recherchen über eine religiöse Sekte den renommierten Pulitzerpreis gewonnen hatte, strahlte die Zeitung weit über Marin County hinaus. Sie trug den Leuchtturm, der an der Pazifikküste von Point Reyes den vorbeiziehenden Schiffen Orientierung gab, nicht nur im Titel – sie war ein Leuchtturm unter Amerikas Lokalpostillen, der zuverlässig die Tagesaktualitäten auf dem Festland ins Scheinwerferlicht rückte.Bunte und eigensinnige Bürgerschaft

Dass das Blatt unter Eingeweihten einen gewissen Kultstatus hatte, hing auch damit zusammen, dass die Region, die es publizistisch versorgt, aus dem Rahmen dessen fällt, was sonst mit Amerikas Westen assoziiert wird: Ein paar Meilen von San Francisco entfernt, aber nur über schwindelerregend kurvige Strassen erreichbar, ist die gebirgige Gegend, die im Westen vom Ozean eingerahmt wird, zum Refugium einer bunten und eigensinnigen Bürgerschaft geworden. Farmer und Rancher, Fischer und Austernzüchter finden hier ihr Auskommen, Hippies und Ökofreaks fühlten sich jahrzehntelang von der Region angezogen. Auch wenn sich, versteckt in den Bergen, in der Skywalker Ranch mit Lucasfilm jener Ableger der Filmindustrie eingenistet hat, der wegen aufwendiger Computeranimationen auf Kontakt zum Silicon Valley angewiesen ist, haben gut organisierte Naturschützer bisher Baulöwen und Entwickler weitgehend ferngehalten.

Die Zeitung hatte wohl ihren Anteil daran, dass das gelungen ist. Ihr Alt-Verleger war und ist ökologisch engagiert. Vor allem aber war er in der Redaktion präsent und eng mit seinen Leserinnen und Lesern vernetzt. «Erfolgreiche Lokalzeitungen haben Verleger, die rund um die Uhr im Büro sind. Mit journalistischer Erfahrung. Und mit offenen Augen», sagt Mitchell und nuckelt nachdenklich an seiner Pfeife. Das «Point Reyes Light» stiftete Kommunikation.

Gelehrt in Richtung Abgrund
All das ist anders geworden, seit Mitchell sich von seinem Lebenswerk getrennt und die Zeitung verkauft hat. Er glaubte in Robert Plotkin einen guten Nachfolger gefunden zu haben. Offenbar aus betuchter Familie stammend, erwarb der junge Mann, der Amerikas berühmteste Journalistenschule an der Columbia University in New York absolviert hatte, als Ortsfremder die Zeitung. Seither fühlt sich Plotkin berufen, das «Point Reyes Light» zu neuen journalistischen Höhen zu führen. Wobei er inzwischen so sehr die Bodenhaftung verloren hat, dass jüngst Amerikas führende Journalisten-Fachzeitschrift, die «Columbia Journalism Review», ihm und seinem Blatt eine lange, kritische Story widmete.

Von hohem Symbolwert ist bereits, dass der identitätsstiftende Leuchtturm aus dem Logo verschwand, als der weltberühmte Zeitungsdesigner Mario Garcia die Postille «liftete». Doch Plotkin beging als Verleger und Chefredaktor weitere Todsünden. Als die kleinen Geschäftsleute mit einer «Buy-local»-Kampagne auf ihre schwierige Situation aufmerksam machten, mokierte sich sein Blatt über die hohen Preise der ortsansässigen Einzelhändler. Einige von ihnen schleppten dann stapelweise die Zeitungen zurück in den Verlag und weigerten sich, diese weiterhin in ihren Läden zu verkaufen.

Sodann hatte Plotkin, so berichtet Mitchell, die Feuerwehrleute vom Nachbarort Stinson Beach mit einseitiger Berichterstattung so sehr gegen sich aufgebracht, dass er von ihnen freundlich, aber bestimmt hinauskomplimentiert wurde, als er mit seiner Frau bei einer Festivität erschien.

« des Westens»
Sonst versuchte sich der neue Verleger als Zauberkünstler und Finanzjongleur. Seinen Lesern versprach er einen « des Westens», sich selbst stilisierte er zum «Che Guevara eines literarisch revolutionären Journalismus». Das Blatt liess er weitestmöglich von unbezahlten Praktikanten machen, die auch in Amerika scharenweise auf ihre Chance zum Einstieg in den Journalismus warten, sich aber am Ort nicht auskannten.

Die Auflage, über deren derzeitige Höhe sich Plotkin ausschweigt, dürfte seither ins Trudeln gekommen sein. Das Werbeaufkommen in Marin County, von dem das Blatt letztlich lebt, ist ohnehin begrenzt. «Es hat gereicht, um mir ein angemessenes Auskommen zu sichern», sagt Mitchell. Richtig Geld habe sein Blatt nie abgeworfen. Sein Häuschen ist bescheiden eingerichtet. Nur um die Hanglage und den Blick in die weite, hügelige Küstenlandschaft werden ihn viele beneiden. Auch Plotkin bestätigt das limitierte Inserateaufkommen: «Bäume und Kühe schalten keine Anzeigen», sagt er trocken, allerdings ohne den Boykott der örtlichen Kleingewerbler zu erwähnen.

Plotkin selbst betrachtet sein Blatt nicht so sehr als Investment. Er habe ein «Juwel» erstehen wollen, «eine der besten kleinen Zeitungen, die es auf der Welt gibt». Mitchell dagegen meint, die Zeitung sei für seinen Nachfolger eher ein Spielzeug. Diese Einschätzungen mögen weit voneinander entfernt erscheinen, sie haben indes eines gemeinsam: Der Nutzwert des Blatts für seine Leser ist nur noch wenig erkennbar.

Am Publikum vorbeigeschrieben
Davon zeugt besonders klar eine Jubiläumsausgabe, mit der sich Plotkin ein Jahr nach der Übernahme im November 2006 selbst beweihräucherte: Sie enthält Feature-Geschichten, die eine um die andere eher für ein Intellektuellen-Magazin als für ein Lokalblatt gemacht scheinen – durchaus lesenswert, aber am Publikum vorbeigeschrieben. Und nicht zuletzt sehr viel Plotkin: Insgesamt zwanzig eigene Beiträge druckte der neue Verleger in dieser Nummer noch einmal. Viele davon enthalten Peinlichkeiten. Zum Beispiel vergleicht er sich mit den Familien-Eigentümern grosser Blätter wie der «New York Times», der «Los Angeles Times» und des «Wall Street Journal»: «Ob von einem Sinn für Service public, von Noblesse oblige, von Eitelkeit oder von Spendierfreudigkeit motiviert, solche Familien schmälern ihren Profit, indem sie erstklassigen Journalismus ermöglichen. Ich selbst bin eitel genug, um auch in Zukunft als Blattmacher hohe journalistische Qualität zu versprechen.»

Noch zehrt das «Point Reyes Light» davon, dass Zeitungsleser Gewohnheitsmenschen sind, die auf ihr Lokalblatt nicht verzichten möchten. «Es sind die grossen Zeitungen, die Probleme haben», sagt Plotkin. Das Internet sei für sein Blatt keine Gefahr, sondern nur eine «Plattform der Selbst-Promotion, ein Schaufenster». Die Fachzeitschrift «Editor & Publisher» bestätigt, dass Websites bisher noch kaum das Geschäft der kleinen Lokalblätter beeinträchtigen. Chefredaktor Edward Seaton vom «Manhattan Mercury» in Kansas gibt dort zu Protokoll: «Wir hatten das beste Jahr in unserer Geschichte.»

John Tomkins, der als Verleger für 71 Wochenblätter in kleinen Gemeinden im Westen zuständig ist, die über neun Staaten verteilt sind, bestätigt den Eindruck. Und etwas prosaisch fasst die Fachzeitschrift zusammen: Das Zeitungsgewerbe «im kleinstädtischen Milieu Amerikas kann im Stil von Norman Rockwell porträtiert werden» – also jenes populären Malers, der an der Grenze zum Kitsch die sonnige, heile Welt der USA des frühen 20. Jahrhunderts festhielt. Noch sind die Kleinanzeigen nicht ins Netz abgewandert.

In Plotkins Fall ist es allerdings nicht das Internet, sondern herkömmliche Konkurrenz, die ihn bedroht: Der «West Marine Citizen» dringt vom Norden her in die Marktlücke vor, die Plotkin geöffnet hat: Der Wettbewerber ist «down to earth», das geliftete «Point Reyes Light» dagegen irgendwie «out of place». Plotkin heisst den Konkurrenten willkommen, um sich «von ihm abheben» zu können. Das klingt sportlich-amerikanisch, kann aber kaum darüber hinwegtäuschen, dass auf Dauer nicht Platz für zwei Lokalzeitungen ist.

Das Ganze ist ein tragikomisches Lehrstück darüber, dass hoher journalistischer Anspruch alleine nicht genügt. Zumal im Lokalen lässt sich nur auf Augenhöhe mit den Lesern ein Blatt machen und verkaufen. Und Zuhören-Können ist im Journalismus vielleicht noch wichtiger als Wahrheitsfindung und -verkündung.

Pulitzers paradoxe Wirkung
Zu den Ironien der Geschichte zählt, dass all ihre Fäden auf einer zweiten Ebene in New York zusammenlaufen und dass sich alles – zumindest auch – um einen dritten, längst dahingeschiedenen Verleger dreht: Joseph Pulitzer. Er hat sich unsterblich gemacht, indem er Anfang des 20. Jahrhunderts die Pulitzerpreise und die School of Journalism an der Columbia University stiftete. Ohne ihn hätte das «Point Reyes Light» nie jenen Preis erhalten, der es zur Ikone werden und jahrzehntelang aus all den anderen Lokalblättern herausragen liess. Ohne Pulitzer und ohne die Columbia University hätte Plotkin kaum jenen Grössenwahn entwickelt, der ihm als Journalist und Verleger zum Verhängnis zu werden droht. Und ohne den Pulitzerpreis wäre das «Point Reyes Light» nicht jenes Juwel oder Spielzeug geworden, das Plotkin offenbar wie ein kleines Kind unbedingt haben wollte. Ohne Pulitzer gäbe es schliesslich auch die «Columbia Journalism Review» nicht, der wir einen Teil dieser Geschichte verdanken. Sie residiert übrigens in demselben Gebäude wie das Pulitzerpreis-Komitee und die von Pulitzer gestiftete Journalistenschule.

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