Die heutigen Journalisten recherchieren nicht mehr. Das ergaben meine Recherchen.
Ich sage Ihnen jetzt, wie hoch der Kontostand von Uli Hoeneß ist. Auf seinem Konto bei der Bank Vontobel in Zürich liegen 25 Millionen Franken.
Woher ich das weiß? Ich habe es „recherchiert“. Ich habe einen Bekannten angerufen, der früher mal für Vontobel gearbeitet hat. Alle recherchieren derzeit in diesem Fall. Das Interessante ist nur, dass all die Recherchen zu vollkommen unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Die Süddeutsche Zeitung hat zum Beispiel recherchiert, dass Bayern-Manager Hoeneß 18 bis 20 Millionen Euro bei der Bank Vontobel liegen hat. Das Vermögen war versteuert, die Kapitalertragssteuer hingegen nicht. Auch die Bild kommt auf rund 20 Millionen.
Die Abendzeitung aus München wiederum hat recherchiert, dass „mehrere hundert Millionen“ auf dem Vontobel-Konto liegen. Das Vermögen war unversteuert. Die NZZ berichtete gar von 800 Millionen Franken.
Der Fall Hoeneß ist ein guter Anlass, sich einmal mit der Recherche zu beschäftigen. Die Recherche ist die Kürdisziplin des Journalismus. Ihre Mechanik ist simpel. Sie zielt ausschließlich darauf ab, dass jemand Dinge sagt, die er nicht sagen sollte.
Ein bekanntes historisches Beispiel ist die Watergate-Affäre, in der ein Agent des FBI gegenüber Reportern nicht schweigen konnte. Ein bekanntes neueres Beispiel ist die Hildebrand-Affäre, in der ein IT-Mitarbeiter der Bank Sarasin nicht schweigen konnte.
Im seriösen Journalismus gilt die Regel, dass es nach dieser ersten Quelle mindestens eine zweite Quelle braucht, die dieselbe Information bestätigt. Erst nach diesem double-checking kann die Story gedruckt oder gesendet werden.
Nun, der seriöse Journalismus, das war einmal. Heute begnügen sich die Medien oft mit einer einzigen Quelle und posaunen deren Information dann ungeprüft in die Welt. Sie tun es selbst dann, wenn es sich um windige Informanten handelt. Darum schwankt das veröffentlichte Vermögen von Hoeneß auch in der Bandbreite von 18 bis 800 Millionen.
Es läuft bei Hoeneß, wie es immer läuft. Jeder Journalist kennt irgendeinen Assistenten der Staatsanwaltschaft München II, die den Fall bearbeitet. Jeder Journalist kennt irgendeinen Analysten der Bank Vontobel. Natürlich geht es beim Kaffee in der Staatsanwaltschaft genauso geschwätzig zu wie beim Kaffee in der Bank Vontobel. Jeder Assistent und jeder Analyst schnappt die neusten internen Gerüchte auf.
Am Nachmittag ruft sie dann der Rechercheur von der Zeitung kurz an und notiert sich eine Zahl. Die Zahl kann 18 Millionen sein. Sie kann auch 800 Millionen sein.
Die Recherche ist von der Wahrheitsfindung zur Gerüchtekolportage geworden. Jeder schnelle Telefonanruf und jede kurze Mail wird heute von den Redaktionen bereits als großartige Recherche verkauft. Selbst bei größten Banalitäten fügen Redaktionen dann den bedeutungsschweren Satz ein: „wie Recherchen dieser Zeitung ergaben“.
„Genau 10 005 Einwohner zählte die Gemeinde Risch Ende Dezember 2012. Das ergaben Recherchen der Neuen Luzerner Zeitung.“ Ist das nicht echter investigativer Journalismus? „Gemäß Recherchen der Sonntagszeitung zieht das Läckerli-Huus* an die Bahnhofstraße.“ Ist das nicht eine tolle Enthüllung?
„Blick-Recherchen ergeben: Es sind beim FC Zürich keine Transfers vorgesehen.“ Ist das nicht wahrer Aufdeckungsjournalismus?
Mein Lieblingsbeispiel zum Schluss. „Ab April sind die Volg**-Läden länger geöffnet. Dies ergaben Recherchen der Aargauer Zeitung.“ Watergate ist nichts dagegen.
*Schweizer Süß- und Backwarenunternehmen (Anm. d. EJO-Red.)
**Schweizer Dorfladen-Unternehmen (Anm. d. EJO-Red.)
Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 24. April 2013
Bildquelle: Carsten Knoch/Flickr
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