Dieser Beitrag ist Teil der Mediadelcom-Reihe.
Geschrieben von Katarina Machmer, Prunelle Menu und Malin Miechowski
2017 ging die Geschichte eines 6-jährigen Mädchens namens Madina Hussiny um die Welt. Es war die Geschichte einer afghanischen Migrantin, die auf ihrer Flucht in die EU starb. Sie wurde von einem Zug erfasst, nachdem kroatische Polizeibeamte die Familie gezwungen hatten, zurück ins benachbarte Serbien zu laufen – ohne Chance auf einen Asylantrag. Als der kroatische Journalist Jasmin Klarić zu dem illegalen Pushback recherchieren wollte, erhielt er von den Behörden seines Landes keinen Zugang zu hilfreichen Dokumenten oder Informationen. Er war jedoch nicht der einzige Reporter, der an seiner Arbeit gehindert wurde.
Wie die Wissenschaftlerinnen Zrinjka Peruško, Dina Vozab und Iva Nenadić in ihrer Studie für das Mediadelcom-Projekt herausfanden, wird das Recht auf Informationsfreiheit in Kroatien tendenziell missachtet. Mehr als 60 % der behördlichen Entscheidungen, den Zugang zu Informationen zu behindern oder zu verweigern, sind illegal, schreiben die Wissenschaftlerinnen in ihrem Forschungsbericht über den Medienwandel in Kroatien.
Politische Kontrolle über die Medien ist ein fester Bestandteil der Geschichte Kroatiens. Obwohl das Land nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen Prozess der Demokratisierung durchlief, werden die redaktionellen Entscheidungen der Medien auch heute von der Politik beeinflusst. Die öffentliche Rundfunkanstalt HRT (Croatian Radiotelevision) wird als besonders unterstützend für die regierende Mitte-Rechts-Partei “Kroatische Demokratische Union” wahrgenommen. Es heißt, der Sender zensiere seine Journalist:innen und dränge sie, regierungsfreundlich zu berichten. HRT ist jedoch nicht das einzige Medienunternehmen, das von der Politik kontrolliert wird.
Mehr als 905 Klagen gegen Journalist:innen
Laut den Ergebnissen einer jährlichen Umfrage des kroatischen Journalist:innenverbandes wurden im Mai 2020 mehr als 905 Klagen gegen Journalist:innen eingereicht. Meistens erheben Lokalpolitiker:innen die sogenannten “strategischen Klagen gegen die Öffentlichkeit” (SLAPPs) . Obwohl die kroatische Verfassung Meinungs- und Informationsfreiheit garantiert, wird Diffamierung immer noch kriminalisiert. Verleumdungsklagen gegen Reporter:innen nehmen zu. Außerdem gibt es Polizeirazzien gegen Journalist:innen, die zu Lokalpolitiker:innen recherchieren.
Jasmin Klarić arbeitet für Telegram.hr, eines der wenigen Nachrichtenportale, die sich dem kritischen und investigativen Journalismus in Kroatien verschrieben haben. “Lokale Politiker:innen der Regierungspartei reichen oft SLAPP-Klagen gegen uns ein”, sagt Klarić. “Wir schreiben viel über Korruption der Ministerien, und ich denke, das fällt auf uns zurück.” Die Klagen sind zeitaufwendig und halten Klarić und seine Kolleg:innen oft von ihrer journalistischen Arbeit ab.
Prekäre Arbeitsbedingungen führen zu wenig Vertrauen in den Journalismus
Neben den Verstößen gegen die Meinungsfreiheit leiden kroatische Reporter:innen auch unter anderen prekären Arbeitsbedingungen. Bei einer zwischen Dezember 2013 und Januar 2014 durchgeführten Umfrage gaben mehr als 80 % der 2700 befragten Journalist:innen an, dass sie immer weniger Zeit für journalistische Recherchen haben. Ein weiteres großes Problem ist die niedrige Bezahlung, wie auch in anderen europäischen Ländern. Insgesamt sind die wirtschaftlichen, organisatorischen und beruflichen Einflüsse auf den Journalismus in Kroatien aber größer als in anderen europäischen Mediensystemen. Außerdem werden kroatische Journalist:innen weniger gut geschützt, zum Beispiel durch Gewerkschaften. Generell haben sich die Arbeitsbedingungen für kroatische Medienschaffende in den letzten Jahren verschlechtert, was zu einem Rückgang der journalistischen Qualität und des Vertrauens in die Medien führt.
“Die Menschen werden von Jahr zu Jahr skeptischer gegenüber dem Journalismus”, befürchtet Jasmin Klarić.
Studien, die das Vertrauen der kroatischen Bevölkerung in die Medien und in den Journalismus untersuchen, bestätigen Klarićs Prognosen. Die meisten Kroaten und Kroatinnen konsumieren eher wenig Nachrichten. Außerdem stufen Forscher:innen die Medienkompetenz in der Bevölkerung als relativ gering ein. Für Jasmin Klarić liegt diese Skepsis an der politischen Voreingenommenheit der Medien und daran, dass der Boulevardjournalismus immer populärer wird. Denn dadurch wird immer weniger investigativ recherchiert.
Studien zeigen aber auch, dass das Privatfernsehen in den Jahren 2020 und 2021 das größte Vertrauen in der kroatischen Bevölkerung genoss. In Kroatien bleibt das Fernsehen auch weiterhin die meistgenutzte Nachrichtenquelle. Wegen seiner politischen Ausrichtung hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk 2010 seinen größten Marktanteil an den kommerziellen Fernsehsender Nova TV verloren. Letzterer und RTL sind heute die beliebtesten Marken vor dem öffentlich-rechtlichen Sender HRT.
Gleichzeitig waren 2013 und 2014 befragte Journalisten und Journalistinnen der Meinung, dass “der kommerzielle Einfluss und der Einfluss der Eigentümer zugenommen und sogar die politische Einmischung in die redaktionelle Unabhängigkeit übertroffen haben.” Allein Nova TV und RTL strahlen ihre Sendungen auf 5 von 11 nationalen Fernsehsendern aus und generieren insgesamt 80% der Werbeeinnahmen.
Die Kraft des kritischen Journalismus
Aufgrund von Problemen wie Korruption und einseitiger Berichterstattung haben die meisten kroatischen Journalist:innen das Bedürfnis, den noch recht jungen Demokratisierungsprozess im Lande zu unterstützen. Studien zufolge beschreiben kroatische Journalist:innen ihre Rolle als distanzierte Beobachtende und als Watchdogs: Sie sehen sich selbst als kritische Akteure, die einen Wandel anstoßen können. Jasmin Klarić ist da keine Ausnahme. “Wir haben Korruptionsgeschichten veröffentlicht, die einige Minister gestürzt haben”, erinnert er sich. “Wir können nicht sagen, dass unsere Arbeit keinen Einfluss auf die demokratische Gesundheit unserer Gesellschaft hat. Aber es scheint, als gäbe es in Kroatien immer weniger Medien, die wie ein Wachhund arbeiten.”
Trotz der widrigen Verhältnisse, mit denen kroatische Reporter:innen konfrontiert sind, gibt es Hoffnung auf Besserung. Der Wille der Journalist:innen, für eine Veränderung zu kämpfen, scheint sich langsam auszuzahlen. Der Weltpresse-Index von Reporter ohne Grenzen listet Kroatien derzeit auf Platz 48 von 180 Ländern – das entspricht einer Verbesserung um 8 Plätze im Vergleich zum Vorjahr, als Kroatien auf Platz 56 rangierte.
Laut den Wissenschaftlerinnen Zrinjka Peruško, Dina Vozab und Iva Nenadić gibt es auch verschiedene Gesetze, die die Arbeit von Medienschaffenden unterstützen sollen. Ein Beispiel ist das neue Gesetz zu elektronischen Medien aus dem Jahr 2021. Es soll helfen, die Transparenz in Bezug auf Eigentümerstrukturen von Medienverlagen zu erhöhen, um den Journalismus vertrauenswürdiger zu machen.
Grundlegende Rechte für Journalist:innen wie das Recht auf freie Meinungsäußerung und den Zugang zu Informationen sollen ebenfalls durch Gesetze wie das Mediengesetz garantiert werden – theoretisch. Doch die vielen Klagen gegen kroatische Journalist:innen zeigen: Die Realität sieht noch immer anders aus. Das hält Reporter wie Jasmin Klarić aber nicht davon ab, ihre Arbeit fortzusetzen. Klarić glaubt an die Kraft des kritischen Journalismus und seine Fähigkeit, einen sozialen Wandel herbeizuführen. Er betont: “Die Wahrheit zu sagen ist mein Antrieb und meine Motivation.”
Quellen:
CJA’s poll: over 905 lawsuits against journalists and the media currently active in Croatia. (o. D.). https://www.hnd.hr/eng/cja-s-poll-over-905-lawsuits-against-journalists-and-the-media-currently-active-in-croatia
Perusko, Z., Nenadic, I., & Vozab, D.(2022).Country Case Study on critical junctures in the media transformation process in four RO domains (2000-2020): CROATIA. MEDIADELCOM WP2 TASK 2.2 (D2.4.) CROATIA. (Third draft.) University of Zagreb.
Perusko, Z. & Vozab, D.(2022).Country Case Study on the ROs Related to Media and Journalism Studies (2000-2020): CROATIA. MEDIADELCOM WP2 TASK 2.1. (D2.3.) CROATIA. (Third draft.) University of Zagreb.
Perusko, Z. (2017). Digital News Report. Croatia. Reuters Institute for the Study of Journalism, University of Oxford. https://www.digitalnewsreport.org/survey/2017/croatia-2017/
Perusko, Z. (2021). Digital News Report. Croatia. Reuters Institute for the Study of Journalism, University of Oxford. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/digital-news-report/2021/croatia
Reporter ohne Grenzen (2022). Rangliste der Pressefreiheit 2022. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2022/RSF_Rangliste_der_Pressefreiheit_2022.pdf
Tondo, L. (2021, 19. November). Croatia violated rights of Afghan girl who was killed by train, court rules. The Guardian. https://www.theguardian.com/global-development/2021/nov/19/croatia-violated-rights-of-afghan-girl-who-was-killed-by-train-court-rules
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Schlagwörter:kritischer Journalismus, Kroatien, Mediadelcom