Rumänien hat in der deutschen Medienöffentlichkeit nicht die höchste Priorität, wenn der Blick ins Ausland geht. Der EU-Beitritt 2007 hat das zeitweilig geändert. Eine aktuelle Analyse zeigt, wie in jüngerer Vergangenheit über Rumänien berichtet wurde.
Bis die Europäische Union zu der Staatengemeinschaft geworden ist, die sie heute ist, vergingen viele Jahrzehnte. Besonders einschneidend waren dabei die Beitritte neuer Mitgliedsstaaten, genauso wie das Ausscheiden Großbritanniens mit dem Brexit. In Anbetracht der weitreichenden Folgen war eine hohe mediale Aufmerksamkeit zu diesen Ereignissen die logische Konsequenz. Westrup (2011) ging in seiner Studie sogar davon aus, dass die Osterweiterung der Europäischen Union zu den „am ausführlichsten diskutierten Gegenständen in der deutschen Presseöffentlichkeit der vergangenen Jahrzehnte“ zählte. Gerade in diesem Zusammenhang ist auch Rumänien als Beitrittskandidat und späteres Beitrittsland stärker in den Fokus der Öffentlichkeit sowie ins Blickfeld der Kommunikationsforschung gerückt. Ein Land, das zuvor keine besondere Aufmerksamkeit in der deutschen Öffentlichkeit erfahren hatte.
Mehr als 15 Jahre nach dem EU-Beitritt Rumäniens stellt sich jedoch die Frage, wie nachhaltig dieser mediale Aufschwung war. Gelingt es mithilfe veränderter Berichterstattung, die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Identität zu fördern, in der auch Rumänien seinen Platz findet? Vor dem Hintergrund der aktuellen europäischen Herausforderungen wie dem Migrationsdruck, dem russischen Angriff auf die Ukraine oder dem Klimawandel ist dies keinesfalls trivial, wenn ein stabiler Zusammenhalt in Europa das Ziel sein soll. Womöglich bleiben aber auch alte Muster bestehen, in denen Rumäniens Sichtbarkeit von herausragenden Ereignissen oder der nationalen Perspektive abhängt.
Dieser Thematik geht eine quantitative Inhaltsanalyse zur Rumänienberichterstattung nach, die vor allem Artikel der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sowie einige Artikel aus taz und Spiegel untersucht. Unter dem Titel „Rumänien in Europa: Eine Frage der medialen Repräsentation?“ sind 71 Artikel codiert und ausgewertet worden, die von Mai 2020 bis April 2023 mit der Nennung des Landes Rumänien in der Überschrift erschienen sind. Schwerpunktmäßig waren die Kategorien Umfang, Themen, Perspektiven, Akteur:innen, Stereotype sowie Tenor von Interesse. Den Rahmen für diese kleine Studie bildete das Seminar zur PROMOS Studienreise nach Rumänien am Dortmunder Institut für Journalistik.
Stereotype Darstellungen
Ansetzen konnte die aktuelle Untersuchung an bisherigen Forschungsarbeiten, welche die Berichterstattung über Rumänien und Osteuropa oft im Kontext der EU-Osterweiterung betrachtet haben. Eine umfassende Analyse von mehr als 3000 Artikeln lieferte hier Salden (2010), die neben dem EU-Beitritt Rumäniens auch den Beitritt zur NATO im Untersuchungszeitraum abdeckt. Der Fokus lag dabei auf Stereotypen in der medialen Darstellung, sodass ein entwickeltes Stereotypencluster weitestgehend übernommen werden konnte. Dies stellte sich auch für die aktuelle Untersuchung der Rumänienberichterstattung als geeignet dar. So konnte gezeigt werden, dass stereotype Darstellungen von Korruption sowie Armut und Rückständigkeit auch in der jüngeren Berichterstattung präsent geblieben sind. Beispielsweise war in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung die Beschreibung Rumäniens als „das arme und von Korruption zerfressene Land“ zu finden. Die aktuelle Inhaltsanalyse hat zudem ergeben, dass die stereotype Darstellung von unberührter Natur und Entfernung nach Korruption am zweithäufigsten auftritt: „Rumänien, das ist das hinterste Europa. […] Von den Karpaten bis zum Donaudelta reichen die Landschaften, und dazwischen leben mehr als ein Dutzend Minderheiten mit eigenen Sprachen und Traditionen.“
Insgesamt wiesen 23% der Artikel mindestens eine stereotype Darstellung auf. Der Einsatz von Stereotypen gilt jedoch nicht zwangsläufig als problematisch. So müssten weiterführende Untersuchungen herausarbeiten, inwiefern die vorkommenden Stereotype tatsächlich negative Wertungen vermitteln oder im Gesamtkontext relativiert werden. Im zeitlichen Umfeld des EU-Beitritts hat beispielsweise Safta-Zecheria (2009) eine solche Analyse zur Berichterstattung über Korruption in Rumänien vorgenommen.
Thematische Schwerpunkte
Mit dem Untersuchungszeitraum von Mai 2020 bis April 2023 setzt die aktuelle Analyse in den ersten Monaten der Corona-Pandemie an und umfasst den Angriff Russlands auf die Ukraine. Bei der Auswertung der Artikelzahlen nach Quartalen ließ sich eine Spitze zu Beginn des Krieges, also im ersten Quartal 2022 erkennen. Die anderen beiden Zeitabschnitte mit den meisten Artikeln sind im vierten Quartal des Jahres 2020 sowie im vierten Quartal 2021 zu finden. Gestützt vom Blick auf die Hauptthemen und Überschriften der entsprechenden Artikel zeigt sich eine klare Tendenz: Es wurde überwiegend über Politik in Rumänien berichtet, vor allem bei wichtigen politischen Ereignissen. So fand im vierten Quartal 2020 die Parlamentswahl in Rumänien statt, während dem letzten Quartal 2021 eine Regierungskrise zuzuordnen ist.
Ausgehend vom Forschungsstand zur Auslandsberichterstattung ist dieses Ergebnis nicht überraschend. Unter anderem Hafez (2002) sieht die Politikzentrierung und Konfliktperspektive als typische Merkmale der Auslandsberichterstattung. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Krieg in der Ukraine offenbar keine nachhaltige Zunahme an Berichterstattung ausgelöst hat. Bereits im folgenden Quartal fällt die Anzahl der Artikel deutlich. Bei dem Hauptthema Politik wurde im Verlauf eines Artikels häufig auch Korruption thematisiert. Weitere Themenschwerpunkte bildeten die Bereiche Wirtschaft, Soziales sowie Kunst und Kultur.
Perspektiven und Akteure
Auch wenn EU-Politik in den analysierten Artikeln behandelt wird, stand die Perspektive der Europäischen Union selten im Mittelpunkt. Am häufigsten ist die überwiegend deutsche Perspektive, gefolgt von einer gemischten Perspektive erfasst worden. Aus vorrangig rumänischer Perspektive ist seltener berichtet worden. Andererseits zeigt sich, dass sowohl die Hauptakteur:innen im politischen Feld als auch die aus der Zivilgesellschaft meistens Rumän:innen sind. Zur Frage der angemessenen Repräsentation rumänischer Interessen sollten auf dieser Grundlage folglich keine klaren Schlussfolgerungen gezogen werden. Im Zusammenhang mit der Osterweiterung der Europäischen Union sind andere Autor:innen wie Münch (2003) zu eindeutigeren Einschätzungen gelangt. Demnach spiegelten die damaligen Berichte vor allem die nationale Agenda wider, mit Ereignissen, die aus deutscher Sicht von Bedeutung waren.
Ausgehend von der aktuellen Untersuchung kann jedoch argumentiert werden, dass der gesamteuropäische Kontext in der deutschen Rumänienberichterstattung insgesamt recht schwach zur Geltung kommt. Neben der nur selten erfassten Perspektive der Europäischen Union sind beispielsweise Politiker:innen der Europäischen Union überhaupt nicht als Akteur:in codiert worden.
Fazit
Während die durchgeführte Inhaltsanalyse für Rumänien einige Anhaltspunkte zum Status quo der Auslandsberichterstattung geben kann, müssen darüber hinaus grundlegende Ziele und Möglichkeiten verhandelt werden. Etwa die Frage, welche Bedeutung einer gesamteuropäischen Berichterstattung zugeschrieben wird. In der Praxis ist zudem fraglich, inwiefern strukturelle Voraussetzungen die Möglichkeit bieten, über Grenzen der typischen Auslandsberichterstattung hinauszugehen. Es gilt einzuschätzen, ob der derzeitige Zustand den Ansprüchen an die Berichterstattung über ein EU-Mitgliedsland wie Rumänien genügt.
Literatur:
- Hafez, K. (2002). Die politische Dimension der Auslandsberichterstattung: Theoretische Grundlagen (Bd. 1). Nomos Verlagsgesellschaft.
- Münch, H. (2003). Die Berichterstattung zur EU-Osterweiterung in der deutschen Presse. In S. Dittmer, I. Jörs, & U. Ruge (Hrsg.), EU-Beitritt: Verheißung oder Bedrohung? Die Perspektive der mittel- und osteuropäischen Kandidatenländer (S. 47–71). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09998-7_4
- Safta-Zecheria, L. (2009). Dekonstruktion von Korruption: die Bedeutung des EU-Beitritts für die westeuropäische Medienberichterstattung über Korruption in Rumänien. Forschungsstelle Osteuropa Bremen
- Salden, C. (2010). Kriminell, korrupt und rückständig–Rumänien und seine Stereotype in den Medien. In: T. Kahl & L. Schippel (Hrsg.), Kilometer Null. Politische Transformation und gesellschaftliche Entwicklungen in Rumänien seit 1989 (S. 65-88). Frank & Timme Verlag.
- Schmitt, O. J. (2019). Hundert Jahre Einsamkeit: Grundzüge der Geschichte Rumäniens. Osteuropa, 69(6/8), 7–35. https://www.jstor.org/stable/26860937
- Westrup, F. (2011). „Was heißt hier europäisch?“–Tschechien, Rumänien und die Osterweiterung der Europäischen Union in der deutschen Presse. Bohemia, 51(1), 203–224.
Schlagwörter:Berichterstattung, Europa, Medienfreiheit, Mediensystem, Rumänien