Pressefreiheit in Ungarn: Niedriges Interesse trifft auf politische Repressionen

11. Mai 2023 • Aktuelle Beiträge, MediaDelCom • von

Dieser Beitrag ist Teil der Mediadelcom-Reihe.

Bildquelle: Engin Akyurt über Pexels

Geschrieben von Henrike Utsch & Lea Hollender

Stell dir vor, du kannst als Journalist:in in einem europäischen Land verklagt werden, weil du deinen Job machst? Wenn deine Berichterstattung über das Fehlverhalten eines gewählten Politikers oder einer Politikerin das Ende deiner Karriere bedeuten kann? Was, wenn der Journalismus, der für die Aufrechterhaltung der demokratischen Staatsform unerlässlich ist, von politischer Repression betroffen ist? Diese Fragen werden in Ungarn für Medienschaffende immer dringlicher. 

“Die derzeit Verantwortlichen haben das wichtigste Prinzip einer offenen Gesellschaft vergessen, nämlich dass wir uns irren können und dass es eine freie Diskussion geben muss; dass es möglich ist, gegen die Politik zu sein, ohne unpatriotisch zu sein.” 

Dieses Zitat des ungarisch-amerikanischen Investors George Soros bringt die dringende Notwendigkeit einer deliberativen Kommunikation auf den Punkt. Ein offener Dialog zwischen den verschiedenen politischen Parteien ist entscheidend für eine funktionierende Demokratie. Das Ziel des EU-geförderten Forschungsprojekts “MEDIADELCOM” ist es, Risiken und Chancen für die Medien in den 17 beteiligten EU-Ländern zu ermitteln. Forscher:innen haben es sich zur Aufgabe gemacht, ein Diagnosewerkzeug zu erarbeiten, welches es den Entscheidungstragenden und Medienfachleuten ermöglicht, denkbare Szenarien für die europäische Medienlandschaft zu simulieren. Dabei werden aktuelle Entwicklungen wie politischen Wandel, Pressefreiheit und die Medien-Gesetzgebung berücksichtigt. 

Stetiger Druck auf die Pressefreiheit

Die Entwicklungen des ungarischen Mediensystems zwischen 2000 und 2022 wurden von einem Forschungsteam der Organisation  Mertek Media Monitor erfasst. Die Ergebnisse ihrer Studie zeigen massive Veränderungen in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes seit den Wahlen im Jahr 2010, wobei das Mediensystem und der Journalismus besonders betroffen sind. In diesem Artikel sollen nur einige der umfangreichen Maßnahmen gegen die Presse erwähnt werden. Sie alle scheinen auf das Ziel der derzeitigen Regierung unter der Führung von Viktor Òrban hinzuarbeiten: die Demokratie zu untergraben und ein autoritäres Regime zu errichten. 

Historisch gesehen hatte Ungarn einen schwierigen Start für ein funktionierendes Pressesystem. Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes wurden die Pressestrukturen aus Europa übernommen. Während der Finanzkrise 2008 verkauften viele europäische Investor:innen die Anstalten an nationale Investor:innen, die oft Verbindungen zur Regierung hatten. Doch noch immer leidet die Medienlandschaft an den Folgen dieser Krise. Der Medienmarkt entwickelt sich bis heute nur schwer, mit niedrigen Auflagen und einer klaren Trennung in zwei politische Lage und häufigen Eingriffen der Politik. Die Bewertung der Pressefreiheit durch “Reporter ohne Grenzen” ist von Platz 10 im Jahr 2006 auf Platz 85 im Jahr 2022 gesunken. Ethische Rahmenbedingungen für Journalist:innen gibt es kaum. Ein erschreckender Skandal für die Pressefreiheit ereignete sich 2021 mit den Enthüllungen des “Pegasus-Projekts”, einer Spionagesoftware, die von der ungarischen Regierung gegen unabhängige Journalist:innen eingesetzt wurde. Solche Eingriffe sind klar gegen das Gesetz, aber hatten dennoch keine Konsequenzen. Niemand wurde angeklagt oder zur Verantwortung gezogen. Die Ermittlungen wurden im Juni 2022 eingestellt. 

Zwischen Desillusion und Engagement

In der ungarischen Gesellschaft gibt es eine geringe Affinität zu Medien und Politik. Die meisten Menschen sehnen sich nach einer führenden Person, die sich um sie kümmert, damit sie sich so wenig wie möglich selbst einbringen müssen. Die Bereitschaft, für Medienprodukte zu zahlen, ist sehr gering. Nur fünf Prozent bezahlen für ein Abo. Die wichtigsten Nachrichtenquellen sind das Fernsehen und Online-Plattformen. Aufgrund ambivalenter Gerichtsentscheidungen und der Untätigkeit der Regierung haben die Akteure der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle in der Verteidigung der Rechte von Journalist:innen und der Aufklärung der Öffentlichkeit über Medien übernommen. So müssen NGOs, wie die von George Soros, die regierungskritisch berichten, mit Schmierkampagnen und Rufmord rechnen, gerade, wenn sie auf die Einhaltung von Menschenrechten hinweisen. Soros´ NGO Open Society musste aus diesem Grund auch im Jahr 2018 Budapest verlassen und zog nach Berlin.

Weitere Informationen zum Mediadelcom-Projekt gibt es hier.

Alle bereits veröffentlichten Beiträge zum Projekt finden Sie hier.

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