Zwischen den Zeilen: Was uns die Fightin’ – Words-Analyse über die Russland-Berichterstattung verrät

21. November 2024 • Forschung aus 1. Hand, Top • von

Sprache ist mächtig. So entschied Die Zeit erst neulich, die ukrainische Hauptstadt so zu nennen, wie sie wirklich heißt: Kyjiw statt Kiew. Die Zeitung nutzt also nicht länger die Transliteration aus dem Russischen, sondern die aus dem Ukrainischen. In den letzten 200 Jahren wurde gezielt Sprache eingesetzt, um die ukrainische Kultur und Identität zu unterdrücken. Sprache spielt schon immer eine zentrale Rolle, nicht nur bei der Unterdrückung von Identität, sondern auch bei der Formung von Meinungen, der Mobilisierung von Menschen und dem Austragen politischer Debatten.                   

Eine wissenschaftliche Methode, die die Sprache näher in den Fokus rückt, ist die Fightin’ Words Methode von Monroe, Colaresi und Quinn (2008). Mit der Methode können vor allem politische oder ideologische Unterschiede zwischen verschiedenen politischen Gruppen identifiziert und quantifiziert werden – dabei wird oft eine gewisse Rhetorik erkennbar. Sie ist, neben der politischen Forschung, vor allem wertvoll in der Medienanalyse und den Sozialwissenschaften. Die Methode ist auch nützlich, um herauszufinden, mit welchen Emotionen oder Konnotationen bestimmte Begriffe verbunden werden, indem sie vergleicht, wie häufig und in welchen Kontexten verschiedene Texte/Gruppen verwendet werden und so sprachliche Abweichungen aufdeckt.

KI-generiertes Bild (Artguru)

In meiner Forschungsarbeit habe ich diese Methode angewendet, um die Berichterstattung der letzten 20 Jahre über Russland in zwei verschiedenen Medienformen zu untersuchen: Einerseits in Qualitätsmedien (Die Welt und Süddeutsche Zeitung) und andererseits in einem alternativen Medium (Junge Freiheit). Dafür habe ich jeweils auf die Print – und Online-Artikel der verschiedenen Zeitungen zurückgegriffen.

Alternative Medien, wie die Junge Freiheit, haben oft eine eigene Agenda und können verzerrte oder einseitige Darstellungen von Ereignissen und Themen bieten. Die Junge Freiheit gilt als Flaggschiff der Neuen Rechten und publiziert so ganz eigene Darstellungen, die sich oft an neurechten Thesen und Ideologien orientieren.                                                                                                    Die Neue Rechte stellt eine politische Bewegung dar, die sich zwischen konservativen und rechtsextremen Positionen bewegt. Sie lehnt liberale und universalistische Werte ab und legt stattdessen großen Wert auf kulturelle Identität und ethnische Homogenität. Die Bewegung bedient sich dabei häufig geschichtsrevisionistischer Ansätze, um etablierte Narrative neu zu interpretieren und ihre eigene Ideologie zu untermauern, was oft eine Relativierung oder Umdeutung historischer Ereignisse beinhaltet. Zudem fordert sie eine Rückbesinnung auf nationale Werte und Traditionen und betrachtet sowohl die multikulturelle Gesellschaft als auch die Globalisierung als Bedrohungen für die nationale Identität. Russland wird von der Bewegung als Verbündeter angesehen, der dem westlichen Liberalismus und der Globalisierung entgegenwirken kann.

Verschiedene Zeitungen, verschiedene Weltbilder

Die Zeitungen Die Welt und Süddeutsche Zeitung repräsentieren eine politische Bandbreite mit einer eher konservativ geprägten Ausrichtung (Die Welt) und einem Blick aus der Mitte bis links der Gesellschaft (Süddeutsche Zeitung) und eignen sich daher für einen Vergleich mit der Jungen Freiheit. Gerade bei kontroversen Themen wie Russland stehen sich so zunehmend zwei verschiedene Weltbilder, das der Qualitätsmedien und das der alternativen Medien, gegenüber.

Die Fightin’ Words – Methode in R ist eine computergestützte Methode zur Analyse von Texten oder Korpora, die die Häufigkeit von Wörtern oder Ausdrücken in Bezug auf ein bestimmtes Thema analysiert. Sie hilft, herauszufinden, welche Wörter in Textkorpora statistisch häufiger vorkommen als andere. Hauptaugenmerk der Methode besteht darin, dass sie durch die Erstellung eines probabilistischen Modells (ein Modell, das Zufallsvariablen und Wahrscheinlichkeitsverteilungen miteinschließt) der Wortverwendung die unterschiedlichen Unsicherheitsgrade berücksichtigen kann, die sich jeweils aus Wörtern mit unterschiedlichen Häufigkeiten ergeben (Grimmer et al., 2022). Der Unsicherheitsgrad gibt an, wie zuverlässig die identifizierten Worte tatsächlich für eine spezifische ideologische Ausrichtung stehen. Ein niedriger Unsicherheitsgrad bedeutet, dass die identifizierten Wörter mit hoher Wahrscheinlichkeit signifikante Unterschiede zwischen den Texten der analysierten Gruppen darstellen. Ein hoher Unsicherheitsgrad hingegen zeigt an, dass die untersuchten Wörter weniger zuverlässig als Unterscheidungsmerkmale sind und dass die Ergebnisse potenziell zufälliger Natur sein könnten.

Die Korpora der jeweiligen Medienformen können mithlife des Programmierprogramms „R“ in eine Datenmatrix umgewandelt werden, die die Häufigkeit von Wörtern in jedem Dokument enthält. Diese Matrix wird dann verwendet, um die “Fightin’ Words” zu identifizieren, also die Wörter oder Ausdrücke, die am stärksten mit einem bestimmten Thema assoziiert sind.  Diese Wörter können Begriffe identifizieren, die besonders häufig in einem der Datensätze vorkommen und somit als potenzielle „Fightin’ Words“ dienen, die in der Berichterstattung bevorzugt verwendet werden.

DIE EREIGNISSE IM ÜBERBLICK

 

Die Grafik stellt zentrale Wörter in der Berichterstattung über Russland in der Jungen Freiheit, Die Welt und der Süddeutschen Zeitung gegenüber. Sie zeigt wichtige Wörter, die in den Berichten über Russland unterschiedlich häufig vorkommen. Größe und Identität der Wörter zeigen ihre Bedeutung in den Artikeln. Wörter, die näher an einer Gruppe stehen, werden in deren Berichterstattung besonders häufig verwendet. Wörter, die größer und auffälliger dargestellt sind, haben einen niedrigen Unsicherheitsgrad, das heißt diese Wörter sind besonders spezifisch im Sprachgebrauch der jeweiligen Zeitung und charakteristisch für ihre Themen, Meinungen, Perspektiven oder Schwerpunkte, die in der Berichterstattung über Russland eine besondere Rolle spielen.

Ergebnisse Junge Freiheit

Bei der Jungen Freiheit sind besonders die Wörter „ddr“, „afd“, „deutsch“ und „partei“ dominant, dabei wird das Wort „deutsch“ mit am häufigsten verwendet.

Das häufige Vorkommen des Wortes „deutsch“ deutet darauf hin, dass die JF eine starke Betonung auf nationale Identität und die deutsche Kultur legt. Daraus kann man schließen, dass die JF in ihrer Berichterstattung häufig eine Perspektive einnimmt, die nationale und identitätsbezogene Themen hervorheben soll.

Die Häufigkeit der Begriffe „afd“ und „partei“ weisen darauf hin, dass sich die Berichterstattung besonders auf diese Partei fokussiert – wahrscheinlich auch aufgrund einer politischen Nähe oder Sympathie gegenüber dieser Partei. Die häufige Erwähnung der „ddr“ könnte ein Hinweis sein, dass historische Themen und Vergleiche mit der Vergangenheit in ihrer Berichterstattung eine Rolle spielen. Das wird insbesondere noch einmal durch das Vorkommen der Wörter wie „weltkrieg“, „reich“,sowjetunion“ und „stalin“ verdeutlicht. So stellt die Junge Freiheit immer wieder historische Bezüge her, um etablierten geschichtlichen Positionen eine alternative Perspektive oder Revision der Geschichte (auch Russlands) entgegenzustellen.

Ergebnisse Die Welt und Süddeutsche Zeitung

Bei den Qualitätsmedien sind besonders die Wörter „gazprom“ undgeld“ dominant. Das Auftreten des Begriffs „gazprom“ deutet darauf hin, dass Themen rund um finanzielle Aspekte und russische Energiepolitik eine besondere Rolle in der Berichterstattung spielen. Das könnte auch auf ein Interesse an Wirtschaftsentwicklungen, geopolitischen Aspekten oder internationalen Beziehungen im Zusammenhang mit der Energiebranche hinweisen. So finden sich noch weitere Wörter mit wirtschaftlichem Bezug in den Fightin’ Words, wie „sanktionen“ oder gas“.

Die häufige Vorkommnis von politischen Führungspersonen deuten darauf hin, dass die Qualitätsmedien häufig über politische Akteure in Russland berichten. Besonders auffällig ist, neben den Wörtern „sergej“ und „medwedjew“ dabei die häufige Vorkommnis der Wörter „praesident“, „wladimir“ und „putin“. Das Auftreten des Namens Wladimir in Verbindung mit Präsident könnte auf eine Fokussierung und spezifische Berichterstattung des russischen Präsidenten hinweisen. So ist es wahrscheinlich, dass die Medien häufig über Ereignisse oder Entscheidungen berichten, die mit Wladimir Putin in Verbindung stehen, auch im internationalen Kontext. Darüber hinaus finden sich ebenfalls die Medienpeaks (Ukraine-Konflikt, Iran-Konflikt, Syrien Krieg) der Berichterstattung über Russland wie „ostukraine“, separatisten“ und „kiew“, „iran“ und „syrien“ in den Ergebnissen wieder.

Ausblick

Die Ergebnisse der Methode verdeutlichen die unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen und Schwerpunktsetzungen in der Berichterstattung der beiden Medienformen. Es bildet die Grundlage für ein fundiertes Verständnis der redaktionellen Unterschiede. Durch meine Forschungsarbeit konnte ich feststellen, dass die Methode nicht nur die ideologischen Unterschiede zwischen verschiedenen Medienformen aufzeigt, sondern auch eine wertvolle Ergänzung zur Framing-Analyse darstellt. Darüber hinaus gibt es noch viele Forschungsbereiche in denen die Methode sinnvoll ist, wie zum Beispiel Social Media. Social Media ist geprägt von kurzen, prägnanten Beiträgen, in denen jedes Wort eine große Bedeutung trägt. Hier treffen unterschiedliche Meinungen und Weltanschauungen unmittelbar aufeinander. Vor allem dort, wo Begriffe schnell und sehr pointiert verwendet werden, ist diese Methode besonders wertvoll.

Letztendlich ist die Entscheidung von Die Zeit, die ukrainische Hauptstadt fortan als “Kyjiw” zu bezeichnen, ein Beispiel dafür, wie bewusst gewählte Sprache politische Standpunkte und ideologische Ausrichtungen sichtbar machen kann. Die Fightin’ Words-Methode verdeutlicht genau diese Dynamiken, indem sie aufzeigt, wie sprachliche Unterschiede ideologische und kulturelle Perspektiven widerspiegeln.

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