EJO-Report
Viele dürfte die Wortschöpfung „unternehmerischer Journalismus“ („Entrepreneurial Journalism“) irritieren. Sie scheint in sich widersprüchlich, denn über Jahrzehnte hinweg haben sich Journalisten aus betriebswirtschaftlichen Fragen eher herausgehalten.
In gut geführten Redaktionen wurde strikt die sogenannte „Chinesische Mauer“, die Trennwand zwischen der redaktionellen und der ökonomischen Seite eines Medienunternehmens, aufrecht erhalten. Aber die Zeiten ändern sich.
Journalisten bekommen immer seltener unbefristete Arbeitsverträge. Deshalb kann es für sie sinnvoll sein, sich und ihren Beruf „neu zu erfinden“, also der ökonomischen Seite des Metiers mehr Aufmerksamkeit zu zollen und sich auch mehr um ihre Selbstvermarktung zu kümmern. In einem Beitrag hat das EJO kürzlich einen Überblick über Initiativen in den USA zum unternehmerischen Journalismus gegeben. Jetzt leuchten wir die Situation in Europa aus.
Das Internet hat den Mediensektor seit mehr als einem Jahrzehnt umgestülpt. Es zwingt Medienunternehmen dazu, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken und weiterzuentwickeln. Auch Journalisten müssen somit neue Wege gehen und sich beispielsweise als „Marke“ etablieren. Allerdings kann die Situation in Europa nicht eins zu eins mit den dramatischen Entwicklungen in den USA verglichen werden, und obendrein entwickeln sich die Dinge in jedem europäischen Land unterschiedlich. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich indes überall verschärft.
Europäische Pioniere des Unternehmerjournalismus
Die Bestrebungen, Journalismus mit Unternehmertum zu verknüpfen, sind in Europa noch bescheiden. In einer kürzlich erschienen Studie des Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford identifizieren die Medienforscher Nicola Bruno und Kleis Nielsen zwei wesentliche Herausforderungen für journalistische Existenzgründer: In Europa werde der Markt für Online-Nachrichten von den alteingesessenen Medien dominiert, und außerdem kontrollierten den Markt für Online-Werbung einige sehr große Unternehmen. Hinzu komme, dass die Märkte angesichts der Vielfalt von Kulturen und Sprachen eher kleinteilig seien.
Diese Risiken haben Xavier Drouot, Mitgründer des regionalen Nachrichtenportals Carredinfo.fr in Toulouse nicht davon abhalten können, den Sprung zu wagen: „Wir haben zwei Jahre lang bei traditionellen Medien gearbeitet, ohne Aussicht auf einen unbefristeten Vertrag. So zogen wir es vor, uns mit einem Start-up selbständig zu machen“, sagt er.
Ihm zufolge ist unternehmerischer Journalismus in Frankreich auf dem Vormarsch, auch wenn er bisher noch nicht in Ausbildungsangeboten verankert sei. In Großbritannien ist es genau umgekehrt: „Die Diskussion um Unternehmerjournalismus ist in den Ausbildungsstätten angekommen, aber noch längst nicht in der Medienpraxis“, sagt der Medienökonom Robert Picard vom Reuters Institute.
Auch in Deutschland ist das Konzept des Entrepreneurial Journalism noch eher fremd. „Das Umfeld für Journalismus ist in den USA ganz anders als hier, weshalb eine Kopie des ‚Entrepreneurial Journalism‘ wenig Sinn hat“, sagt Klaus Meier, Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. In der Tat unterscheidet sich das deutsche Mediensystem beträchtlich vom amerikanischen – nicht nur im Blick auf den großen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Auch den Zeitungen geht es vorerst noch viel besser als in Amerika.
„An deutschen Ausbildungsstätten für Journalisten wird bisher kein Unternehmerjournalismus institutionalisiert gelehrt, weil der Unterschied zur traditionellen journalistischen Selbstständigkeit nicht gesehen wird“, erklärt die deutsche Journalistin und Medientrainerin Ulrike Langer, die als freie Journalistin in den USA arbeitet und auch mit dem amerikanischen Mediensystem bestens vertraut ist.
Ulrike Langer zeigt damit einen Schwachpunkt des Konzepts auf: Entrepreneurial Journalism ist bisher nicht klar definiert. Wenn er mehr als eine pompöse Umschreibung von freier Mitarbeit sein soll, würde dies zumindest erfordern, dass freie Journalisten kooperieren, gemeinsam eigene Unternehmen gründen, ihre Produkte vermarkten und gegebenenfalls auch Mitarbeiter einstellen.
In Deutschland arbeiten nach Schätzungen des Deutschen Journalisten-Verbands etwa 25.000 Journalisten hauptberuflich frei. Manche von ihnen verstanden sich schon lange als Unternehmer, bevor der Begriff des Unternehmerjournalismus aufkam, auch wenn sie nie zu Unternehmern ausgebildet wurden.
In Italien kam das Thema erstmals 2009 zur Sprache, als die überregionale Tageszeitung La Stampa über das Tow-Knight Center for Entrepreneurial Journalism an der City University of New York berichtete. Seitdem geht die Diskussion weiter – und inspirierte jüngst auch ein Panel beim Internationalen Journalismus-Festival in Perugia.
Ein Kritiker des Konzepts ist der italienische Journalist und Medienexperte Stefano Tesi. In seinem Blog schreibt er, die Rollen von Journalist und Unternehmer seien nicht kompatibel: „Die Autorität, Glaubwürdigkeit und Professionalität eines Journalisten“ ließen sich nicht mit „dem Können, aber auch der Skrupellosigkeit eines Unternehmers“ kombinieren. Sollte sich das Konzept durchsetzen, bleibe die journalistische Ethik auf der Strecke.
Im Baltikum scheint die Kombination aus Journalismus und Unternehmertum besser anzukommen. Lettische Journalisten lassen sich auf kreative Weise ihre eigenen Blogs und Websites sponsern. Zuschüsse für Recherchen erlauben investigatives Arbeiten, und aus journalistischen Beiträgen werden später mitunter Buchprojekte. Auch für Nischenthemen ist gelegentlich Platz. Agnese Kleina, Redakteurin des Design-Magazins Deko hat einen Mode-Blog gestartet, der monatlich etwa 15.000 Nutzer hat, und der Kleina inzwischen zu einer eigenen Modekollektion verholfen hat.
Weiter südlich im Osten Europas, in Ländern wie Albanien, Rumänien, Serbien und der Ukraine, ist unternehmerischer Journalismus meist noch ein Fremdwort. Es überwiegt herkömmliche freie Mitarbeit, soweit Journalisten keine Festanstellung haben. Allerdings zwingen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs niedrige Gehälter und schlechte Arbeitsbedingungen Journalisten dazu, im Geldverdienen kreativ zu sein.
Für den rumänischen Journalisten und Journalistenausbilder Alexanderu-Bradut Ulmanu bedeutet unternehmerischer Journalismus aber nicht zwingend, dass man ein eigenes Unternehmen gründen muss. Man könne als Journalist auch auf anderen Wegen Geldquellen erschließen und kombinieren, z.B. indem man sich auf Ausschreibungen und Stipendien bewebe. Ulmanu betont, dass in Rumänien zusätzliche Geldquellen für Journalisten dringend notwendig seien. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Bedingungen würden weder Journalisten in großen Medienunternehmen noch freie Mitarbeiter zufriedenstellend entlohnt.
In Albanien stellt sich die Situation ähnlich dar. Nachrichten-Websites wie www.lajmifundit.com und www.alblajm.com sind Ein-Mann-Projekte. Das Werbeaufkommen reicht gerade aus, um laufende Kosten zu decken. Größere Nachrichtenportale wie www.gazetaidea.com und www.respublica.com werden von privaten Stiftungen getragen, sind aber nicht profitabel. Laut Dardan Malaj, Gründer von www.lajmifundit.com, investieren in Albanien nur Mobilfunkunternehmen und einige Banken in Online-Werbung, während andere Firmen es bevorzugen, Werbung in Printmedien zu schalten.
Ausbildung in Europa
Auch die Ausbildungsangebote zum unternehmerischen Journalismus unterscheiden sich innerhalb Europas stark. In Großbritannien bietet die City University in London einen Kurs in „Entrepreneurial Journalism“ an mit einem Schwerpunkt auf Datenjournalismus und Community Management. Ein ähnliches Programm offeriert die Bournemouth University zur Weiterbildung berufserfahrener Journalisten. Andere britische Universitäten und Institute wie die Cardiff School of Journalism, die Goldsmiths University sowie das Media and Communication Department der London School of Economics bieten für Journalisten Seminare zu allgemeiner Betriebswirtschaftslehre und Medienmanagement an.
In französischen Ausbildungsinstitutionen werde Unternehmertum als Alternative zum Angestelltenverhältnis bislang generell vernachlässigt, sagt Xavier Drouot. Einen Schritt in die richtige Richtung mache die Organisation Mouvement pour les Jeunes et les Étudiants Entrepreneurs (MOOVJEE – Bewegung für junge und studentische Unternehmer), die junge Leute dazu ermutigt, ihr eigenes Unternehmen während oder nach dem Studium zu gründen. Das Programm, das Nachwuchsunternehmer aller Sparten anspricht, stellt den Teilnehmern einen Mentor zur Verfügung und verleiht einen jährlichen Preis für das beste Projekt.
Immerhin hat die Journalistenschule der ScienesPo in Paris das Potential erkannt und in ihr Masterstudium einen Kurs über Unternehmerjournalismus („Journalisme Entrepreneur“) aufgenommen. Auch hier wird jeweils ein Preis für das beste Projekt verliehen: die Gewinner bekommen einen finanziellen Zuschuss, um – unterstützt von Beratern – ihr journalistisches Vorhaben umsetzen zu können.
In Deutschland lehren mehrere Journalistik-Studiengänge die „Basics“ journalistischer Selbstständigkeit. Die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt bietet einen Master in Management und Innovation in Journalismus und Medien an. Die Studierenden können dort Seminare in Management Skills, Projektmanagement, Teamarbeit und Mitarbeiterführung absolvieren. Der Studiengang ziele aber nicht in erster Linie auf journalistische Existenzgründer ab, sondern auch auf – teils neue – Jobs im Anstellungsverhältnis, erklärt Klaus Meier. Auch an der TU Dortmund hat man wirtschaftliche Grundlagen und unternehmerisches Entscheiden in das Journalistik-Studium integriert – mit einem Seminar „Ökonomische Grundlagen des freiberuflichen Journalismus“.
Der deutsche Journalistenverband unterstützt traditionell selbständige Journalisten mit Überlebenstipps. Mit einem Seminarangebot zum „Unternehmerjournalismus“ hat Medientrainerin Ulrike Langer kürzlich im Verband einen neuen Weg beschritten. Unter dem Titel „Geld verdienen im Netz“ lehrt sie auch in einem zweitägigen Kurs an der Akademie für Publizistik in Hamburg.
An den meisten Ausbildungsstätten sind solche Offerten aber auch deshalb „undenkbar, weil deutsche Journalistenschulen mehrheitlich verlagsgebunden sind“, sagt Langer. Sie hätten so verständlicherweise kein Interesse daran, ihren Absolventen „beizubringen, wie man auf dem freien Markt Verlage als Verwerter umgehen kann”.
In der Schweiz spricht sich Sylvia Egli von Matt, Leiterin der Journalistenschule MAZ in Luzern, für eine Verankerung des Unternehmerjournalismus in der Journalistenausbildung aus. Ihrer Ansicht nach sind „Medienschaffende heute aufgefordert, zu experimentieren, zu kooperieren, kleine Firmen zu gründen und auch den Lead zu übernehmen. Das sollen sie in der Aus- und Weiterbildung lernen.“ Auch wenn unternehmerischer Journalismus „nicht wirklich ganz neu“ sei, lohne es sich, die neuen Ausbildungsangebote, die in den USA entstanden sind, auch in der Schweiz zu diskutieren, denn die „Sichtweise auf den Journalismus“ sei dort breiter. Zukünftige Journalisten sollten lernen, gemeinsam mit Designern und Technikern zu arbeiten, „sie sollten in ‚Spin-Offs‘ neue Formate, neue Recherche- und Erzählweisen und neue Finanzmodelle entwerfen“.
Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), teilt ihre Ansicht: Die Ausbildungsangebote in der Schweiz „hinken in der Entwicklung nach“. Es gebe „viel Handlungsbedarf“, um künftige Journalisten aufs Fundraising und auf unternehmerisches Entscheiden vorzubereiten.
In Rumänien bieten inzwischen viele Universitäten und Verbände Kurse zu Online-Journalismus, Internet-Technologien, Medienmanagement, alternativen Medien und sozialen Medien an, die dazu befähigen sollen, als selbständiger Journalist oder als Medienmanager zu arbeiten. Auch in der Journalistenausbildung in Lettland, Albanien und Serbien stehen neue Medien und Online-Journalismus inzwischen im Mittelpunkt, aber die zukünftigen Journalisten werden nicht auf spezifisch unternehmerische Tätigkeiten vorbereitet. Mehrere Journalistik-Professoren aus Osteuropa heben hervor, wie schwierig es sei, in ihren Ländern Curricula zu verändern, weil die Akkreditierungs-Prozeduren inzwischen gesetzlich geregelt und langwierig seien.
In der Ukraine lehren Ausbildungsinstitutionen ebenfalls künftigen Journalisten den Umgang mit digitalen Medien. Die Mohyla-Journalistenschule in Kiew wird bald zwei neue Programme anbieten, die von einer Stiftung, der Foundation for the Development of Ukraine, initiiert wurden. Im Programm „Digital Future of Journalism“ können sich junge Journalisten mit einem ersten Studienabschluss weiterbilden. Das Programm „Digital Media for Universities“ richtet sich an die Ausbilder: ihnen soll beigebracht werden, den richtigen Umgang mit digitalen Medien zu lehren und ihre Curricula weiterzuentwickeln.
Erste Schritte in Richtung unternehmerischer Journalismus geht man in der Ukraine mit dem „U-media“-Projekt der internationalen Nonprofit-Organisation Internews-Ukraine. Diese Organisation beschäftigt sich mit Medienentwicklungen und hat das Social Innovation Lab ins Leben gerufen: eine Anlaufstelle für Blogger, Medienerfinder und Programmierer, die gemeinsam innovative Online-Tools entwickeln.
Der Versuch, einen Überblick über die verschiedenen Initiativen zum Entrepreneurial Journalism in Europa zu geben, zeigt immerhin klar, dass es bisher kein gemeinsames Verständnis dieses Konzepts und seiner möglichen Folgewirkungen gibt. Während einige es als Chance für ambitionierten Journalismus begreifen, sehen andere darin lediglich alten Wein in neuen Schläuchen – soll heißen nichts weiter als einen neuen Begriff für den altbekannten freien Journalismus.
Zu diesem Report haben Tina Bettels, Natascha Fioretti, Jonila Godole, Kate Nacy, Dariya Orlova, Liga Ozolina, Miroljub Radojkovic and Andra Seceleanu beigetragen.
Schlagwörter:Entrepreneurial Journalism, Europa, Existenzgründung, freier Journalismus, Innovation, Klaus Meier, Neue Medien, Nicola Bruno, Online, Osteuropa, Rasmus Kleis Nielsen, Selbstvermarktung, Start-up, Stefano Tesi, Ulrike Langer, Unternehmerjournalismus, Xavier Drouot