Der Journalist als Unternehmer

17. Juli 2012 • Ausbildung, Digitales • von

Der neue Journalist soll über unternehmerische Fähigkeiten verfügen. Dies fordern einige Avantgardisten. US-Institute entwickeln entsprechende Ideen.

Die Diskussion um die Zukunft des Journalismus wird in den USA seit geraumer Zeit von einem neuen Stichwort beflügelt: Entrepreneurial Journalism. Zwar haben die Protagonisten eines solchen unternehmerischen Journalismus noch längst kein Geschäftsmodell entdeckt, das den Qualitätsjournalismus neu erblühen lassen könnte. Das Schlagwort taugt indes als Wegweiser, den Journalisten nicht mehr übersehen sollten. Sie müssen sich „neu erfinden“, also lernen, unternehmerisch zu denken und sich mit den wirtschaftlichen Realitäten ihres Berufs auseinanderzusetzen. Womöglich ist allerdings „unternehmerischer Journalismus“ auch Camouflage – eine wohlklingende Umschreibung von Selbstausbeutung.

Inspiratoren und Taktgeber sind Stiftungen wie die John S. and James L. Knight Foundation sowie bekannte Gurus des Online-Journalismus, darunter Dan Gillmor, Jeff Jarvis und Jay Rosen. Letzterer hat schon vor Jahren seinen Studenten erklärt, es gebe keinen „Big Daddy“ mehr, sprich, keinen Verlegerpatriarchen, der sie ernähre.

Impulse aus den USA

An vielen Ausbildungsstätten in den USA wurde inzwischen erkannt, dass sie sich der Herausforderung zu stellen haben, mitzuhelfen bei der Überwindung der Journalismuskrise. In Zeiten, wo jedermann jederzeit in scheinbar unbegrenztem Umfang publizieren kann, müssen Journalistenausbilder zumindest eine Ahnung davon haben, unter welchen Bedingungen verlässlicher, glaubwürdiger und professioneller Journalismus noch möglich ist, der dummerweise stressig, zeitintensiv, teuer und obendrein zumindest für die Machteliten potenziell gefährlich ist. Keine einfache Aufgabe unter den Bedingungen der Medienkonvergenz und Digitalisierung, wo es mehr Information denn je zu bewältigen gilt und wo immer weniger Schleusenwärter die Nachrichtenflut steuern.

Um ein erstes Beispiel zu nennen: Mit einer Zuwendung von drei Millionen Dollar konnte die City University in New York das Tow Knight Center for Entrepreneurial Journalism gründen und unter Leitung von Jeff Jarvis im Jahr 2011 das erste Masterprogramm starten. Dort lernen die Studierenden nicht mehr nur Journalismus, sondern sie setzen sich – oftmals projektbezogen – auch mit Managementfragen und unternehmerischem Entscheiden auseinander.

Zu den treibenden Kräften gehören sodann zwei Anbieter von Weiterbildungsprogrammen, die sich weit über Amerika hinaus einen geradezu legendären Ruf erworben haben: die Nieman Foundation in Harvard und die John F. Knight Fellowships in Stanford. Die Programmverantwortlichen haben ganz unterschiedliche Wege eingeschlagen, um mit der digitalen Revolution und ihren Folgen umzugehen.

An der Harvard University ist das Nieman Journalism Lab zu einer der Brutstätten journalistischer Innovation geworden. Im Kern besteht es aus einer Website, die kontinuierlich über die Zukunft des Nachrichtenjournalismus, über erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle und über Vorbildliches vor allem im Online-Journalismus berichtet. Das Nieman Lab betreibt auch Fuego, einen Monitor, der Twitter nach Themen und Links absucht, die sich mit Journalismus befassen, sowie Encyclo, eine Web-Enzyklopädie, welche Organisationen, Institute und Initiativen listet, die den Journalismus und News der Zukunft beeinflussen.

In Harvard wird das Fellowship-Programm selbst, das seit seiner Gründung im Jahr 1938 rund 1300 Journalisten aus aller Welt absolviert haben, im Großen und Ganzen weiterbetrieben wie bis anhin. In Stanford hat man sich dagegen vor drei Jahren zu einem radikalen Neubeginn durchgerungen. Jene Universität, in deren unmittelbarem Umfeld Computer- und Internet-Giganten wie Hewlett-Packard, Apple, Google und Facebook entstanden, will vermehrt Journalisten mit Unternehmergeist zur Neuerfindung ihres Metiers antreiben. Seither gibt das Knight-Programm Medienschaffenden mit Geschäftssinn die Chance, während ihres zehnmonatigen Gaststudiums an einem innovativen Projekt zu arbeiten und es auf seine Realisierbarkeit hin auszutesten.

Neue Vermittlungsformen

James Bettinger, Direktor des Programms, nennt ein Vorhaben, auf das er besonders stolz ist: „18 Days in Egypt“ – eine Dokumentation der ägyptischen Revolution, gestützt auf Crowdsourcing, Die Mitarbeiter Jigar Mehta und Hugo Soskin haben das zugehörige Reportage-Tool in Stanford entwickelt. Sie haben Fotos sowie Videos zusammengetragen, die mit Mobiltelefonen gemacht wurden und deren Einsatzort und -zeit dokumentiert sind, um die Ereignisse multiperspektivisch festzuhalten. So ist eine neue, authentische, interaktive Form von Reportage und Dokumentarfilm entstanden.

Bei den Initiativen, Journalismus und Unternehmergeist zusammenzuführen, handelt es sich auffällig oft um Gemeinschaftsprojekte von Universitäten, die sonst heftig um Reputation, Fördergelder sowie um die besten Forscher und Studierenden konkurrieren. Zuletzt wurde eine solche Zusammenarbeit zwischen der Stanford School of Engineering und der berühmtesten Journalistenschule Amerikas an der Columbia University vereinbart. Kurz zuvor gründete die Northwestern University das Knight News Innovation Laboratory, in dem die Medill School of Journalism und die School of Engineering zusammenarbeiten – geradezu fürstlich dotiert mit 4,2 Millionen Dollar Fördergeldern. Mit beiden Projekten verbindet sich die Hoffnung, dass sich mithilfe der Computerspezialisten die digitale Infrastruktur des Journalismus ausbauen lässt und so die Redaktionen für künftige technologische Herausforderungen sich frühzeitig wappnen können.

Oder doch Hilfe von Mäzenen

Bleibt abzuwarten, wie lange es dauert, bis die amerikanischen Aktivitäten den deutschsprachigen Raum inspirieren. Es könnte indes sein – auch dafür gibt es bisher vor allem amerikanische Beispiele –, dass künftig Journalisten ihre unternehmerischen Talente vor allem im Nonprofitsektor austesten müssen, und zwar, um Stifter und Philanthropen zur Förderung jenes hochwertigen Journalismus zu bewegen, der sich bis jetzt nicht durch Online-Werbung oder Online-Abonnements finanzieren lässt.

Die neuen Journalisten würden dann keine dynamischen Unternehmer Schumpeterscher Prägung werden, sondern Fundraiser – oder, um es eindringlicher auf Deutsch zu sagen: Leute, die sich ihr täglich Brot zusammenbetteln müssen. Mit allen gar nicht so neuen Abhängigkeiten, die sich daraus für die Berichterstattung ergeben.

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung vom 17. Juli 2012

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Der EJO-Report “Entrepreneurial Journalism” in Europa zeigt auf, wie es um den Unternehmerjournalismus in Deutschland und den anderen EJO-Ländern bestellt ist.

 

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