Was sind europäische Freiheiten wert? Die Pride-Parade in Budapest 2025

22. Juli 2025 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Zahlreiche Menschen demonstrieren am 28. Juni für queere Rechte bei der Pride Parade in der ungarischen Hauptstadt Budapest. Foto: Wikimedia Commons

Der Wert einer demokratischen Gesellschaft bemisst sich auch daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern ihrer Gemeinschaft, den zahlreichen Minderheiten, umgeht. Welches Zeugnis würden Sie, gemessen an dieser Aussage, derzeit den europäischen Gesellschaften ausstellen? Fest steht: Immer mehr Menschen, etwa aus der queeren Community, sehen ihre Freiheiten und Rechte in Europa gefährdet. Ein Überblick über eine Woche der Freiheit(en) und Schlagabtausche im Europäischen Parlament.

Dieser Beitrag ist bei einem Besuch des Europäischen Parlaments im Rahmen der Jahrestagung der Kommission Europa und Internationales des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) entstanden. Die Kommission traf sich vom 07.-10. Juli 2025 in Straßburg. Der Autor ist Mitglied der Kommission.

Linksliberale Meinungsvorherrschaft, LGBTQI+-Hysterie und Unterstützung einer grünen Bewegung: Dies sind nur einzelne Vorwürfe der rechten Fraktionen im EU-Parlament zur Dringlichkeitsanhörung zur Pride Parade in Budapest Anfang Juli. In der ungarischen Hauptstadt waren am 28. Juni laut Veranstalterangaben bis zu 200.000 Personen aus dem gesamten Land, aus den urbanen und ländlichen Regionen, zusammengekommen, um für die Rechte von Lesben, Schwulen, Inter-, Transsexuellen und anderen queeren Menschen zu demonstrieren. „Es war eine der größten Demonstrationen der vergangenen Jahrzehnte, die die europäischen Werte verteidigt und hochgehalten hat“, so der Budapester Oberbürgermeister Gergely Karácsony.

Doch in diesem Jahr hatte die Parade eine noch größere politische Dimension. Denn Viktor Orbán unternahm vorab alles, um sie zu verbieten. Als Grund führte der ungarische Ministerpräsident den Kinderschutz an. Dieses Vorgehen ordnet sich ein in eine Reihe verschiedener politischer Initiativen der rechtspopulistischen Fidesz-Regierung in den vergangenen Jahren. Das Ziel: die Sichtbarkeit nicht-heterosexueller Identitäten in der ungarischen Öffentlichkeit einzuschränken. 2021 etwa trat bereits ein Gesetz in Kraft, das Bildungsprogramme und Aufklärungsbücher über Homo- und Transsexualität verbot. Auch damals wurde mit dem Schutz von Minderjährigen argumentiert. „Wir stehen derzeit an einem kritischen Punkt“, sagt Sabrina Repp von der Fraktion der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. „Die privilegierte Mehrheitsgesellschaft fühlt sich durch die zunehmende Gleichstellung aller Geschlechter und Lebensweisen bedroht.“ Queere Rechte gerieten somit mehr unter Druck, würden im Rahmen von Identitätspolitik missbraucht und mit Begriffen wie „Gender-Wahn“ diskreditiert.

Um den Umzug in Budapest nun doch legal stattfinden zu lassen, meldete Oberbürgermeister Karácsony diesen kurzerhand als städtische Veranstaltung unter dem Namen „Tag des Budapester Stolzes“ an, was als „Budapest Pride“ ins Englische übersetzt werden kann – und umging damit Orbáns Verbot. Stiftungen unterstützten die Parade finanziell. „Ein politisches Eigentor der Regierung“, wie es Karácsony bezeichnet. Ihm selbst habe der ungarische Justizminister vor Anmeldung der Parade eine Haftstrafe angedroht. Der Kommentar des Oberbürgermeisters dazu: „Sollen sie mich doch vor Gericht stellen. Vielleicht werde ich so noch beliebter.“

Trotz Viktor Orbáns Versuch, die Pride Parade in Budapest zu verbieten, erreichte der Umzug mit bis zu 200.000 Personen einen neuen Teilnehmerrekord. Foto: Wikimedia Commons

„Das Verbot der Pride war von vornherein illegal“, sagt Terry Reintke, Abgeordnete der Grünen im EU-Parlament. In Ungarn seien Grundrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Rechtsstaatlichkeit bereits massiv bedroht. Da EU-Bürger von den Einschränkungen betroffen sind, habe das Vorgehen Orbáns eine unmittelbar europäische Dimension, so Reintke. Und so nahmen auch zahlreiche EU-Parlamentarier:innen mehrerer Fraktionen am Tag der Parade in Budapest teil. „Ein Parlament auf Urlaubsreise“, wie eine Abgeordnete daraufhin im Plenarsaal bei der Dringlichkeitsanhörung urteilte. Die anwesenden Abgeordneten wiederum sehen ihre Teilnahme als starkes Zeichen für Gleichberechtigung und Menschenrechte.

Auch Terry Reintke war in Budapest dabei. Zusammen mit ihrem niederländischen Fraktionskollegen Bas Eickhout hat die deutsche Grünen-Abgeordnete eine Pressekonferenz mit dem Budapester Oberbürgermeister Gergely Karácsony vor der Dringlichkeitsanhörung in Straßburg organisiert. Karácsony fordert mehr Gegenwehr von der Europäischen Union gegenüber der ungarischen Regierung: “Man braucht politischen Mut. Die Politiker sollten so mutig sein wie die Budapester Bürger, die für die Demokratie auf die Straße gegangen sind.”

Pressekonferenz mit dem Budapester Oberbürgermeister Gergely Karácsony (Mitte) und den EU-Abgeordneten Bas Eickhout (links) und Terry Reintke (rechts) (beide Die Grünen/Europäische Freie Allianz) im EU-Parlament. Foto: Richard Brandt

Das primäre Sanktionsmittel bleibt die Kürzung von EU-Fördergeldern. Das Parlament müsse den Druck auf die EU-Kommission erhöhen, sagt die Abgeordnete Nela Riehl (Die Grünen/EFA). Doch das sei ein zweischneidiges Schwert, erwidert Oberbürgermeister Karácsony. Die Europäische Union könne Fonds einfrieren. Die Strafen aber würden die ungarische Gesellschaft und Wirtschaft unmittelbar treffen. Investitionen und Gelder aus dem Haushalt für Initiativen wie die Pride Parade in Budapest würden so ebenfalls entzogen. Stattdessen schlägt Karácsony eine Regelung vor, die es den Gemeinden zukünftig erlauben sollte, direkt an die Fördermittel zu gelangen.

 

Die Botschaft der Teilnehmenden der Pride Parade ist klar: „Befreit Ungarn“. Foto: Wikimedia Commons

Die Teilnehmenden des Umzugs in der ungarischen Hauptstadt müssen derweil wohl keine Sanktionen befürchten. Der Polizei in Budapest zufolge habe es die politische Entscheidung gegeben, die Teilnehmenden nicht zu bestrafen. Oberbürgermeister Karácsony weist aber darauf hin, dass die Möglichkeit generell gegeben ist, denn die Polizeikräfte dürfen chinesische Software zur Gesichtserkennung verwenden. Deshalb sei es wichtig, dass die Menschen so zahlreich auf die Straße gingen und gehen. „Ungarn ist nicht so antieuropäisch, wie Orbán es darstellt“, ist sich Karácsony sicher.

Journalist:innen aus ganz Europa verfolgen die politische Debatte auf der Presse-Tribüne des Plenarsaals. Foto: Ute Korinth/DJV

Er ist überzeugt, im kommenden Jahr wird es einen Regierungswechsel in seinem Land geben. Dazu allerdings braucht es die volle Unterstützung der demokratischen Kräfte in Europa und eine geeinte ungarische Opposition, die bislang untereinander zerstritten ist. Es geht um viel, so Karácsony: “Wenn manche Menschen glauben, dass sie Bürger zweiter Klasse sind, dann verlieren alle. Niemand soll sich als Bürger zweiter Klasse fühlen. Auch die Ungarn dürfen sich in Europa nicht als Bürger zweiter Klasse fühlen.”

Entsprechend fordert die Abgeordnete Fabienne Keller (Fraktion Renew Europe) in der anschließenden Dringlichkeitsanhörung zur Budapest Pride im EU-Parlament: „Wir brauchen mehr denn je ein europäisches Antidiskriminierungsgesetz.“ Die EU-Kommission sei nun an der Reihe, dieses auf den Weg zu bringen.

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