Geile Themen für Journalistenfuzzis

22. April 2015 • PR & Marketing • von

Internationale Marken drängen mit versteckter Werbung in die redaktionellen Teile der Medien. Viele Titel lassen sich missbrauchen. Dabei riskieren sie ihre Glaubwürdigkeit, ohne sich wenigstens an der Wertschöpfung zu beteiligen. Viel besser wäre es genau umgekehrt.

Als Autor Herbert Riehl-Heyse 1989 ein Buch über „Bestellte Wahrheiten“ in den damals rein analogen Medien schrieb, erklärte er sinngemäß: Journalisten berichten nicht immer, was sie wollen, aber sie laufen ständig Gefahr, das zu berichten, was andere bei ihnen bestellen. Zwar sind wir mittlerweile technologisch ein ganzes Zeitalter weiter. Doch angesichts der Werbung, die heute in vielen vermeintlich unkommerziellen Beiträgen versteckt ist, wirkt die Kritik des inzwischen verstorbenen SZ-Autoren Riehl-Heyse weiterhin sehr aktuell.

Allein wenn ich die letzten Monate Revue passieren lasse, denke ich an den Kinofilm „The Great Gatsby“ und seine opulente Ausstattung, die neue Mercedes S-Klasse, den krummen Duschkopf „Doosh“ von Stefan Raab, die überflüssige App „Amen“, jede Menge nützliche und unnütze Studien, einen panzerstahlharten Hammer von Hornbach, die abscheulich süße Limonade Red Bull und sogar die Außenpolitik der Türkei. Und kennen Sie schon Legos gebaute Wahrheiten?

In allen genannten Fällen ist Berichterstattung bestellt und von unabhängigen Redaktionen – privaten wie öffentlich-rechtlichen – in Filmen und Texten aufgegriffen worden. Stets ohne den Hinweis: „Werbung“.

Puma im Guardian

Ein anderes, viel diskutiertes Beispiel lieferte im Mai 2013 ein Interview des britischen Guardians mit dem Trainer von Borussia Dortmund. Unter dem Text erschien der Hinweis: „Jürgen Klopp is proud to wear Puma – who are also Partner of Borussia Dortmund.“ Es war ein Quantensprung der Verquickung: Was bis dahin vornehmlich in Bord- und Kundenmagazinen, Lifestyle- und Frauenzeitschriften vorkam, wurde plötzlich recht plump von einer seriösen internationalen Zeitungsmarke praktiziert: Anders als gewöhnliche Banner-Werbung, die separat neben journalistischen Beiträgen steht, war die Puma-Botschaft in den Textfluss eingebettet.

Derartige Formen kontextueller Werbung werden im Englischen als „Native ads“ bezeichnet: Sie funktionieren barrierefrei, aktivieren weniger schnell unsere kognitiven AdBlocker, weil sie gewissermaßen mit der DNS der Berichterstattung verwoben sind. Der Rezipient erfasst sie im Prozess der Lektüre und lässt sie leichter ins Hirn vordringen. Zugleich haben „Native ads“ den Vorteil, dass sie im riesigen Speicher des Internets archiviert werden und im Unterschied zu konventionellen Anzeigen per Google gefunden und jederzeit im Netz mit anderen geteilt werden können.

Zwar haben der Guardian wie auch Puma eine Zahlung vehement bestritten – doch egal, was wem gezahlt wurde oder nicht: Niemand wird bestreiten, dass es sich um eine Werbebotschaft im Gewand eines journalistischen Beitrags handelte. Der sogenannte PR-Wert dieser Nennung ist vor allem durch die globale Reichweite des Guardians und die Popularität des Fußballs (Champions-League Finale) relativ groß. Die Sportmarke hat dadurch im Mai spielend einen Vorteil von mehreren zehntausend Euro erhalten. Das hätten gedruckte und digitale Anzeigen in jedem Fall gekostet.

Selektionshoheit der Redaktion schwindet

Mir ist bewusst, wie schwierig es heutzutage ist, allgemein interessante und werbliche Themen voneinander zu unterscheiden. Die Frage, was Werbung ist und was nicht, lässt sich oft gar nicht eindeutig beantworten, und das Argument, dass gerade Konsumprodukte selbstverständlich in unseren Alltag gehören, ist für mich auch über die Drehbücher der Krimiserie „Tatort“ hinaus nachvollziehbar, die im Verdacht stand, eine Plattform für Schleichwerbung für Autounternehmen zu sein.

Die Kommerzialisierung von fast allem, was uns umgibt, ist so weit fortgeschritten, dass es überhaupt naiv wäre anzunehmen, Medien führten noch Diskurse in einem ursprünglich unkommerziellen Sinne, um nur der puren Erkenntnis, der Kunst, dem gesellschaftlichen oder technischen Fortschritt oder der Politik zu dienen. Ebenso naiv wäre auch die Annahme, es habe jemals eine publizistische Sphäre ganz ohne kommerzielle Interessen gegeben.

Doch gerade weil der Kommerz allgegenwärtig ist, erwarte ich von seriösen Redaktionen, dass sie sich immer strenger die Fragen beantworten: Hinter welchen Inhalten verbergen sich werbliche Botschaften und kommerzielle Interessen? Hinter welchen Inhalten verbergen sich keine werblichen Botschaften und kommerziellen Interessen? Wie können wir das eine und das andere zum besten Vorteil für uns und unser Publikum nutzen? Wie können wir es monetarisieren – oder es konsequent vermeiden?

Ich erwarte diese Antworten ganz besonders in Zeiten, in denen viele Redaktionen mit ihrer Existenz ringen, weil Werbeerlöse schmelzen und sie verzweifelt nach Wegen suchen, mit ihren Inhalten mehr Geld zu verdienen.

Anstatt dessen beobachte ich einen schädlichen Mix aus Prinzipienreiterei, Unachtsamkeit und Ignoranz. Dazwischen versagt oft das, was ich die „Selektionshoheit“ jeder Redaktion nenne – der wichtigste Aktivposten für die Glaubwürdigkeit und die Unverwechselbarkeit einer Medienmarke.

Berichterstattung: so einfach zu bestellen wie ein Taxi

Überspitzt gesagt: Wo zu Riehl-Heyses Zeiten noch weniger kommerzieller Journalismus war, ist heute oft nur noch „Content Marketing“. Dieser Gattungsbegriff für dramaturgisch-erzählerisch aufbereitete Werbebotschaften ist seit einiger Zeit in vieler Munde – und das in Kreisen der Unternehmenskommunikation und PR nicht ohne Stolz.

Während die Medien darben, glauben nämlich Berater für Public Affairs und Public Relations, Investoren und Manager, Politiker und Ministerialbeamte, dass sich journalistische Berichterstattung ganz einfach bestellen lasse wie ein Taxi. Und es verblüfft, wie erfolgreich diese Bestellungen gelegentlich sind.

In der Vorstellung dieser Leute kann jeder in der Mediengalaxie den Daumen raushalten und per Anhalter mitreisen. Vehikel gibt es schließlich genug, sie verkehren ständig und wollen Leerfahrten vermeiden. Drastischer gesagt: Die Journalistenfuzzis brauchen geile Themen – hier sind sie!

Wie gerade die Markengiganten die Situation nutzen wollen, zeigt Coca-Cola in seinem zweiteiligen Video „The Content Manifesto2020“ auf Youtube. Anstatt weiterhin auf Werbung mit bunten Flaschen und Weihnachtsmännern zu setzen (Werbung > „Creation“), will man sich in Zukunft mit Journalismus (Inhalt > „Content“) bewusst und – man muss es so sagen – aggressiv ins öffentliche Gespräch bringen. Das Ziel ist es, einen größeren Anteil an den Themen zu gewinnen, für die sich die Menschen interessieren („Raise our share of popular culture“). Voraussetzung ist eine „konsequente Themensteuerung“ („Ruthless editorship“). In diesen Absichten liegt die Erkenntnis, dass traditionelle Medien zum einen an Einfluss verlieren und andererseits nach Themen suchen. Dass man für die Platzierung dieser Themen allerdings dieselben Preise bezahlen würde wie früher für Werbung – das wird nicht gesagt.

Werbung: geschenkt?

So ist zwar das Bild des Anhalters in der Mediengalaxie vollkommen adäquat, doch der Vergleich mit einem Taxi hinkt. Genau genommen ist er falsch, denn die Fahrten von Coca-Cola, Puma, Lego & Co. werden gar nicht beim Fahrer bezahlt – es sind Freifahrten! Der Grund dafür sind tradierte ethische Erwägungen: Gerade traditionelle Medienhäuser wollen nicht käuflich wirken, schon gar nicht, wenn sie einmal wirklich über die rote Line fahren – also die Trennung von Werbung und Journalismus ignorieren. Offenbar glauben sie, bestellte Werbefreifahrten seien weniger problematisch als bestellte und bezahlte Werbefahrten.

Unterdessen kassiert für die Freifahrt oft derjenige, der sie organisiert. Diese gängige und intransparente Praxis bildet einen PR-Schwarzmarkt der Inhalte, der – wie immer – eine Konsequenz strenger, vielleicht zu strenger Regulierung und Selbstregulierung ist. Spätestens seit der amerikanischen Prohibition ist bekannt, dass es nur zwei Wege gibt, Schattengeschäfte zu verhindern: entweder mit drakonischen Strafen oder durch die Organisation eines offenen, transparenten Marktes – und unter der Anerkennung des Übels: Vermutlich können Werbung und Journalisten genauso wenig künstlich auseinandergehalten werden wie Alkohol und der Mensch. Umso mehr erfordern sie aber klare Regeln.

Erlöse aus neuen Verbindungen

Während sich deutsche Medien sehr schwer damit tun, Erlöse aus der kreativen Verbindung von Journalismus und Werbung zu generieren, sammeln gerade Medien in den USA erste wegweisende Erfahrungen. Pate für die Entwicklung von Amalgamen steht das bildlastige Angebot von buzzfeed.com. Gründer und Chefredaktor Jonah Peretti lässt derzeit mehr als 80 Werbekunden wie Virginmobile, Mini USA oder Pepsi auf Augenhöhe mit Autoren Beiträge beisteuern – solange sie ins Raster der gefragtesten Themen, den Buzz!, passen. Der Absender – ob Sponsor oder Redaktor – ist gar nicht mehr auf den ersten Blick auszumachen. Ein Teil der Vision von Coca-Cola – die ihre Buzzfeed-Aktivität vor zwei Jahren einstellte – ist bereits erreicht: Die teils albernen und teils relevanten Beiträge der Werbekunden sind im Gespräch– wenn auch nur für wenige Stunden.

Auch die Redaktionen von vice.com und der Huffington Post sowie traditioneller Marken wie forbes.com oder theatlantic.com betten immer mehr journalistische Beiträge von Werbepartnern ein. Während Intel den Kanal „Creatorsproject“ von Vice finanziert, nutzen SAP, Oracle und andere Unternehmen das interaktive Angebot „Brandvoice“, um über bestimmte Themen in den Dialog mit den Nutzern von Forbes zu treten. Gerade in dieser Verbindungsfunktion zwischen Communitys sehe ich einen Schlüssel für Werbekooperationen der Zukunft.

Solche Entwicklungen geben jedenfalls eine erste sinnvolle Antwort auf die Frage, die ich mir seit der Puma-Zeile im Guardian sehr ernsthaft stelle: Welcher Fehler ist der größere: Einen Werbekunden gratis zu platzieren oder nach der Platzierung eine Rechnung über mehrere zehntausend Euro zu stellen? Ich denke, es sollte nichts verschleiert und nichts verschenkt werden!

Wer bezahlt was?

Es ist vielleicht das letzte große Drama unserer Universalmedien, dass sie immer häufiger gewissermaßen nur noch die mediale Infrastruktur zur Verfügung stellen, die Dritte „rücksichtslos“ (Coca-Cola) nutzen, um ihre Interessen zu vermarkten. Weder partizipieren sie an der Wertschöpfung, die mithilfe ihrer Ressourcen entsteht, noch können sie verhindern – sofern sie nicht ein striktes, aufwändiges Kontrollsystem einführen –, dass die Infrastruktur diskret genutzt wird. Sie schauen also zu, wie auf ihre Kosten ein Werbekuchen verteilt und gegessen wird.

Die tageszeitung in Berlin hat eine eigenwillige und zumindest symbolische Aktion gestartet, um Gratiswerbung auf ihren Seiten zu verhindern: Sämtliche Sponsoren von Trikots und Banden, die auf Fotos im Sport-Teil zu erkennen sind, erhalten eine Rechnung. Wer nicht bezahlt, dessen Logo wird in Zukunft verpixelt.

Fest steht: Medien, die weiterhin von vornherein jede Vermischung von Werbung und Journalismus ausschließen, verüben mit der kleinsten leichtfertig transportierten Werbebotschaft, egal ob bezahlt oder unbezahlt, einen Anschlag auf ihre Glaubwürdigkeit – und damit auf das Vertrauen innerhalb ihrer Community. Die Menschen werden mit bestellten Wahrheiten schlicht um ihren Anspruch gebracht. Ich bin überzeugt: Dazu können auch die besten Geschichten von Werbepartnern zählen.

Es geht um beides: Eine bessere und eindeutige Trennung von kommerziellen und nicht-kommerziellen Inhalten zu schaffen, während zugleich zwangsläufig ein neues und zeitgemäßes Mischungsverhältnis von Werbung und Journalismus entsteht. Obwohl diese beiden Wege zunächst gegensätzlich klingen mögen, halte ich sie für vereinbar und auch für unproblematisch, solange das System erstens transparent und zweitens von den Nutznießern finanziert wird – ähnlich wie auch eine Autobahn oder ein Flughafen durch Steuern indirekt von seinen Nutzern bezahlt wird.

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 8-9/2013, S. 48-50

 

Bildquelle: BaneStudios/flickr.com

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