Wieder weniger Expertinnen in den britischen Nachrichten

13. Juli 2021 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Die kürzlich veröffentlichten Zahlen des Expert Women Project für Februar, März und April 2021 zeigen, dass wieder weniger Frauen als Expertinnen in den Nachrichtensendungen des britischen Rundfunks präsent sind. 

Das Expert Women Project an der City, University of London, zählt seit 2010, wie viele Frauen und Männer als Expertinnen und Experten in britischen Radio- und TV-Hauptnachrichtensendungen zu Wort kommen. Während 2010 auf sechs männliche Experten nur eine Frau kam, war bis 2020 eine kontinuierliche Verbesserung dieses Verhältnisses zu beobachten – im vergangenen Jahr war das Verhältnis von Experten zu Expertinnen 1,9 zu 1.

Ein Jahr später allerdings, im Februar 2021, kamen wieder mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen als Experten in den analysierten britischen Nachrichtensendungen zu Wort (2,4:1).

Anfang 2020 drehte sich die Berichterstattung vor allem noch um die britische Politik. Dass im März 2020 so wenige Frau als Expertinnen in den Medien zu Wort kamen (2,7:1) war zum Teil der geringen Zahl an Spitzenpolitikerinnen geschuldet. Nur eines von fünf führenden Kabinettsmitgliedern war eine Frau, und zwar Innenministerin Priti Patel, und sie wurde zu diesem Zeitpunkt nicht oft von den Medien befragt.

Im April 2020 änderte sich die Situation. Die Berichterstattung war nicht länger auf das Kabinett, sondern auf die Corona-Pandemie fokussiert. Krankenhäuser und Pflegeheime standen thematisch im Mittelpunkt. Frauen kehrten zu diesem Zeitpunkt als Expertinnen in die Nachrichtensendungen zurück, kamen allerdings nur halb so oft wie Männer zu Wort.

Im Mai 2020 verlagerte sich die Berichterstattung aus den Krankenhäusern zurück in die Politik, diesmal fokussiert auf das Ende des ersten Lockdowns. Das Verhältnis von Experten zu Expertinnen war in diesem Monat 2,5:1 – ein inakzeptabler Zustand, vor allem, wenn man bedenkt, dass in der britischen Gesellschaft zumindest eine Expertin auf zwei Experten kommt, wenn man Berufsgruppen wie z.B. Anwälte, Akademiker und Politiker betrachtet und den Anteil weiblichen Fachpersonals im Gesundheitswesen und in der Kinderbetreuung nicht einbezieht. Ein Verhältnis von 2,5 Männern zu einer Frau deutet also auf eine Diskriminierung von Frauen als Expertinnen in den Medien hin.

Berichterstattung über ermordete Londonerin sorgte für mehr Expertinnen in den Medien

In diesem Jahr sind die Zahlen aus einem anderen Grund interessant. Auf der einen Seite wurde im März 2021 das bislang beste Verhältnis von Frauen zu Männern als Expertinnen in den Nachrichtensendungen verzeichnet, auf der anderen Seite schrumpfte ihr Anteil im April 2021 wieder deutlich.

Im Februar 2021 gab es in der Untersuchungswoche kein dominierendes Thema und das Verhältnis männlicher zu weiblichen Experten und Expertinnen lag bei 2,4. Im März 2021 aber, als die Berichterstattung über die Mahnwache für die von einem Polizisten ermordete Londonerin Sarah Everard zwei Tage lang im Mittelpunkt stand, war das Verhältnis von Expertinnen und Experten so gut wie nie zuvor (1,6:1). Im April aber wurde mit einem Verhältnis von 2,9 zu 1 der schlechteste Wert seit vier Jahren verzeichnet – in der Untersuchungswoche wurde vor allem über den Vorschlag der Einführung einer europäischen Superliga im Fußball berichtet.

Beunruhigende Schlussfolgerung

Diese Zahlen deuten darauf hin, dass die Nachrichtensender, sobald ein Thema in die Schlagzeilen gerät, das vor allem Männer interessiert, den Anteil der männlichen Experten überproportional erhöhen. Insgesamt kamen bei der Berichterstattung über die Mahnwache für Sarah Everard, die über zwei Tage im Fokus stand, 22 Expertinnen und 12 Experten in den Nachrichtensendungen zu Wort. Bei der Berichterstattung über die Super League, die über drei Tage lief, kamen 66 Experten und zwei Expertinnen zu Wort.

Es scheint einige Hinweise darauf zu geben, dass Themen, die als für Männer interessant erachtet werden, mehr Sendezeit erhalten und dass in solchen Fällen mehr Männer als Experten herangezogen werden. Hingegen werden Frauen als Expertinnen bei Themen konsultiert, die vermeintlich eher Frauen ansprechen.

Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass Sport-Storys die Nachrichtenagenda immer noch unverhältnismäßig stark dominieren.

Trotz einer großen Verbesserung im letzten Jahrzehnt sind Männer als Experten in den Nachrichtensendungen immer noch die Norm. Wir dürfen nicht damit aufhören, uns für eine faire Repräsentation von Frauen als Expertinnen in den Medien einzusetzen.

 

Das Expert Women Project wurde 2010 am Journalism Department der City, University of London, EJO-Partner seit 2020, gegründet.Von 2010 bis 2013 wurden in dem Projekt alle Frauen, die in einer Reihe von zufälligen Nachrichtensendungen im Fernsehen und Radio in Großbritannien als Expertinnen auftraten, gezählt.Seit 2014 ist das Projekt ein offizielles Projekt der City, das auch von der Londoner Universität finanziert wird. Im Rahmen des Projekts zählen Journalismus-Doktorandinnen und -Doktoranden die Expertinnen und Experten, die in den folgenden britischen Hauptnachrichtensendungen zu Wort kommen: BBC News at Ten, die Today-Sendungen von BBC Radio 4, ITV News at Ten, Channel 4 News, Channel 5 evening news and ausgewählte Sky News-Nachrichtensendungen.

 

Dieser Beitrag wurde zuerst auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht. 

 

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