Redaktionen wären nur dann divers, wenn die Redaktionsteams selbst die Vielfalt einer Gesellschaft widerspiegelten, lautet die Schlussfolgerung einer Studie zur Diversität. Vielen Redaktionen falle es aber schwer, ihre Teams divers zu gestalten.
„Eine Schlüsselaufgabe des Journalismus ist es zu einer funktionierenden und gesunden Öffentlichkeit beizutragen“, heißt es in einem Beitrag in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Journalism Practice. Die Autoren Julia Lück, Tanjev Schultz, Felix Simon, Alexandra Borchardt und Sabine Kieslich diskutieren darin, wie sich Redaktionen divers gestalten lassen. Dabei stellen sie fest: Redaktionen sollten ein Thema aus mehreren Perspektiven beleuchten und dabei die Ansichten verschiedener Gesellschaftsgruppen abbilden. Wirklich divers wäre eine Redaktion nur dann, wenn die Redaktionsteams selbst die Vielfalt einer Gesellschaft widerspiegelten.
Die wissenschaftliche Arbeit untersucht 18 Nachrichtensender in Deutschland, Schweden und Großbritannien. Insgesamt, so ihr Ergebnis, fällt es vielen Redaktionen schwer, ihre Teams divers zu gestalten.
Befragt wurden Chefredakteure und Verlagsleiter von Medienorganisationen wie der dpa (Deutsche Presseagentur), dem britischen Nachrichtensender BBC News und dem schwedischen Radiosender Sveriges Radio. Ziel war es, die Herausforderungen der Redaktionen herauszuarbeiten und Strategien für mehr Diversität zu entwickeln.
Redaktionelle Diversität versus gesellschaftliche Diversität
Für die Untersuchung der Diversität in Redaktionen bezogen sich die Autoren vor allem auf Ethnie, Einwanderungsgeschichte, Gesellschaftsschicht und Geschlecht. Während der Interviews kamen weitere Faktoren, darunter regionaler Hintergrund, Alter und Behinderung hinzu.
Obwohl alle drei Länder eine lange Einwanderungsgeschichte haben, Großbritannien mit einer besonders ausgeprägten Kolonialvergangenheit, die in enger Verbindung zur dortigen Einwanderung steht, mangelt es an Vielfalt in fast allen Redaktionen. Besonders nicht-weiße Migranten kamen so gut wie gar nicht vor.
In Deutschland machen Migranten und Menschen mit Migrationsgeschichte etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus. Diese Gruppe ist im deutschen Journalismus jedoch nur zu zwei bis fünf Prozent vertreten.
In den Chefetagen sieht es noch einmal schlechter aus: Eine Studie der Neuen Deutschen Medienmacher*innen, einem bundesweiten Zusammenschluss von Medienschaffenden mit und ohne Migrationsgeschichte, stellte 2020 fest, dass es in den 120 untersuchten deutschen Medienunternehmen keinen einzigen schwarzen, muslimischen oder türkischen Chefredakteur gibt.
In Großbritannien bezeichnen sich etwa 12,9 Prozent der Bevölkerung als nicht-weiß, heißt es in dem Journalism Practice-Beitrag. Die Autoren verweisen auf einen Report von 2016, wonach im britischen Journalismus zu 94 Prozent weiße Menschen beschäftigt waren. Nur 0,4 Prozent der Medienschaffenden waren demnach muslimisch und nur 0,2 Prozent gehörte der Schwarzen Bevölkerung an. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studie waren laut dem Nachrichtenmagazin The Guardian fast fünf Prozent der britischen Bevölkerung muslimisch und drei Prozent Schwarz.
In Schweden hat laut der Studie rund ein Viertel der Bevölkerung seine Wurzeln im Ausland. Unter Journalisten in Schweden haben aber nur fünf Prozent migrantische Wurzeln.
Wege zum Wandel
Der Druck auf Medienunternehmen, diverse Teams und Perspektiven zu fördern, resultiert aus einem generellen, gesellschaftlichen Vorstoß für mehr Gleichberechtigung. Beispiele dafür sind globale Bewegungen wie Black Lives Matter und Initiativen wie der jährliche Black History Month, der die oft übersehenen gesellschaftlichen Beiträge Schwarzer Menschen in den Vordergrund rückt.
In ihrer Untersuchung identifizierten die Autoren vier Maßnahmen, um die Diversität in Redaktionen zu verbessern:
- Das Bewusstsein in Führungspositionen schärfen
Das persönliche Engagement von Menschen, die in Redaktionen strukturellen Wandel herbeiführen können, ist ein Schlüsselfaktor für Diversität. Gerade in hierarchisch geführten Redaktionen kommt es auf die Chefs an: Die Studienautoren stellten fest, dass Führungspersonen besser informiert und mehr Ideen für Lösungsstrategien fanden, wenn sie sich für das Thema Diversität zuständig fühlten.
„Das strategische Management von Diversität in Nachrichtenorganisationen ist eng verknüpft mit dem persönlichen Einsatz für das Thema“, so die Autoren.
- Diversitäts-Management kontrollieren
Diversität kommt nicht von allein. Es braucht verlässliche Daten, um eine Diversitäts-Strategie strategisch und effektiv umzusetzen. Die Autoren empfehlen dabei die gemessene Diversität in einer Redaktion mit der Diversität der Gesellschaft abzugleichen.
- Verschiedene Perspektiven anerkennen
Eine diverse Arbeitskultur bindet Vielfalt nicht nur sporadisch ein, sondern langfristig: Verschiedene Perspektiven auf Medieninhalte anzuerkennen und zu fördern, sollte in Arbeitsabläufen fest verankert werden, etwa bei der Nachrichtenauswahl genauso wie bei der Wahl von Experten.
- Strukturelle Benachteiligung benennen – innerhalb und außerhalb des Medienbetriebs
Strukturelle Diskriminierung zu beschönigen, wirke sich negativ auf Diversität aus, so die Autoren der Studie. Sexismus und Rassismus müssten klar benannt und bekämpft werden. Eine Idee ist es etwa Workshops einzuführen, um Raum für einen offenen Austausch sowie eine diversere Arbeitskultur zu schaffen.
Diversität in Redaktionen herzustellen sei komplex, warnen die Autoren. Vergangene Untersuchungen legen nahe, dass ein diverses Team noch lange nicht diversere Medieninhalte hervorbringt. Der Anspruch nach Objektivität im Journalismus sorge etwa dafür, dass spezielle Merkmale wie Kultur, Religion oder Ethnie bei der Erstellung von Nachrichten übergangen werden. Wichtig sei es ein Klima zu schaffen, in dem Diversität erlebt werden kann und vielseitige Perspektiven in einem professionellen Kontext täglich eingebracht werden können.
Zur Studie: Diversity in British, Swedish, and German Newsrooms: Problem Awareness, Measures, and Achievements.
Schlagwörter:Deutschland, Diversität in Redaktionen, Großbritannien, Schweden