Journalismus im Wandel – Corona, Diversität in Nachrichtenredaktionen und Krisenjournalismus in Konfliktregionen

2. September 2022 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Pressefreiheit • von

Eine freie, unabhängige Presse ist eine wesentliche Voraussetzung und wichtiger Grundpfeiler für jede funktionierende Demokratie. In Deutschland und anderen demokratischen Staaten ist die Pressefreiheit ein Grundrecht. Aber in Zeiten von Krisen und Kriegen sowie wiederaufgeflammter Konflikte wird die weltweite Pressefreiheit gefährdet. Zum einen sind durch diese Konflikte Journalistinnen und Journalisten in vielen Ländern der Welt in Gefahr, zum anderen ist aber auch die freie und unabhängige Presse in demokratischen Staaten gefährdet.

Wie die Pressefreiheit geschützt und eine bessere Zukunft für die Pressefreiheit gewährleistet werden kann, haben im Juni 2022 während des Global Media Forum der Deutschen Welle (DW) über 2000 Journalist*innen sowie Medienschaffende aus rund 100 Ländern unter dem Motto; „Shaping tomorrow, now!“diskutiert. Darunter auch Najima El Moussaoui und Sulaiman Tadmory, die für das EJO ihre spezifische Sicht auf den Wandel im Journalismus teilen.

Watchdog-Journalismus in Deutschland

Journalist*innen sind wichtige Akteure innerhalb einer Demokratie. Der Presse wird dabei in einer funktionierenden Demokratie die zentrale Rolle eines Watchdogs zugesprochen. Diese spezielle Rolle des Journalismus hat aber vor allem in den letzten Jahren einen Rückgang erfahren, denn Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland hat eine noch nie dagewesene Dimension erreicht: Im Kalenderjahr 2020 zählte Reporter ohne Grenzen (RSF) mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten im Land. Weitere fünf Fälle konnte Reporter ohne Grenzen nicht abschließend verifizieren. Aufgrund der Vielzahl an Demonstrationen, auf denen es immer wieder zu Gewalt gegen Reporterinnen und Reporter kam, und auch weil nicht alle Medienschaffenden die Übergriffe öffentlich machen, geht RSF 2020 von einer beträchtlich größeren Dunkelziffer aus.

Die Mehrheit dieser Angriffe ereignete sich auf oder am Rande von landesweiten Demonstrationen gegen die COVID 19-Maßnahmen. Vor allem die seit dem Frühjahr 2020 deutschlandweit stattfindenden „Querdenker“-Demonstrationen eint offenbar ein Misstrauen gegen Medien, das häufig in pressefeindliche Stimmung und gewalttätige Übergriffe mündet. Dazu kommt eine Vielzahl von in den Statistiken nicht erfassten Situationen, bei denen Journalistinnen und Journalisten bedrängt oder bedroht und massiv an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert wurden. RSF dokumentierte zudem zahlreiche Anfeindungen und Beleidigungen bis hin zu Todesdrohungen – auch im Internet.

Zunehmende Gewalt gegen Journalisten*innen

Najima El Moussaoui und Sulaiman Tadmory berichten fürs EJO von ihrer Sicht auf den Wandel im Journalismus. Foto: Immo Fuchs/privat

„Ich bin selbst nicht betroffen. Aber wenn Journalist*innen ihre Meinung zu kontroversen Themen zum Beispiel auf Social Media äußern, dann müssen sie immer mit Hasskommentaren rechnen. Natürlich haben wir Meinungsfreiheit in Deutschland, aber eben auch die Freiheit der anderen, ihren Hass zu verbreiten”, sagt Najima El Moussaoui. Sie führt jedoch auch fort: „Eine Zunahme dieser Radikalisierung besteht, weil es Gruppierungen gibt, die, wenn man als Journalist und Journalistin nicht unbedingt nur die Perspektive von Corona-Gegnern äußert, oft Aggression sowie Hasssprache in den online Foren und zum Teil auch Bedrohungen zeigen. Aggressionen und radikale Ansichten sind im Internet auf sozialen Medien einfach mit einem Klick zu veröffentlichen, ganz anonym oder ohne Klarnamen. Aus meiner Sicht ist diese Anonymität Teil des Problems. Ich finde es wichtig, dass von Hassnachrichten betroffene Journalist*innen alle strafrelevanten Kommentare anzeigen, auch wenn der Absender anonym ist”. El Moussaoui erklärt weiterhin: „Konsequenz ist, dass aufgrund solcher Aggression Journalist*innen in Bedrängnis geraten wird. Es ist sehr schwer mit einer Welle von Hass kontinuierlich konfrontiert zu sein – in einigen Fällen, können Journalist*innen sicher so nur schwer ihren Beruf ausüben“.

Weltweit schlechte Zeiten für Journalistinnen und Journalisten – Syrien ein Beispiel der Gefahr

Journalismus in Syrien ist aufgrund von Festnahmen, Entführungen und bis zu Morden extrem gefährlich in der Ausübung. Laut dem Syrian Network for Human Rights wurden in den letzten 11 Jahren 711 Journalist*innen getötet. Viele von ihnen starben aufgrund ihrer Kritik während des Bürgerkriegs in den Gefängnissen des Assad-Regimes, viele weitere verschwanden. Journalist*innen sind Einschüchterung und Gewalt von allen Parteien des Bürgerkriegs ausgesetzt – vom syrischen Militär und seinen Verbündeten sowie der verschiedenen bewaffneten Oppositionsgruppen, darunter von der Türkei unterstützte Kräfte, kurdische Verbände und radikal-islamistische Gruppen. In April 2022 führte das Regime von Präsident Baschar al-Assad spezielle Gesetze zur Bekämpfung von Cyberkriminalität ein. Das so genannte Cybercrime-Gesetz 20/2022 dient dazu, Syrer*innen, die offline oder online auch nur geringfügige Kritik am Regime von Baschar al-Assad, am Staat oder der Verfassung üben, zu bestrafen. Somit hat das Regime ein neues Instrument zur Bekämpfung freier Berichterstattung im Internet gewonnen, bei dem auch Journalisten getrackt werden können. Von den neu aufgebauten syrischen Medien, die von Bürgerjournalist*innen kurz nach dem Beginn der Aufstände im Jahr 2011 geschaffen wurden, haben es nur einige wenige geschafft zu überleben.

„Viele meiner Freund*innen wurden sowohl festgenommen als auch getötet. Wir sind die Opfer des Wortes“, so Sulaiman Tadmory, der inzwischen beim NDR als Journalist tätig ist. Sulaiman Tadmory hat in Beirut Regie studiert. Im syrischen Bürgerkrieg saß er zwei Jahre in seiner Heimatstadt Homs fest – und dokumentierte das Leben zwischen Trümmern. Seit 2015 lebt Tadmory in Deutschland und hat bereits für diverse Medienhäuser als Videojournalist gearbeitet.

Die Corona-Pandemie hatte ihren Einfluss auf die Pressefreiheit weltweit. Während der Corona-Pandemie standen Journalist*innen in vielen Länder so stark unter Druck wie selten zuvor. Informationssperren und Desinformation von der Regierung, willkürliche Festnahmen und Gewalt gegen Journalisten*innen schränkten die Pressefreiheit in aller Welt ein. Das syrische Regime verbot die Veröffentlichung aller COVID-19 Infektionszahlen und verhängte eine Nachrichtensperre für alle Medien. Ausgenommen davon war nur die staatliche Nachrichtenagentur.

Tadmory, stellt rückblickend fest „In Deutschland war die Lage der Pressefreiheit während der COVID-19 Pandemie zwar sicher nicht einfach und hatte viele Einschränkungen erfahren, aber als in Deutschland tätiger Journalist darf ich meine Meinung sagen und frei berichten. Niemand geht ins Gefängnis, wenn die Regierung in einem Artikel kritisiert wird. In Syrien könnte dies jedoch das Leben kosten“.

Vielfalt und Diversität in deutschen Nachrichtenredaktionen ist wichtig im gemeinsamen Kampf um die Pressefreiheit

In den deutschen Medienhäusern wird seit längerer Zeit ein Anstieg von Journalist*innen mit Zuwanderungshintergrund verzeichnet. Viele von ihnen kommen aus Kriegs- oder Konfliktregionen und wissen die Pressefreiheit in Deutschland zu schätzen. Das Thema Diversität erfährt insgesamt eine sehr große Bedeutung in der deutschen Gesellschaft. Das lässt sich mit Zahlen belegen. Laut Diversity Guide verfügt über ein Viertel der in Deutschland lebenden Menschen über eine Zuwanderungsgeschichte. „Wir können nach unseren Schätzungen der neuen deutschen Medienschaffenden davon ausgehen, dass etwa 5 – 10% der Journalistinnen und Journalisten BiPOC sind, die über einen so genannten Migrationshintergrund verfügen. Das heißt, wir haben auch zahlenmäßig eine Unterrepräsentation der Medienschaffenden in Deutschland, die über einen Migrationshintergrund verfügen”, stellt Najima El Moussaoui fest.

„Vor 10 Jahren hat man kaum Journalist*innen mit Migrationshintergrund in den deutschen Medienhäusern gesehen. Die Lage verbessert sich jedoch und viele deutsche Medienhäuser wie ARD und Deutsche Welle sind der Meinung, dass sie diverser sein müssen. Ich leite bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen das Projekt Mentoring at Ruhrgebiet, wo wir Nachwuchs mit Zuwanderungsgeschichte fördern und ich merke bei dieser Tätigkeit, dass es sehr effektiv ist mit jungen Talenten mit Zuwanderungshintergrund zu arbeiten. Dabei ist wichtig diese jungen talentierten Journalist*innen eins zu eins zu begleiten, sie zu fördern und zu unterstützen“, erklärt El Moussaoui. Um mehr Diversität in den Redaktionen zu integrieren, könnte im Grunde jedes deutsche Medienhaus ein solches Mentoring Programm einrichten. Die Herausforderungen sind nicht gering, denn ein perfektes Hochdeutsch, ist tatsächlich noch ein wichtiges Kriterium für viele Medienhäuser. Ob das zeitgemäß ist, stelle sich die Frage. In Großbritannien oder auch in den USA gibt es Journalist*innen, die vor die Kamera gehen oder im Radio zu hören sind, trotz ihres deutlichen Akzents.

„Meiner Meinung nach gibt es viel wichtigere Kriterien in unserem Beruf als perfekt Hochdeutsch sprechen zu können. Wichtiger finde ich nämlich die Perspektive, die neu zugewanderte Journalist*innen in der Berichterstattung einbringen können. Das sollte mehr zählen als perfektes Hochdeutsch zu beherrschen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass diese Kolleg*innen das journalistische Handwerk beherrschen: also Recherche, Interviewführung, Texten etc.“, präzisiert El Moussaoui.

Quellen:

Neue deutsche Medienmacher*innen. (2021. Dezember). Diverstiy-Guides: Wie deutsche Medien Vielfalt für alle schaffen. Abgerufen am 30.08.2022 von https://mediendiversitaet.de/guter-journalismus-ist-vielfaeltig/einfach-guter-journalismus

Reporter ohne Grenzen. (2022, Mai). Nahaufnahme 2022: Die Lage der Pressefreiheit in Deutschland, Anfeindungen, Drohungen und Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten. Abgerufen am 30.08.2022 von https://www.reporter-ohne-grenzen.de/nahaufnahme/2022.

Reporter ohne Grenzen. (2022, Mai). Nahaufnahme 2022: Pressefreiheit im Überblick. Abgerufen am 30.08.2022 von https://www.reporter-ohne-grenzen.de/nahaufnahme/2022.

The Syrian Network for Human Rights. (2020. Mai). On World Press Freedom Day, The Annual Report on the Most Notable Violations against Media Workers in Syria on World Press Freedom Day

711 Journalists and Media Workers Have Been Killed Since March 2011, Including 52 Due to Torture, by the Parties to the Conflict and Controlling Forces Abgerufen am 30.08.2022 von https://snhr.org/blog/2022/05/04/the-annual-report-on-the-most-notable-violations-against-media-workers-in-syria-on-world-press-freedom-day/

Beitragsbild: Pixabay

Transparenzhinweis: Dieser Artikel ist eine am 14.09.2022 leicht angepasste Version mit von den Gesprächspartner*innen autorisierten wörtlichen Zitaten. Die Urspungsversion erschien am 02.09.2022.

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