Azione, 11. Februar 2004
Hat nun Tony Blair oder die BBC gewonnen? Während die Tage verstreichen, wird das Urteil von Lordrichter Hutton im Fall Kelly immer umstrittener. Formell hat der britische Premier gesiegt, ja geradezu triumphiert. Doch genau daraus erwächst ihm jetzt ein Problem. Der lachende Dritte dürfte Rupert Murdoch sein.
Indes gibt es einen sicheren Gewinner, der bisher überraschend im Hintergrund geblieben ist, obschon seinen Namen jeder kennt: Rupert Murdoch, der australische Medienmagnat. Auf beiden Seiten des Atlantiks besitzt er so um die 175 Zeitungen und Fernsehstationen, von Sky über Fox News bis hin zur Londoner «Times». Es gibt mehrere Gründe, weshalb er Hoffnung auf eine Niederlage oder zumindest auf einen starken Prestige- und Imageverluste der BBC gehegt haben dürfte.
Einen Teil der politischen Vorgeschichte kennen alle: Seit Mitte der neunziger Jahre besteht zwischen Tony Blair, dem Chef der Labour Partei, und Rupert Murdoch eine ausgeprägt freundschaftliche Verbindung. Der Grundstein dafür wurde vor den Parlamentswahlen von 1997 gelegt. An der Spitze der Regierung befand sich damals der konservative John Major, den Murdoch geschätzt hatte. Aber die persönliche Begegnung zwischen Murdoch und Blair war entscheidend für den Wahlerfolg von New Labour. Die britischen Zeitungen und Fernsehstationen im Besitz des australischen Magnaten standen von nun an dem jungen aufsteigenden Labour-Chef zur Seite.
Dabei spielte ein Medium die Hauptrolle: Die «Sun», meistverkaufte Boulevardzeitung in Grossbritannien und seit jeher konservativ geprägt. Sie steuerte erstmals ins linke Lager und trug so dazu bei, die gemässigte Wählerschaft von Blair zu überzeugen.
Der andere Teil der Vorgeschichte ist weniger bekannt: Greg Dyke, hochangesehener Generaldirektor der BBC, war seit langem der hartnäckigste Widersacher Murdochs. Als Wunderkind des britischen Fernsehens bei BSkyB, Channel 5, ITN und LWT hatte Dyke immer wieder versucht, die Expansionsgelüste des Murdoch-Konzerns einzudämmen – nicht nur in Form eines persönlichen Feldzuges, sondern strategisch angelegt. Unter der Ägide Dykes hat die BBC ihre Unabhängigkeit und Aggressivität wiedererlangt, er hat sie zur bedeutendsten Bastion innerhalb der angelsächsischen Medien ausgebaut, die nicht von Murdoch publizistisch kontrolliert war und ist.
Die BBC sorgte wieder für Schlagzeilen, zum Beispiel im Fall der in irakische Gefangenschaft geratenen amerikanischen Soldatin Jessica Lynch. Einer ihrer Reporter hatte herausgefunden, dass es sich bei deren «heroischer» Befreiung um eine erfundene, inszenierte Geschichte des Pentagons handelte.
Darüber hinaus hatte die Rundfunkanstalt geplant, ihren Einfluss in den USA auszuweiten; die eigenen Programme sollten durch ein Netzwerk lokaler Fernsehsender verbreitet werden. Eine Entscheidung, an der der australische Medienmogul gewiss keinerlei Gefallen fand.
Wenige Wochen später lancierte der ehemalige Kommunikationschef von Blair, Alastair Campbell, einen erbitterten Angriff gegen Andrew Gilligan, den Verantwortlichen eines BBC-Radioprogrammes, in dem der Wissenschaftler David Kelly die Glaubwürdigkeit der Regierung in Frage gestellt hatte. Bis dahin war die Sendung, die um 23 Uhr ausgestrahlt wurde, von anderen Medien kaum beachtet worden. Campbell selber war es, der ihr zu öffentlicher Aufmerksamkeit verhalf.
Der Rest bis zum Tag des Urteils vom 28. Januar 2004 ist bekannt. Ein Blatt meldete den Schiedsspruch Huttons vorab: Die «Sun» von Murdoch. Und nur einen Tag später gab Dyke, der Erzrivale des australischen Medienmagnaten, seinen Rücktritt bekannt. Zufälle. Nur Zufälle. Von den Folgen, die der Fall Kelly nach sich gezogen hat, hat nur einer profitiert – und dieser eine schweigt, auch wenn er sich insgeheim ins Fäustchen lachen dürfte. Die BBC ist demontiert, in ihrem jetzigen Zustand stellt sie für Murdoch kein Problem mehr dar.