Wie die britische Regierung mit einem Gesetz den Journalismus unterdrückt

23. September 2021 • Aktuelle Beiträge, Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Die britische Regierung hat vor kurzem Vorschläge zur Verschärfung des Official Secrets Act, ein Gesetz, das den Umgang mit Staatsgeheimnissen regelt, gemacht, die angeblich ausländische Spione abschrecken sollen. Allerdings lässt ein genauer Blick auf die neuen Vorschläge vermuten, dass es auch darum geht, Journalisten, Whistleblower und Informanten davon abzuhalten, Verfehlungen der Regierung und der Geheimdienste aufzudecken.

Die Begriffe „Journalist“ und „Journalismus“ tauchen zwar im Haupttext gar nicht auf und „Presse“ nur zweimal, und doch setzen die Vorschläge den investigativen Journalismus implizit mit der Spionage durch feindliche Staaten gleich. Sie empfehlen (etwa 38-mal) die strafrechtliche Verfolgung von Personen, die „unbefugte Informationen“ weitergeben, wozu auch Regierungsquellen gehören, die mit Journalisten sprechen, und die Erhöhung der Haftstrafen von zwei auf bis zu 14 Jahre.

Die unabhängige Law Commission hatte unterstützt von Journalistenverbänden und juristischen Organisationen empfohlen, dass jede Reform eine rechtliche Verteidigung für diejenigen vorsehen sollte, die im öffentlichen Interesse handeln. Dies würde einen gewissen Schutz für Journalisten und ihre Quellen bedeuten. Das Innenministerium unter der Leitung von Innenministerin Priti Patel hat diese Empfehlungen aber zurückgewiesen.

Ich bin ein investigativer Journalist mit mehr als 40 Jahren Erfahrung in der Berichterstattung über die nationale Sicherheit, und mein kürzlich veröffentlichtes Buch „Spies, Spin and the Fourth Estate“ befasst sich mit der Beziehung zwischen Journalismus und nationaler Sicherheit.

Es ist zwar richtig, dass ausländische Spione strafrechtlich verfolgt werden sollten, doch scheinen die neuen Gesetzesvorschläge eher darauf ausgerichtet zu sein, die Regierung vor Peinlichkeiten zu bewahren. Es gibt zahlreiche historische Belege für die tief verwurzelte Tendenz der britischen Regierung und der Geheimdienste, den Journalismus zu unterdrücken, um ihr Fehlverhalten zu vertuschen. In der Tat wurden viele illegale Aktionen der Regierung nur durch die Zusammenarbeit von Whistleblowern und Journalisten aufgedeckt.

Intransparentes Regierungshandeln

Seit 1889 gibt es einen Official Secrets Act, der sich gegen Spione und korrupte Beamte richtet. Aufgrund der hartnäckigen Lobbyarbeit von Vernon Kell, dem ersten Generaldirektor des britischen Geheimdienstes (der später in MI5 und MI6 aufgeteilt wurde) verabschiedete das britische Parlament 1911 ein neues, umfassendes Gesetz zur Wahrung von Staatsgeheimnissen.

Schon damals waren die Journalisten über die zusätzlichen Befugnisse besorgt, die das Gesetz im Vergleich zur vorherigen Fassung vorsah. Der Zeitungsverlegerverband protestierte damals gegen die „weitreichenden Verpflichtungen für die Öffentlichkeit und die Presse“ und erklärte, dass der weite Geltungsbereich des Gesetzes „jeden und jede“ betreffe.

Wie befürchtet, wurde das Gesetz sowohl gegen ausländische Spione als auch gegen Journalisten und Informanten eingesetzt.

Der schottische Journalist und Schriftsteller Compton Mackenzie hatte als Geheimdienstoffizier im östlichen Mittelmeerraum gedient. Seine Memoiren „Greek Memories“ aus dem Jahr 1932 enthielten eine Reihe geheimer – wenn auch unbedeutender – Details, darunter Telegramme des Auswärtigen Amtes aus dem Krieg und die Enthüllung, dass der erste Chef des MI6 als „C“ bekannt war.

Dennoch wurde Mackenzie angeklagt. Er wurde beschuldigt, „Informationen, die er in Ausübung seines Amtes unter Seiner Majestät erhalten hatte“, an Unbefugte weitergegeben zu haben. Es wurde vermutet, dass die Anklage zumindest zum Teil darauf abzielte, den ehemaligen Premierminister David Lloyd George einzuschüchtern, der auch vorhatte, seine Memoiren zu veröffentlichen.

Mackenzie ließ sich auf einen Vergleich ein, rächte sich aber schließlich, indem er den satirischen Roman „Water on the Brain“ schrieb, der den britischen Geheimdienst SIS (Secret Intelligence Service) aufs Korn nahm.

Mackenzies Fall war nur einer aus einer Reihe von Strafverfahren, die im Laufe der Jahre eingeleitet wurden.

Ein noch schärferes Gesetz wurde 1989 erlassen, als Reaktion auf die Verlegenheit der Regierung über eine Reihe von Geheimdienstskandalen in den 1980er Jahren, darunter der Prozess gegen den Falklandkrieg-Informanten Clive Ponting, die Enthüllung, dass der Inlandsnachrichtendienst MI5 Mitarbeiter der BBC überprüfte, und die Veröffentlichung der „Spycatcher“-Memoiren des ehemaligen MI5-Agenten Peter Wright.

Auch das Gesetz von 1989 wurde in unangemessener Weise angewendet. So wurden 2018 in Belfast zwei Enthüllungsjournalisten wegen des mutmaßlichen Diebstahls eines vertraulichen Berichts verhaftet, der Informationen über das Loughinisland-Massaker 1994 in Nordirland und die gescheiterte polizeiliche Untersuchung der Morde enthielt.

Die Journalisten wurden der Hehlerei beschuldigt sowie der unrechtmäßigen Beschaffung von Informationen und der Weitergabe von personenbezogenen Daten – was Journalisten als „Leak“ bezeichnen würden, ein wichtiges Instrument im Dienste des öffentlichen Interesses. Die Polizei verhörte sie 14 Stunden lang und führte in den frühen Morgenstunden Razzien in ihren Wohnungen und Büros durch – in einem Fall sogar vor den Augen von Kindern.

Nach einer gerichtlichen Überprüfung hob das Oberste Gericht von Belfast die Durchsuchungsbeschlüsse auf und stellte fest, dass die Journalisten „nichts anderes getan haben, als das zu tun, was die NUJ (National Union of Journalists, Anm. d. Red.) von ihnen verlangt, nämlich ihre Quellen zu schützen“.

Erneute Verschärfung des Gesetzes

Nun will die Regierung das Gesetz für das digitale Zeitalter wieder verschärfen. Doch das eigentliche Ziel sind Journalisten und ihre Quellen. Und warum? Sehen Sie sich nur die Peinlichkeiten an, die durch die jüngsten Vergehen des Geheimdienstes verursacht wurden.

Mitte der 2000er deckten Journalisten die Zusammenarbeit des MI6 mit dem Auslieferungs- und Folterprogramm der CIA auf, die von Regierungsvertretern zuvor bestritten worden war.

2013 veröffentlichte der Guardian ein umfangreiches Archivs geheimer Dokumente des Geheimdienstes, enthüllt vom ehemaligen Mitarbeiter der National Security Agency (NSA) und Whistleblower Edward Snowden, das Überwachungspraktiken westlicher Staaten offenlegte.

Um ein solch drakonisches neues Gesetz, wie es das Innenministerium vorsieht, zuzulassen, müsste meines Erachtens eine sehr solide und unabhängige Aufsichtsstruktur vorhanden sein, die es derzeit nicht gibt.

Die oben genannten Beispiele zeigen, dass es den offiziellen Rechenschaftsorganen nicht gelungen ist, sowohl den Folterskandal als auch die illegale Massenüberwachung der Regierungsbehörde GCHQ aufzudecken. Der Geheimdienst- und Sicherheitsausschuss des Parlaments (ISC) war während eines Großteils seiner 25 Jahre eher eine Art Cheerleader für die Geheimdienste als ein Hüter des öffentlichen Interesses.

Nur in der kurzen Zeit unter dem Vorsitz von Dominic Grieve (2015-2019) zeigte sich ein Ausschuss, der bereit war, energisch zu handeln – und dann wurde er von der Regierung eingeschränkt. Der Ausschuss veröffentlichte einen äußerst kritischen Bericht über die Auslieferungen und Folter, nach dem die britische Regierung nicht länger ihre Beteiligung leugnen konnte – dies aber erst 13 Jahre nach den Ereignissen.

Die Regierung hat sich für die oben genannten Beispiele und viele andere Fälle weder entschuldigt noch eine Erklärung abgegeben.

Die neue Gesetzgebung würde die heikle Beziehung zwischen persönlicher Freiheit und nationaler Sicherheit in Richtung einer autoritäreren Haltung kippen, was eine entschiedene abschreckende Wirkung auf die journalistische Arbeit hätte. Es gab noch nie eine wichtigere Zeit für eine rigorose Überwachung des Geheimdienstes durch die vierte Gewalt, und viele der Vorschläge in dieser Konsultation wären eine weitere Abschreckung für einen soliden investigativen Journalismus.

 

Dieser Beitrag wurde zuerst auf The Conversation und auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht. 

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels-Schwabbauer.

 

Bildquelle: pixabay.com

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