Wirkungsnachweis: Medien beleben den Diskurs

29. Januar 2018 • Qualität & Ethik • von

Medien wirken. Messbar. Jahrelang wurden nachweisbare Wirkungen und Einfluss von Medien im demokratischen Prozess darauf reduziert, dass sie Themen auf die Tagesordnung setzen. Nun zeigt sich, dass Menschen meist erst dann diskutieren, wenn Medien sie thematisieren. Dieser neue Befund eines amerikanischen Forscherteams unterstreicht auch, wie wichtig der Leistungsauftrag von öffentlich-rechtlichen Medien für demokratische Gesellschaften ist. Und damit die Wertschätzung für Journalismus von hoher professioneller Qualität inmitten einer offenbar anhaltenden globalen Vertrauenskrise.

Ein Forscherteam aus Harvard, Florida und Boston hat quantitativ durch ein Experiment belegt, inwiefern Journalismus wirkungsvoll ist. Am Beispiel von 48 überwiegend kleineren Medienhäusern und anhand ausgewählter Themen von durchschnittlicher Bedeutung wies es nach, dass viele Leute erst dann zu einem Thema Position beziehen und ihre Sicht äußern, wenn darüber berichtet wird. Berichterstattung steigerte die Diskussionsaktivität um über 60 Prozent täglich und erzeugte zusätzliche Posts in fünfstelliger Höhe während der untersuchten Woche, also zehn Prozent mehr als zum jeweiligen Thema sonst üblich. Das Nieman Lab in Harvard hält die Studie von Gary King, Benjamin Schnee und Ariale White für eine der international 2017 wichtigsten rund um Journalismus. Denn die Forscher haben ein Verfahren entwickelt, dass den Medieneinfluss messbar macht.

Sie haben gezielt verglichen etwa mit New York Times oder Washington Post kleine Nachrichtenseiten für ihre Messung herangezogen, bei denen zudem kaum überwiegend auf die Tradition der Marke zurückzuführende Effekte anzunehmen waren. Um herauszufinden, inwiefern ein Thema, über das berichtet wurde, auch zu Diskussionen führte, wurden stellvertretend die darauf folgenden Aktivitäten auf dem Microblogging-Dienst Twitter gemessen.

Viele Forscher, die bis dahin Medienwirkung gemessen haben, stießen an Grenzen, weil manche Befunde sozusagen durch „angeborene Unterschiede“ zwischen den untersuchten Gruppen beruhen. Das Problem ist auch in anderen Bereichen bekannt – etwa in der medizinischen Forschung. Das machte sich das Team um Gary King nun zunutze und entschied sich für eine randomisierte kontrollierte Studie. Ein so gebautes Experiment wird in der Medizin angewendet um zu testen, wie wirksam Interventionen sind. Die Teilnehmenden werden willkürlich den beiden zu untersuchenden Gruppen zugewiesen. Gruppe eins erhält ein Medikament oder eine Art von Behandlung, Gruppe zwei nur sogenannte Placebos ohne bekannte therapeutische Wirkungen. Das Kommunikationsforscherteam wollte auf ähnliche Weise die Wirkung des Lesens von Nachrichten prüfen.

Ein Problem war offenbar, Medien zu überzeugen, koordiniert an diesem Experiment teilzunehmen. Der Vorlauf hierzu erstreckte sich über drei Jahre, dann waren traditionelle, neuere und zielgruppenspezifische Medien im Boot, unter ihnen die Huffington Post und The Nation. Sie veröffentlichten zwischen Oktober 2014 und März 2016 in verschiedenen Kombinationen freiwillig und gleichzeitig Geschichten über eines von elf Themen, die in den USA breites Interesse erreichen wie Rasse, Einwanderung oder Arbeitsmarkt. Die Themen mussten von größerem allgemeinen Interesse sein, aber keine Breaking News, und die beiden Testwochen der Geschichten wurde durch Münzwurf bestimmt – eine Woche war Behandlungswoche, die andere Kontrollwoche.

Im Vergleich zu den Reaktionen auf populäre Themen wie „#Me-Too“ oder Oscar-Preisverleihungen mit Tweets in Millionenzahl, ist der gemessene Effekt nicht so groß. Aber die Tatsache, dass dieser Effekt durchgängig bei vielen der getesteten Themen feststellbar war, legt nahe, dass die belegte Wirkung konsistent ist: Sobald in journalistischen Medien berichtet wird, wird auf sozialen Medien auch diskutiert. Zudem stieg die Zahl jener Tweets, die den in den journalistischen Texten enthaltenen Interpretationen folgte. Die Studie hat Schwächen, beginnend damit, dass nur jeder vierte Amerikaner Twitter nutzt, liefert aber robuste Ergebnisse, weil die Befunde unabhängig von Geschlecht, politischer Verortung und sozialem Status vergleichbar sind.

Überträgt man die Befunde auf europäische Medienlandschaften, deren Publikum sich nicht allzu sehr vom amerikanischen unterscheidet, wie etwa in Österreich, der Schweiz oder Deutschland, so schrillen die Alarmglocken in gleich dreifacher Hinsicht:

Erstens: Gerade dann, wenn sich erweist, dass die Macht der Presse offenbar wirklich besteht, ist es wichtig, den Public-Service-Anspruch und damit die Stabilität der öffentlich-rechtlichen Medien zu stärken. Sie sind zum Einen in besonderer Weise durch diesen Leistungsauftrag reguliert. Und zum anderen ist durch diesen Leistungsauftrag der demokratische Diskurs auch garantiert.

Zweitens: Die in der Studie festgestellte Anregung eines demokratischen Diskurses bestärkt auch darin, generell Journalismus hoher professioneller Qualität wertzuschätzen – also auch bei privatfinanzierten Medien. Dies gilt umso mehr inmitten einer offenbar sich durch manipulierende Berichte (also: Fake News) verschärfenden globalen Vertrauenskrise, wie sie das aktuelle Edelman Trust Barometer basierend auf Daten aus 28 Ländern feststellt. Der Einbruch sei in den USA besonders stark, insbesondere in medial gut informierten Akademikerkreisen, wo das Vertrauen um 23 Punkte auf 45 Prozent sank.

Drittens: Der differenzierte Blick auf die globale Verunsicherung und „das Ringen um Wahrheit“ ergibt, dass laut Trust-Barometer zwar mehr Menschen denn je Medienmuffel sind und jeder zweite weniger als einmal die Woche Nachrichten liest. Aber während das Vertrauen in Plattformen wie Suchmaschinen und Soziale Medien sank, legte die Glaubwürdigkeit von seriösem Journalismus zu: global um zwölf Punkte auf 39 Prozent, in Deutschland sogar um 19 Punkte auf 45 Prozent. Österreich ist leider nicht unter den untersuchten Ländern, dürfte aber kaum ein anderes Bild aufweisen.

Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 27. Januar 2018

Bildquelle: pixabay.com

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